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Ex-Putschist Buhari gewinnt Wahl in Nigeria deutlich
Berlin. Historischer Machtwechsel in Nigeria: Der Herausforderer Muhammadu Buhari hat die Präsidentschaftswahl in dem westafrikanischen Land gewonnen. Amtlichen Angaben vom Mittwochmorgen zufolge erreichte er 2,57 Millionen Stimmen mehr als Amtsinhaber Goodluck Jonathan. Dieser hatte noch vor der Bekanntgabe des Endergebnisses seine Niederlage eingeräumt. Tausende Menschen strömten in den Hochburgen Buharis auf die Straßen und feierten ihren neuen Staatschef. Jonathan erklärte bereits am späten Dienstagabend, er habe Buhari zum Sieg gratuliert. Er dankte seinem Volk für die »großartige Chance, das Land zu führen« und versicherte, bis zum offiziellen Ende seiner Amtszeit alles in seiner Macht Stehende für das Wohl der Nation zu tun. »Ich habe dem Land freie und faire Wahlen versprochen«, fuhr Jonathan fort. »Ich habe mein Wort gehalten.« Der Christ Jonathan rief außerdem seine Landsleute dazu auf, etwaige Streitigkeiten ü... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Historischer Machtwechsel in Nigeria: Der Herausforderer Buhari hat die Präsidentschaftswahl in dem westafrikanischen Land gewonnen - mit einem Vorsprung von 2,57 Millionen Stimmen vor Amtsinhaber Jonathan.
Nigeria, Wahlen 2015
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/966714.ex-putschist-buhari-gewinnt-wahl-in-nigeria-deutlich.html
Brasiliens Rechtsregierung kippt Naturzschutzregelungen an Küsten
Brasilia. Die Regierung des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro hat Regulierungen für den Naturschutz an der Atlantikküste des Landes aufgehoben. Die Entscheidung wurde am Montag in einer Sitzung des Nationalen Umweltrates getroffen, der von dem umstrittenen Umweltminister Ricardo Salles geleitet wird. Die Regelungen aus dem Jahr 2002 stellten Mangroven- und von Buschwerk überwucherte Dünenlandschaften unter Schutz. Sie könnten nun für Immobilienprojekte geöffnet werden, wie Umweltschützer befürchten. Der Leiter der Naturschutzorganisation SOS Mata Atlantica, Mario Mantovani, bezeichnete die Aufhebung der Regulierungen als »Verbrechen an der Gesellschaft«. Die Regulierungen hätten die Naturgebiete »vor weiterer Zerstörung« geschützt. Es gebe starken Druck der Immobilienwirtschaft, diese Gebiete zu erschließen. Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch. Der rechtsradikale Bolsonaro steht bereits wegen der Zerstörung des für den Schutz des Weltklimas essenziellen Amazonas-Regenwaldes massiv im In- und Ausland in der Kritik. Die Vernichtung des Amazonaswalds durch Feuer hat seit Beginn seiner Amtszeit im Januar 2019 dramatisch zugenommen. Die von Bränden zerstörten Gebiete im Amazonasgebiet werden anschließend oft für die Viehwirtschaft und den Ackerbau genutzt. In diesem Jahr wüten gigantische Brände zudem im brasilianischen Sumpfgebiet Pantanal mit seiner reichen Tier- und Pflanzenwelt. Auch Umweltminister Salles wird wegen der Zerstörung des Amazonaswaldes heftig kritisiert. In einer vor einigen Monaten an die Öffentlichkeit gelangten Videoaufnahme von einer Kabinettssitzung ist zu hören, wie Salles vorschlägt, die Corona-Pandemie zu nutzen, um die Umweltauflagen für den Amazonaswald zugunsten von Bergbau und Landwirtschaft zu umgehen. AFP/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Der rechtsradikale Präsident Bolsonaro steht bereits wegen der Zerstörung des für den Schutz des Weltklimas essenziellen Amazonas-Regenwaldes massiv im In- und Ausland in der Kritik. Doch er macht immer weiter.
Brasilien, Jair Bolsonaro, Umweltschäden
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt Brasilien
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1142432.brasiliens-rechtsregierung-kippt-naturzschutzregelungen-an-kuesten.html
Nach Rücktritt von Monti: Neuwahlen in Italien
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Redaktion nd-aktuell.de
Präsident Giorgio Napolitano hat ein Dekret zur Auflösung des italienischen Parlamentes unterschrieben. Dies teilte sein Büro in Rom am Samstag mit, nachdem sich Napolitano mit führenden Politikern des Landes getroffen hatte. Als wahrscheinlicher Wahltermin gilt der 24./25. Februar. Bereits am Freitag hatte Premier Mario Monti erwartungsgemäß sein Rücktrittsgesuch an Napolitano übergeben.
Italien, Mario Monti, Neuwahlen
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/808158.nach-ruecktritt-von-monti-neuwahlen-in-italien.html
Hörlust des Denkens
Im Kanon der akademischen Philosophie wurde Theodor W. Adorno posthum ein Platz als Meisterdenker zugewiesen. Ob bewundert oder verteufelt: Seine Texte werden an den Universitäten hoch und runter gelesen. Das Feuilleton derweil liebt es, aus dem privaten Nähkästchen dieser »Geistesgröße« schlüpfrige Details auszuplaudern. Notorisch kursieren so Altherrenerzählungen über die Affären des Professors. Dies dürfte denn wohl auch das Erste sein, was einem (als patriarchal eingefärbtes) Klischee zum Thema Erotik bei Adorno einfällt. Kanonisierung und Klischee aber sind beide falsch, denn der Herzschlag der Kritischen Theorie lässt sich nicht ins Lehrbuch zwingen, und ihren Geist ekelt es beim Vorurteil. Warum dies so ist und dass es so sein muss, zeigt auf bestechende Weise Iris Dankemeyer in ihrem Buch »Die Erotik des Ohrs. Musikalische Erfahrung und Emanzipation nach Adorno«. Ist nämlich der lustvolle Eros nicht nur Sache von Personen, sondern eine der Philosophie, sofern sie mit den Ohren denkt, so ist das Nachdenken über und in Sprache und Musik, schließlich über und in Gesellschaft, selbst leidenschaftlich, anziehend und lebendig: erotisch. Es ist ein schönes Buch, das Iris Dankemeyer hier vorgelegt hat. Eine Schönheit, die den Wissenschaftsbetrieb provoziert. Allein schon das Cover, das einen jungen und wenig bekannten Adorno zeigt, den die akademische Rezeption weitestgehend vergessen hat. Das Schwanken zwischen Künstlerdasein und einer philosophischen Laufbahn ist ihm noch anzumerken. Dankemeyers Buch folgt im ersten Teil den Stationen seines Weges vom enthusiastischen Kompositionsschüler Alban Bergs im Wien der 1920er Jahre bis zum Ordinarius für Soziologie und Philosophie im Nachkriegsdeutschland. Dabei umgeht es konsequent den vermeintlichen Hauptschauplatz der sogenannten Frankfurter Schule - und damit den Fokus der offiziellen Wissenschaftsgeschichte. Diese Freiheit der Perspektive ermöglicht es erst, die »empfindlichen Stellen« im Werk Adornos aufzuspüren, gerade weil sich hier biografische Erfahrungen und Theorie überschneiden. Besonders deutlich wird das im Aufeinanderprallen der ersten beiden Denkorte, Wien und New York. Mit vehementem Einspruch gegen den Mainstream der Adorno-Rezeption, die dessen Kritik der Populärmusik und das Festhalten an autonomer musikalischer Avantgarde als gestrig und elitär abstempelt, berührt Dankemeyer in der Tat den neuralgischen Punkt von Adornos Musikphilosophie: »Im Wiener Schönbergkreis kommen in Adornos Vorstellung zwei reziproke Emanzipationsversprechen zusammen, zum einen ein Innenreich unendlicher Schöpfungskraft mit Luftschlössern voll erfüllter Wünsche, das jedem den richtigen, den eigenen Platz freihält, zum anderen eine Realität gelebter Solidarität aufgrund der gemeinsamen Sache, in der die allgemeine Produktion es jedem ›möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren‹. In dieser wahren Welt, die es bisher nur zwischen den Ohren gibt, könnten alle das Leben freigiebiger und lustbetonter Grafen leben. (Sogar die Gräfinnen!)« Obwohl Dankemeyer auch im Pop gelegentliche Emanzipationsstrebungen nicht von der Hand weist, ist dessen Grundmodell zum künstlerischen grundverschieden: »Kunst verspricht und sublimiert. Pop vertröstet und sexualisiert.« Eine Sexualisierung wohlgemerkt, der gerade der Eros, die Leidenschaft abhandenkommt. Dafür steht die populäre New Yorker Musikjugend: »Die Lust wird gemindert durch das Fehlen von Vorlust und Spannung, des Abenteuers der Verführung und des Risikos der Zurückweisung. Die Lust wird durch unkomplizierte Sachlichkeit verhütet.« Zwar verdankt Adorno dem amerikanischen Exil, zunächst in New York, dann in Los Angeles, nicht nur sein Überleben, sondern auch entscheidende geistige Erfahrungen, eine Urbanität und Weltoffenheit seines Denkens. Und doch sind es vor allem die prägenden Erinnerungen seiner Wiener Jahre, die er noch als Vortragender bei den Darmstädter Ferienkursen für Neue Musik ab den 50er Jahren einer jungen Generation an Musikern vermitteln will. Doch wozu eigentlich dieses Beharren auf Fragen der Ästhetik? Zu Recht konstatiert Dankemeyer bereits in ihrem »Vorspiel«, dass Adorno vor allem ein materialistischer Gesellschaftstheoretiker sei, dessen Denken »sachgemäß in eine ›innermarxistische Diskussion‹ gehört«, wobei »der ›Streit um Theorie und Praxis‹ nicht aufhören darf, bis er eben aufhören kann«. Auch das Versprechen der Kunst kann in dieser unfreien Gesellschaft nicht eingelöst werden, eine Veränderung der Welt zum Besseren bleibt Aufgabe politischer Praxis. Aber genau hier kommt - wie Dankemeyer im letzten Abschnitt des Buches zeigt - die Erotik der Ohren abermals ins Spiel, denn die akustischen Leidenschaften halten das Bewusstsein wach und offen für das, was in solcher Praxis unter keinen Umständen vergessen werden darf: »Uneingeschränkte Humanität kann nicht nur aufgeklärte Rechtspersonen und zivilisierte Vernunftwesen erfassen, sondern dürfte auch deren leibhaftige Verletzbarkeit nicht vergessen und müsste auch den enthusiastischen Phantasten ihre Stelle im menschlichen Geist freihalten. Im ›zivilisiert Natürlichen‹, im sprachlichen Vorstellungsvermögen, würden die Triebe weder gegängelt noch entfesselt, sondern aus Freiheit geformt.« In der Lebensrealität der verwalteten Welt, der die Hoffnung auf eine in diesem Sinne bessere, schönere Gesellschaft zunehmend abhandenkommt, wird ein Denken, das solchen Wünschen die Treue hält, zur »Geheimwissenschaft«. Das adäquate Wahrnehmungsorgan für die verdrängten Begierden und Wünsche ist aber vielleicht weniger das Auge, das durch den Zivilisationsprozess hindurch zunehmend zum registrierenden, kategorisierenden, musternden Sinn wurde. Vom Hören erwartet man solch aktive Selbstbeherrschung nicht, ihm verzeiht man die nachsinnende, versunkene Passivität. Darum setzt die Geheimwissenschaft von der befreiten Gesellschaft auf die Sphäre der Akustik. In dieser Sphäre können sich Regungen einen Ausdruck verschaffen, die das fantasielose Alltagsbewusstsein allzu oft vergisst, denn »wie die Musik geben auch Bücher das Versprechen erfüllter Zeit - wer sich ihnen zuwendet, kann einsam, lautlos und unbewegt dasitzen und sich doch heimlich in bester Gesellschaft befinden und tief bewegt sein, ohne dass von der inneren Aufgewühltheit mehr als ein erstauntes Stöhnen oder ein zustimmendes Seufzen nach außen dringt. Hören und Lesen versammeln in sich verwandte paraerotische Verhaltensweisen; Neugier als Lust auf bisher Unbekanntes, die freie Verfügung und Verschwendung der eigenen Lebenszeit an fremde Worte, Gesten, Gebärden.« Treffende Worte - auch und gerade für unschöne Zustände - sind im Denken die schönen Stellen, sie haben etwas Musikalisches. Dass nicht nur Adornos Texte diese musikalische Seite haben, sondern jedes kritische Denken sie haben sollte, daran erinnert auf beeindruckende Weise Iris Dankemeyers »Erotik des Ohrs«. Iris Dankemeyer: Die Erotik des Ohrs. Musikalische Erfahrung und Emanzipation nach Adorno. Edition Tiamat, 408 S., br., 30 €.
Martin Mettin
Mit den Ohren denken? Kein Problem. Das behauptet die Philosophin Iris Dankemeyer in ihrem Buch »Die Erotik des Ohrs«. Ihre These von der akustischen Geheimwissenschaft bekräftigt sie mit Leben und Theorie Theodor W. Adornos.
Emanzipation, Musik, Österreich
Feuilleton
Kultur Die Erotik des Ohrs
2021-01-12T16:41:45+0100
2021-01-12T16:41:45+0100
2023-01-21T09:18:30+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1146878.die-erotik-des-ohrs-hoerlust-des-denkens.html?sstr=erotik|des|ohrs
Stimme der Solidarität
Im Leben von Jelisaweta Gyrdymowa ging alles ganz schnell. Mit 18 begann die gebürtige Jekaterinenburgerin, ihre selbstgeschriebenen Lieder zu Klavier oder Keyboard ins Netz zu stellen. Mit 20 brachte »Monetotschka« (»Münzchen«), so ihr Künstlername, ihr zweites Album »Ausmalbilder für Erwachsene« heraus und wurde schlagartig landesweit berühmt. Augenzwinkernder Anti-Folk, eine hohe Stimme als Markenzeichen, kluge Texte ohne plakative Statements – der Weg sowohl ins Showbusiness wie auch in die Herzen der liberalen Opposition, die Andeutungen zu entziffern verstand, war geebnet. Monetschkas Lieder waren für viele Russen der Soundtrack des Jahres 2018. Es folgten Auftritte im Fernsehen, eine Filmrolle und die Synchronisation von Pixar-Produktionen für den russischen Markt. Politisch hatte sich die Sängerin eher subtil eingemischt. Bis Wladimir Putin in die Ukraine einmarschierte. Mit ihrem Mann verließ die Schwangere kurz darauf Russland. Ihre Tochter brachte sie im litauischen Vilnius zur Welt. Dort stellte sie unmissverständlich klar, Gegnerin von Putins »Russischer Welt« zu sein. Gemeinsam mit anderen emigrierten Musikern, wie dem Rapper Noize MC, gibt sie seitdem Konzerte, deren Einnahmen für die ukrainische Flüchtlinge und Kriegsopfer gespendet werden. Als Drohung veröffentlichten staatsnahe Telegram-Kanäle die Adresse ihrer Moskauer Wohnung und posteten Bilder vom Hauseingang. Grund genug für Monetotschka, die Wohnung zu verkaufen. Vor wenigen Tagen erklärte das Justizministerium die Sängerin wegen ihrer offenen Sympathie für die Ukraine zur »ausländischen Agentin«, außerdem soll sie »Unterstützung aus ausländischen Quellen« erhalten haben. Überraschend war der Schritt nicht, schon eher, dass das Justizministerium erstmals erklärte, warum jemand zum »ausländischen Agenten« wurde.
Ewgeniy Kasakow
Als Monetotschka wurde Jelisaweta Gyrdymowa zur musikalischen Stimme russischer Liberaler. Wegen ihres Engagements für die Ukraine hat das Justizministerium sie jetzt zur »ausländischen Agentin« erklärt.
Musik, Russland, Ukraine, Wladimir Putin, Wohnen
Politik & Ökonomie
Politik Monetotschka aus Russland
2023-01-24T14:16:59+0100
2023-01-24T14:16:59+0100
2023-01-30T12:27:10+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1170392.stimme-der-solidaritaet.html
Franz Josef Wagner zum Geburtstag: Das verlorene Paradies
Franz Josef Wagner, seit 2001 Chefkolumnist der »Bild«, wird 80. Ein Grund zu feiern? Für viele seiner zahlreichen Kritiker sicherlich nicht. Aber muss man sich in die Reihe von Anti-Wagner-Prominenzen wie Micky Beisenherz, Stefan Niggemeier und Klaas Heufer-Umlauf einreihen? Stimmt man, wenn man es nicht tut, mit den misogynen und rechtslibertären Empörungen überein, die mehr als nur einmal aus den Fingern des Boulevard-Journalisten geschäumt sind? Wird man gar zu Jan Fleischhauer, der Wagner als Vorbild rühmt? Wir sagen: Nein. Stattdessen gilt es das Phänomen Wagner zu analysieren und den Mann zu würdigen, wo es ihm gebührt. Auch wenn die Grenzen des Sagbaren noch immer entlang eines schmutzigen Schützengrabens verlaufen: Franz Josef Wagner rüstet ab. Hinter der Empörungswut erscheint zunehmend eine Suche nach dem verlorenen Paradies. Bisweilen endet sie in der Sackgasse tradierter Frauenbilder und dem mütterlichen Schoß – wie jüngst in einem Interview mit dem »Zeit-Magazin«, in dem er sinniert, aus seinen Texten spreche »die Sehnsucht nach etwas Mütterlichem, Rote-Kreuz-Schwesterlichem, Tröstendem. (…) Nach Frauen, die dem Soldaten die letzte Zigarette hinhalten, und dann sagt der Soldat ›Mama‹.« Klar, auch Franz Josef Wagner ist alt geworden. Doch er ist bestrebt, dem Verfall etwas entgegenzusetzen. Das zeigt sich etwa in seiner Suche nach dem »idealen Satz«, die sich in den Fragmenten seiner Kolumne zunehmend als Suche nach einer Utopie der Sprache gestaltet. Was? Wagner? Utopie? Seien wir ehrlich: Deutschland hat sich verändert, Franz Josef Wagner verändert sich auch. Der Blick wird frei auf den Prosa-Poeten-Mensch FJW. Zu seinem 80. Geburtstag fragen wir uns gemeinsam mit ihm: »Wer bin ich? Werde ich noch gebraucht? Wo gibt es noch Wasser? Wo ist mein Paradies?« »Post von Wagner« ist die meistgelesene Kolumne eines deutschen Printmediums. In der Zeit ihres 22-jährigen Bestehens ist der Kolumnist indes selbst zum Medium geworden. Die Person Franz Josef Wagner sollte einst bei »Bild« mittels der eigens für ihn geschaffenen Position »Chefkolumnist« aus den Redaktionsräumen verdrängt werden. Man wollte ihn nicht mehr haben – jedenfalls nicht mehr so ganz. Heute ist er in der Verlässlichkeit, mit der er zum Volk (und mit der das Volk durch ihn spricht), Vorbild- und Vaterfigur, ohne den autoritären Geist hergebrachter Vaterfiguren wiederzubeleben – der alternde Wagner als aufgehender Leitstern der postödipalen Gesellschaft? Seiner eigenen Fehlbarkeit ist sich FJW dabei stets bewusst: »Wenn ich zwei mittelgute Kolumnen geschrieben habe und zwei gute, dann muss schon eine sehr gute kommen. Das ist mein Anspruch. Nichts ist schöner als das unbewusste Gelingen, denn Malerei ist Handwerk. Dichtung ist Zufall.« Das »unbewusste Gelingen« schleicht sich in Wagners Texte durch die Hintertür der freien Assoziation. Fehlleistungen – grammatikalische wie politische – sind hier erlaubt, ohne sich jemals zum Programm zu verhärten, ganz entgegen sonstiger »Bild«-Inhalte. Zunehmend aber scheint Franz Josef Wagner trotz seiner väterlichen Qualitäten auch einen Regressionswunsch zu artikulieren. Der Ort – die Seite 2 des Boulevardblatts, in kalkuliertem Gleichmaß; der Inhalt – stets unberechenbar und widersprüchlich. Wagner drückt seine Regressionswünsche insbesondere in Form infantiler Neologismen und Lautmalereien aus: So will er sich von der bisexuellen Torhüterin Nadine Angerer als imaginierte große Schwester beschützen und auf eine Expedition in die Arktis mitnehmen lassen. In kindlicher Faszination nennt er sie »Männer-Frau-Mensch« mit einem »Abenteuer-Gesicht«. In der Arktis strecken sie gemeinsam die Füße in ein Wasser, das so »brr-brr-kalt« ist, wie vor 100 Jahren in Deutschland, als man das Wort »Sommerfrische« noch kannte und die Menschen von Klimawandel und »Isothermen« nichts zu wissen brauchten. Der Klimawandel weckt in ihm Urängste, er leugnet ihn nicht. Zum Unbewussten gelangt Wagner auch durch eine Vielzahl rhetorischer Fragen. Diese weisen seine literarische und analytische Autorität aus, werden aber auch im Bewusstsein gestellt, dass man sich seines Wissens nie zu sicher sein sollte. Wagner hinterfragt zuvor Postuliertes umgehend selbst. »Post von Wagner« – ein fortwährendes Zwiegespräch des Kolumnisten mit sich und der Nation? In seinen fragmentarischen Texten verbindet sich das Subjekt Wagner immer wieder mit einer verwalteten, fragmentierten Welt. In den kurzen, oft abgehackt montierten Sätzen finden wir eine Gesellschaft wieder, die am Zerfallen ist. Die von Wagner in die Luft gezeichneten Sprachbilder bieten uns dennoch die Möglichkeit, die verlorenen Bande zwischen der Welt und dem Ich zu schließen. In ihrer Offenheit, ihrem antithetischen Aufbau und ihrer tastend-suchenden Bewegung besitzt seine Sprache nicht zuletzt Eigenschaften, die auf das Nichtidentische verweisen. Neben der sprachlich-konkreten Ausgestaltung der einzelnen Kolumnen ist es die im seriellen Medium angelegte Illusion der Unendlichkeit, die, wie in der Psychoanalyse, eine gelingende Arbeit mit dem Unbewussten erst ermöglicht. Dabei muss in Anbetracht der Unendlichkeit nicht jede psychoanalytische Sitzung gelingen und nicht jede Kolumne sitzen. Keiner wüsste das besser als Franz Josef Wagner selbst. Das Ausdehnen von Wagners Kolumne ins Unendliche zeigte sich zuletzt auch in seiner »Sehnsucht nach der Sehnsucht« – eine Empfindung, die er dem auf Zigaretten und Salz verzichtenden Gesundheitsminister Karl Lauterbach abspricht. Ewiges Sehnen, das ist bei Wagner der schweifende Blick in die Vergangenheit. Eine Vergangenheit, die vage bleibt; abstrakte, gestauchte Vorzeit, die mal seine eigene Lebensspanne umfasst, mal die der gesamten Menschheit. Wagner lässt einen spüren: Die Vergangenheit vergeht nicht, aber sie leuchtet schön. Niklas Minkmar schaute vor einigen Jahren in der »FAZ« auf Franz Josef Wagners Autobiografie »Brief an Deutschland« und zog den Vergleich zu Michel de Montaignes »Essais«. Für ihn liegt das Gemeinsame des Chefkolumnisten und des Philosophen aus der frühen Neuzeit vor allem in der Einsamkeit, aus der sich beide herausschrieben. Mehr noch als die Einsamkeit ist es aber die in diesem Zustand empfundene Schwermut, die Wagners Sehnsucht nach einer verlorenen Zeit die Zugkraft verleiht. Wagner ist Melancholiker. Sei es fragend, nostalgisch verklärend oder fatalistisch, seine Sprache, sein Sehnen, richtet sich auf das abhandengekommene Objekt der Begierde. Der Grund des Verlustes? Die Gegenwart. An ihr bleibt Franz Josef Wagner auch im Blick zurück schmerzhaft haften. Schaut er zum Beispiel nach Russland, so begegnet ihm zunächst die vergangene Größe alter Helden: »Russland hatte einmal so viele gute Männer. Tolstoi, Dostojewski, Gorbatschow.« Unterbrochen wird das Eintauchen in die vergangene Zeit nur durch den lethargischen Blick in eine düstere Gegenwart: »Heute ist es so, als würde die Sonne über dieses Land nicht mehr scheinen.« Traurig stimmt ihn dieses Russland, aus dem nun wirklich nur noch Gräuel entsteht. Anders, wenn sein Blick nach Frankreich schweift. Das Frankreich der Vergangenheit? Für ihn ein Hort der Schönheit: »Frankreich ist für mich, auf einer Terrasse zu sitzen über Cannes, die weißen Gipfel der Alpen zu sehen und darunter das blaue Meer.« Ein Bild vom alten Frankreich, das ihm allerdings nur durch die Medien Jean-Luc Godard, Brigitte Bardot und Francoise Sagans »Bonjour Tristesse« erscheint. Bewusst unterbricht er seine eigene vorgeprägte und sehnsuchtsvolle Perspektive: »Ich habe nie Urlaub gemacht in Vororten von Paris, die man Banlieue nennt.« Die Gegenwart der in Frankreich immer wieder aufflammenden gewaltsamen Proteste gegen die Regierung, die ihren Schatten auf das grell kolorierte Bild der Vergangenheit wirft, ist für Wagner aber kein Gräuel wie in Russland. Für ihn, den als »Gossen-Goethe« Verschrienen, sind Unruhen »etwas Revolutionäres« und die Ermordung eines 17-jährigen Schwarzen durch die Polizei so, »als würde man ein Feuerzeug an einen Benzinkanister halten«. Vor Wagners Augen zerfließt die Zeit, das Paradies des Vergangenen, und prallt auf eine Gegenwart, die allerdings trotz seines verklärenden Kulturpessimismus für ihn nicht immer der Ort des Falschen ist. Doch wo ist der Ort des Richtigen? Wo gibt es noch Wasser? Wo liegt das Paradies? Vielleicht in einer Sprache der gegenseitigen Verneinung von Gegenwart und Vergangenheit. Aus der erwächst bei Wagner die Sehnsucht nach einer anderen Gegenwart im Spiegel der golden leuchtenden Vergangenheit. Eine Sehnsucht wie ein Geist, der durch die prosaischen Trümmerfelder seiner Kolumne wandelt, ohne jemals zur Ruhe zu kommen. Am Ende bleibt die Frage: Gibt es für Wagner abseits dieser Sprache einen konkreten Ort, an dem sich diese Sehnsucht einlöst? Ist es Russland, ist es Frankreich, kann es jemals Deutschland sein? Und: Wann ist Schluss mit Wagner, wann mit seiner Kolumne? Man hätte Wagner nicht verstanden, wenn man auf diese Fragen keine Gegenfrage hätte. »Gucken wir unsere Straßen an, die kaputten Brücken. Ich habe nur noch 20 Tabletten, um mein Blut zu verdünnen. Bin ich tot, weil Deutschland nicht mehr so ist wie früher?«
Kristin Böschen und Jonathan Guggenberger
Franz Josef Wagner, seit 2001 Chefkolumnist der »Bild« – ein Phänomen? Jedenfalls ein Mann, über dessen journalistische Blüten man trefflich streiten kann. Und lachen!
Frankreich, Russland
Feuilleton
Kultur »Bild«-Chefkolumnist
2023-08-07T08:44:50+0200
2023-08-07T08:44:50+0200
2023-08-08T12:50:59+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1175329.franz-josef-wagner-zum-geburtstag-das-verlorene-paradies.html
Weltflüchtlingstag: Oranienplatz gegen Entrechtung
In drei Pavillon-Zelten sitzen rund 20 Menschen im Kreis und tauschen sich über den politischen Kampf gegen Abschiebungen und Grenzen aus. Reis mit Bohnen und Erdnusssoße steht gegen Spende bereit, Passanten bleiben stehen und blättern durch die Flyer und Magazine, die auf den Infotischen ausliegen. Es wird diskutiert, gelacht, gerufen: »No one is illegal – Bleiberecht überall!« Bereits am Wochenende lebte der Oranienplatz in Kreuzberg wieder auf. Die O-Platz-Bewegung hatte von Freitag bis Sonntag unter dem Motto »O-Platz lebt« zu einem offenen Treffen eingeladen. Anlässlich des Weltgeflüchtetentages am Dienstag organisieren die Aktivisten aus der Geflüchtetenbewegung »Wir sind O-Platz« dort außerdem eine Kundgebung, die um 18 Uhr starten soll. Die Veranstalter wollen sich mit ihrer Kundgebung für Menschen auf der Flucht einsetzen und »ein starkes Zeichen des Widerstands gegen die Entrechtung von geflüchteten Menschen« setzen, wie es in einer Pressemitteilung vom Montag heißt. Die Bewegung entstand vor knapp elf Jahren, nachdem sich ein 29-jähriger Iraner in einer Würzburger Geflüchtetenunterkunft das Leben nahm. Nach folgenlosen Protestaktionen in Würzburg machten sich mehrere Hundert Geflüchtete auf einen 28-tägigen Fußmarsch nach Berlin auf, wo schließlich der Oranienplatz besetzt und zu einem Protestcamp wurde, um für bessere Asylbedingungen und Aufenthaltsrecht zu demonstrieren. Seitdem ist der Platz ein zentraler Ort der Geflüchtetenbewegung für Proteste, Kundgebungen und Sitzstreiks. Bis heute sind daraus verschiedene Protestgruppen mit unterschiedlichen Schwerpunkten entstanden, beispielsweise International Women* Space, eine selbstorganisierte feministische Gruppe geflüchteter Frauen, oder die Gruppe No Border Assembly, die sich gegen Grenzen jeglicher Art einsetzt. Geeint sind die Gruppen laut Veranstalter in ihrem gemeinsamen Kampf gegen »die Entrechtung durch den zunehmend autoritäreren deutschen Staat, das europäische Grenzregime und die tägliche rassistische Gewalt«. Dass das möglich wurde, liegt auch an Napuli Langa. Sie ist eine der Hauptfiguren der Geflüchtetenbewegung und Mitbegründerin des International Women* Space. Als im April 2014 ein Infozelt der Geflüchteten auf dem Oranienplatz entgegen der ursprünglichen Vereinbarung mit dem Senat abgerissen wurde, kletterte Langa auf eine Platane und kam erst vier Tage später wieder herunter, als der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg die dauerhafte Genehmigung für ein Infozelt erteilte. »Wir wollen unsere Bewegung auf die Straße tragen und in Kreuzberg mit Präsenz unsere Forderungen unterstreichen«, sagt Langa. Turgay Ulu war schon 2012 beim Protestmarsch aus Würzburg nach Berlin mit dabei. »Wir fordern die Abschaffung der Residenzpflicht, des Lagersystems und der Abschiebungen«, erläutert Ulu die Forderungen der Bewegung gegenüber »nd«. Die Residenzpflicht sieht vor, dass Asylsuchende und Geduldete in Deutschland sich nur in einem von der für sie zuständigen Behörde festgelegten Bereich aufhalten dürfen. Der Aktivist saß in der Türkei 15 Jahre im Gefängnis und floh nach Deutschland. Er verweist auf die Geschehnisse am vergangenen Mittwoch, als ein Boot mit Geflüchteten südlich der griechischen Stadt Pylos sank – 78 Leichen barg die griechische Küstenwache daraufhin. Einer von unzähligen Vorfällen. Allein in diesem Jahr sind bei dem Versuch der Flucht über das Mittelmeer schon über 1000 Menschen gestorben. »Wenn die Leute im Krieg nicht sterben, dann sterben sie unterwegs«, sagt Turgay Ulu im Gespräch mit »nd«. Auch Franziska Brychcy von der Berliner Linkspartei kritisiert den Status Quo der deutschen Asylpolitik: »Immer mehr und höhere Mauern werden Menschen nicht an der Flucht hindern, aber noch mehr Leid und Elend verursachen. Die Festung Europa muss fallen. Mehr denn je brauchen wir Solidarität, zentraler Grundwert eines menschlichen Europas.« Die Landesvorsitzende plant am Weltgeflüchtetentag auch an einer Kundgebung teilzunehmen, allerdings nicht auf dem Oranienplatz bei Ulu und Langa und den anderen Aktivisten der Geflüchtetenbewegung, sondern vor dem Bundesministerium des Inneren, wie die Berliner Linke-Pressesprecherin Diana Buhe auf Anfrage von »nd« mitteilte. Dort findet die Kundgebung »Nein zu Geas!« statt.
Noah Kohn
Unter dem Motto »O-Platz lebt« veranstaltet die Geflüchtetenbewegung am Dienstagabend in Kreuzberg eine Kundgebung. Anlass ist der Weltgeflüch­te­ten­tag, der jährlich am 20. Juni stattfindet.
Bayern, Berlin, Friedrichshain-Kreuzberg
Hauptstadtregion
Berlin »O-Platz lebt«
2023-06-19T17:32:54+0200
2023-06-19T17:32:54+0200
2023-06-20T18:04:04+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1174105.weltfluechtlingstag-oranienplatz-gegen-entrechtung.html
Solidaritätskundgebungen für Vermisste in Quito
Nach der Entführung eines Journalistenteams im ecuadorianisch-kolumbianischen Grenzgebiet formieren sich Kundgebungen für die Vermissten. In Ecuadors Hauptstadt Quito kamen am Dienstagabend (Ortszeit) hunderte Menschen auf dem zentralen Plaza Grande in der Altstadt zusammen. Sie forderten von der Regierung, sich für die Freilassung der zwei Journalisten und ihres Fahrers einzusetzen. Der Protest wurde als eine Solidaritätskundgebung organisiert und sollte ein Zeichen gegen Einschüchterungen gegenüber MitarbeiterInnen und VertreterInnen von Medienanstalten setzten. Wie Ecuadors Regierung bestätigte, ereignete sich die Entführung bereits am Montag in der Gemeinde Mataje in der Küstenprovinz Esmeraldas, nur wenige Kilometer von der kolumbianischen Grenze entfernt. Die Behörden gehen davon aus, dass die beiden Journalisten und der Fahrer der Tageszeitung »El Comercio« nach Kolumbien gebracht wurden. Es habe einen ersten Kontakt mit den Entführern gegeben. »El Comercio« ist eine der größten Tageszeitungen des Landes. Zahlreiche JournalistInnen fordern die amtierende Regierung unter Präsident Lenin Moreno jetzt dazu auf, sich für die Sicherheit im Grenzgebiet zu Kolumbien einzusetzen, damit sie weiter von vor Ort berichten können. In sozialen Medien verwenden sie dazu den Hashtag #nosFaltan3 (#unsFehlen3) und #LosQueremosDeVuelta (#WirWollenSieZurück). Die Entführung sei eine Folge des harten Durchgreifens gegen Drogenbanden und bewaffnete Gruppen im Grenzgebiet, erklärte Ecuadors Innenminister César Navas. In der Region waren die »Revolutionären Streitkräften Kolumbiens« (FARC) bis zuletzt aktiv, mit denen die amtierende Regierung Kolumbiens Ende 2016 Frieden geschlossen hat. In vielen Gebieten gibt es Probleme bei der Umsetzung des Friedenvertrags, die Gewalt hat seit der Unterzeichnung des Abkommens zum Teil sogar zugenommen. Seit Jahresbeginn hat es in Esmeraldas mehrere Attentate auf Soldaten und Militäreinrichtungen gegeben. Bei einer Explosion in der Gemeinde Mataje wurden in der vergangenen Woche drei Soldaten der Luftwaffe getötet. Kolumbien und Ecuador vereinbarten daraufhin, ihre Sicherheitsmaßnahmen an der Grenze zu verstärken. Mit epd
Katharina Schwirkus
Nach der Entführung eines Journalistenteams im ecuadorianisch-kolumbianischen Grenzgebiet demonstrierten Menschen für die Vermissten. In Ecuadors Hauptstadt Quito forderten hunderte Menschen die Regierung auf, sich für die Freilassung einzusetzen.
Ecuador, Entführung, FARC, Kolumbien
Politik & Ökonomie
Politik Kidnapping in Ecuador
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1083816.solidaritaetskundgebungen-fuer-vermisste-in-quito.html
Mit der Schmalspurlok zum Eiffelturm
Die Dampflokomotive 996001 der Harzer Schmalspurbahnen (HSB) stammt aus dem Jahr 1939. Ab dem 30. März geht die alte Dame als »Botschafterin« des Harzes sowie der Bundesländer Sachsen-Anhalt und Thüringen auf Promotionfahrt. Für »HSB on Tour« wird sie auf einem Straßentieflader europäische Weltstädte wie Paris, Brüssel, Amsterdam oder Antwerpen besuchen. Matthias Wagener, Geschäftsführer der HSB, erinnert sich, wie er einst mit einer Harzer Dampflok durchs Brandenburger Tor fuhr. »Heute unmöglich. Aber demnächst parkt unsere Lok vorm Eiffelturm und dem Europaparlament.« Die HSB feiert in diesem Jahr gleich drei Jubiläen. Noch heute schaut Wagener begeistert zurück, in welcher Geschwindigkeit 1991 länderübergreifend daran gearbeitet wurde, das gesamte, damals 131 Kilometer lange Streckennetz zu entwickeln. »Uns war damals klar, Selketal-, Harzquer- und Brockenbahn sollen gemeinsam entwickelt werden.« 2016 steht nun als Jubiläumsjahr im ... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Uwe Kraus, Wernigerode
2015 zählten die Harzer Schmalspurbahnen rund eine Million Reisende. Ab Ende März geht die Dampflok auf Europatournee - auf dem Tieflader.
Harz
Politik & Ökonomie
Politik
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Trump will Zölle auf Autos erheben
Jetzt heißt es wohl Harley-Davidson gegen BMW, VW und Mercedes. Im Handelsstreit zwischen ihm und dem Rest der Welt hat Donald Trump am Wochenende nämlich nachgelegt. »Wenn die EU ihre bereits massiven Zölle und Barrieren für dort Handel treibende US-Unternehmen weiter ausweiten will, werden wir einfach eine Steuer auf ihre Autos erheben, die ungehindert in die USA strömen«, schrieb der US-Präsident auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Ausgelöst hatte die aktuelle Auseinandersetzung er. Vergangenen Donnerstag kündigte Trump an, ab dieser Woche Sonderzölle von 25 Prozent auf Stahl- und von zehn Prozent auf Aluminiumimporte in die USA zu erheben. »Wenn ein Land viele Milliarden im Handel mit nahezu allen Ländern verliert, dann sind Handelskriege gut und leicht zu gewinnen«, versuchte der Republikaner die umstrittenen Maßnahmen zu begründen. In Brüssel nahm man den Fehdehandschuh schnurstracks auf. »Wir werden nicht tatenlos zusehen, wie mit unfairen Maßnahmen gegen unsere Industrie vorgegangen wird, die Tausende europäischer Arbeitsplätze gefährden«, erklärte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und brachte Strafzölle auf US-amerikanische Produkte wie Bourbon-Whiskey, Harley-Davidson-Motorräder oder Levi’s-Jeans seitens der EU ins Gespräch. US-Sonderzölle auf Fahrzeuge könnten vor allem Deutschland hart treffen. »Die Automobilindustrie macht inklusive der Zulieferbetriebe fast acht Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts aus«, erklärte der stellvertretende Vorsitzende der LINKEN im Bundestag, Fabio De Masi. Für den Wirtschaftsexperten ist die deutsche Wirtschaftspolitik jedoch nicht unschuldig an den Zerwürfnissen. »Die deutschen Exportüberschüsse sind ein Sicherheitsrisiko für die Weltwirtschaft«, so De Masi. Die Weigerung der Bundesregierung, die Binnennachfrage durch Abschaffung der gesetzlichen Lohnbremsen der Agenda 2010 und durch öffentliche Investitionen anzuschieben, erweise sich nun als Bumerang. »Mit US-Strafzöllen droht nun statt einer kontrollierten Anpassung der Schock.« Dabei legt sich Trump durch die Einführung von Sonderzöllen auf Autos, Aluminium und Stahl nicht nur mit der EU an. Auch China wäre zum Beispiel von der Maßnahme betroffen. Und auch da ist man zu Gegenmaßnahmen bereit. Wenn die USA chinesischen Interessen schadeten, »werden wir nicht tatenlos zusehen, sondern notwendige Maßnahmen ergreifen«, sagte der Sprecher der Jahrestagung des chinesischen Volkskongresses, Vizeaußenminister Zhang Yesui, am Sonntag in Peking. Er versicherte aber, China wolle »keinen Handelskrieg« zwischen den beiden größten Volkswirtschaften. China ist offiziell für rund zwei Prozent der Stahlimporte in den USA verantwortlich, doch findet chinesischer Stahl auch auf Umwegen seinen Weg in die USA, wie Experten schilderten. »In einer so großen Beziehung ist es nur natürlich, dass es Spannungen gibt«, sagte Zhang Yesui. Die Lösung sei aber, die Märkte zu öffnen und »den Kuchen der Kooperation größer zu machen«. Mit Agenturen
Simon Poelchau
US-Präsident Donald Trump legt in dem Handelsstreit mit der EU nach. Nun sollen auch Autoimporte in die USA mit einem Sonderzoll belegt werden. Das könnte vor allem die deutsche Wirtschaft hart treffen.
China, Donald Trump, Europäische Union, USA, Welthandel
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt USA befeuern Handelsstreit
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Der talentierte Mr. Farrow
Im vergangenen Dezember ist Ronan Farrow 30 Jahre alt geworden. Da war es gerade zwei Monate her, dass in dem Magazin »New Yorker« seine Reportage über die sexuellen Übergriffe des Filmmoguls Harvey Weinstein erschienen war. Zehn Monate lang hatte der Sohn von Regisseur Woody Allen und der Schauspielerin Mia Farrow mit Opfern sowie mit Angestellten der Weinstein Company gesprochen und nicht nur die Mechanismen des Missbrauchs durch den mächtigen Filmproduzenten, sondern auch die sie umgebende Kultur des Schweigens akribisch aufgearbeitet. Der Artikel traf einen Nerv. In den folgenden Wochen teilten unzählige Frauen unter dem Hashtag MeToo Erlebnisse sexueller Belästigung, das Thema beherrschte die Schlagzeilen über Monate. Angespornt durch den Mut der Frauen, die Farrow ihre Leidensgeschichte erzählten, fühlten sich Frauen auch außerhalb der Filmbranche dazu ermutigt, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen. Die durch Farrows Enthüllungen ausgelöste Bewegung veränderte den Diskurs über sexuelle Gewalt, wahrscheinlich für immer. Dafür erhielt er am 16. April gemeinsam mit zwei Kolleginnen der »New York Times« den renommierten Pulitzer-Preis in der Kategorie »Dienst an der Öffentlichkeit«. Seitdem gilt Farrow als eine Art Wunderkind des US-amerikanischen Journalismus. Ein Label, das er nur zu gut kennt. Denn die Lebensgeschichte des schmalen 30-Jährigen mit den jugendlichen Gesichtszügen ist alles andere als gewöhnlich. Schon früh nimmt ihn seine Mutter Mia Farrow mit auf Reisen nach Afrika, wo sie ihren Prominentenstatus für humanitäre Zwecke einsetzt. Gleichzeitig wächst Farrow zu Hause in New York mit 13 Geschwistern auf, viele von ihnen kommen aus verschiedenen Krisenregionen der Welt und sind adoptiert worden. »Die Probleme der Welt waren bei uns zu Hause allgegenwärtig«, sagt er später. Auch um dem familiären Chaos und den übermächtigen Elternfiguren zu entfliehen, beginnt der hochintelligente Farrow bereits mit elf Jahren ein Studium am Bard College. Mit 15 wird Farrow an der Jurafakultät der Yale University angenommen, verschiebt sein Studium aber, um sich für einige Jahre humanitärer Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen zu widmen. Er wird Jugendbotschafter des UN-Kinderhilfswerks UNICEF und veranstaltet gemeinsam mit seiner Mutter zahlreiche Benefizveranstaltungen zu Gunsten der Vereinten Nationen. Nach Abschluss seines Jurastudiums 2009 arbeitet Farrow unter dem legendären US-Diplomaten Richard Holbrooke in Afghanistan. In dieser Zeit beginnt er, Meinungsartikel in größeren US-Zeitungen zu veröffentlichen. Vor allem für Kinderrechte macht er sich stark. Auch deswegen wird er 2011 von Hillary Clinton zum Chef eines neu eingerichteten Büros für globale Jugendfragen der US-Regierung gemacht. Nach seiner Zeit beim Außenministerium beginnt Farrow mit Mitte 20 seine journalistische Karriere. Zwei Episoden dieser Zeit haben ihn geprägt. 2014 sollte er für den Fernsehsender NBC den Autor einer neuen Bill-Cosby-Biographie interviewen. Anschuldigungen über sexuelle Übergriffe durch den legendären Komiker gab es damals schon zuhauf, doch die Biographie ließ diesen Teil von Cosbys Leben außen vor. Farrow wollte nachhacken. NBC übte Druck aus, Farrow stellte nur ein einzige Frage zu dem Thema, die der interviewte Autor abwürgte. »Ich schäme mich für dieses Interview«, schrieb Farrow 2016, als das ganze Ausmaß der sexuellen Verbrechen Cosbys klar wurde, in einem sehr persönlichen Artikel für den »Hollywood Reporter«. Kurz zuvor war Farrows eigene Schwester Dylan mit Vorwürfen an die Öffentlichkeit getreten, ihr Vater Woody Allen habe sie als Kind sexuell missbraucht. Als Teil der Medien konnte Farrow die PR-Maschine beobachten, die sein Vater in Gang setzte, um die Beschuldigungen abzuwürgen. In dem Artikel äußerte er sich erstmals zu der Sache. Bedingungslos unterstützt er seine Schwester und bricht endgültig mit seinem Vater. »Wir sehen einen Wandel in der Art und Weise, wie wir über sexuelle Übergriffe und Missbrauch sprechen. Aber es braucht noch viel Arbeit, bis Frauen wie meine Schwester nicht länger so behandelt werden, als seien sie unsichtbar. Es ist Zeit für schonungslose Fragen«, schreibt Farrow am Ende des Artikels, der erschien, als er gerade seine Recherchen für die Weinstein-Story begann. Seitdem hat Ronan Farrow nicht mehr aufgehört, schonungslos nachzufragen. Nicht in der Causa Weinstein und auch nicht bei anderen Fällen sexueller Belästigung, die er seitdem ans Licht der Öffentlichkeit gebracht hat. Anfang dieser Woche erschien wieder ein Artikel von Farrow im »New Yorker«. Darin veröffentlichte er seine Recherchen über Anschuldigungen gegen Les Moonves. Dem 68-jährigen Chef des US-Medienkonzerns CBS wird sexuelles Fehlverhalten vorgeworfen. Dafür, dass ihm der Ruf als Wunderkind, nicht abhanden kommt, sorgt Farrow derweil selbst. Neben seiner journalistischen Arbeit hat er die Zeit gefunden, ein hochgelobtes Buch über den Niedergang der US-Diplomatie zu schreiben, für das er alle noch lebenden ehemaligen Außenminister der USA interviewt hat. »Ich bin eben ein Nerd,« meint Farrow, zuckt mit den Achseln und lacht.
Alexander Gorski
Zehn Monate lang hat Ronan Farrow mit Opfern sowie Angestellten der Weinstein Company gesprochen und nicht nur die Mechanismen des Missbrauchs durch den mächtigen Filmproduzenten, sondern auch die sie umgebende Kultur des Schweigens akribisch aufgearbeitet.
Feminismus, Macht, sexuelle Gewalt, sexueller Missbrauch
Politik & Ökonomie
Politik Ronan Farrow
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Reim auf die Woche
Scharz-Rot-Grün, in trauter Trauer, Fühlt sich jetzt mit Schmidt verwandt, Auch die Gattin von Herrn Sauer, Selbst einst Kanzlerin im Land. Ach, gezählt sind nun die Tage (Schön, es war nicht alles gut), Da ein S-taatschef jede Frage S-trikt entschied und resolut. Wohin läuft die krumme Schiene, Die uns blank ins Morgen führt? Wohin rollt die Schneelawine, Die am Sitz der Höchsten rührt? Wo einst Linienkompetenzen Galten, macht der Geist sich klein, Nur die Gitter an den Grenzen Dürfen groß wie Helmut sein. Martin Hatzius
Redaktion nd-aktuell.de
WOCHENREIM
Feuilleton
Kultur
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Ausflug durch das andere Marzahn
»Wir haben keine Mühen gescheut und für Sie ein gutes Fußballergebnis und schönes Wetter organisiert«, sagt Stefan Komoß (SPD), Bezirksbürgermeister von Marzahn-Hellersdorf, - jenes Berliner Bezirks, dessen Ruf nicht der beste ist. Zuletzt war er unter anderem aufgrund der Proteste gegen ein Asylbewerberheim in der Carola-Neher-Straße in die Schlagzeilen geraten. Komoß und mehrere Bezirksamtsmitglieder hatten am Dienstagmorgen zur 5. Journalistentour geladen, um »beste und grüne Aussichten« auf den Bezirk zu präsentieren - mithin den herkömmlichen Blick auf den Bezirk etwas zu korrigieren. Erste Station der Bustour: die Caspar-David-Friedrich Schule in der Alten Hellersdorfer Straße. Dort stellten vier SchülerInnen der 9. Jahrgangsstufe das sogenannte Berufswahl-Coaching vor - ein Teil des Masterplans »Arbeit und Ausbildung für alle Jugendlichen in Marzahn-Hellerdorf bis 2016«. Ziel dabei: die bereits in den letzten zwei Jahre... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Guido Speckmann
Marzahn-Hellersdorf einmal anders: Auf einer Journalistentour wurden insbesondere positive Entwicklungen gezeigt.
Marzahn-Hellersdorf
Hauptstadtregion
Berlin
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Proteste bei Leipziger Buchmesse erwartet
Noch rund zwei Wochen dauert es bis zum Start der Leipziger Buchmesse, doch bereits jetzt sind die geplanten Veranstaltungstage ein Politikum. Im Zentrum der öffentlichen Debatte stehen erneut extrem rechte und rechtspopulistische Medienhäuser wie der »Compact«-Verlag von Jürgen Elsässer, der »Antaios«-Verlag von Götz Kubitschek oder die Wochenzeitung »Junge Freiheit«. Seit Jahren waren diese mit Unterbrechungen auf verschiedenen Buchmessen vertreten, doch seit dem Aufstieg der AfD wuchs der Widerstand gegen ihre Präsenz. Allein im März 2017 protestierten Hunderte bei der Leipziger Buchmesse spontan vor dem »Compact«-Stand, einige Monate später standen sich dann auf der Frankfurter Buchmesse Dutzende Anhänger der völkischen »Identitären Bewegung« und Antifaschisten gegenüber. Es kam zu Tumulten, der protestierende Frankfurter Stadtverordnete Nico Wehnemann (Die Partei) wurde von einem Messe-Sicherheitsmitarbeiter mit Gewalt zu Fall gebracht. Die grundsätzliche Konfliktlinie zieht sich bis heute fort: Kritiker fordern vehement, dass extrem rechte Verlage aufgrund ihrer Positionen von den Buchmessen ausgeschlossen werden müssen, ihre Gegner weisen auf die Bedeutung der Meinungsfreiheit hin. Dies zeigt sich nun auch wieder in Leipzig. Die Linksfraktion im Stadtrat hatte so jüngst eine Initiative gestartet, um ein Verbot entsprechender Verlage auf der Buchmesse zu erwirken. Die Stadt sollte als Gesellschafterin ihren Einfluss auf die Leipziger Messe geltend machen. »Neu sind Schamlosigkeit und Selbstdarstellungsdrang der extremen Rechten zumindest in der Vehemenz und Konzertiertheit, wie sie auf der Messe im März zu erwarten sind«, erklärte die LINKE-Landtagsabgeordnete und Stadträtin Juliane Nagel. »Diese Akteure sind Stichwortgeber für tätliche Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten, für Angriffe auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau, auf gleichgeschlechtliche Lebensweisen, auf demokratische Prinzipien - kurzum auf progressive Errungenschaften unserer Zeit.« Der Linkspartei-Vorstoß scheiterte jedoch letztlich. »Wir sind Demokraten, deshalb müssen wir auch Meinungen zulassen, die sich gegen unsere Meinung richten«, erklärte CDU-Stadtrat Michael Weickert laut der »Leipziger Volkszeitung«. »Niemand hat ein Problem damit, wenn man diese Verlage anprangert oder dagegen demonstriert«, aber ein Verbot sei ein Unterschied, fügte Grünen-Fraktionschef Norman Volger hinzu. Wichtiger als ein Verbot sei ein Programm, das »Hass, Hetze und dumpfen Nationalismus« entlarve, forderte SPD-Fraktionschef Christopher Zenker. Mit dem fehlgeschlagenen Verbot werden viele Antifaschisten ihre Hoffnungen nun in die Proteste setzen. Die Initiative »Verlage gegen Rechts« ruft für den Beginn der Buchmesse, am Abend des 14. März, zu einer Kundgebung auf dem Augustusplatz auf. Mehr als 70 Verlage und 160 Einzelpersonen, Verbände und Buchhandlungen unterstützen den Aufruf. »Wir treten für die Teilhabe möglichst vieler Menschen an Literatur, Kultur und Bildung ein«, heißt es dort. »In krassem Gegensatz zu solch einer grundsätzlich offenen Haltung stehen rechte Medien, die seit Jahren auf der Leipziger Buchmesse präsent sind.« Deren Positionen seien keine Diskussionsbeiträge, denn an einem Austausch seien diese nicht interessiert. »Sie sind die Scharfmacher, in deren Windschatten sich Gewalttäter bewegen.« Während der Messe sind von der Initiative verschiedene Diskussionsrunden geplant, etwa zu den Themen Antifeminismus, Flucht und Kulturarbeit in Ostdeutschland. Auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken bereiten sich derweil auf die Buchmessetage vor. »Es gibt das Potenzial für einen massiven antifaschistischen Widerstand - und wir freuen uns darauf, dass Leipziger Antifaschisten ihre Möglichkeiten ausschöpfen werden«, heißt es etwa einem Diskussionspapier der linksradikalen Gruppe »The Future is unwritten« (Die Zukunft ist ungeschrieben). Ziel solle es ihrer Meinung nach sein, Rechten die Bühne zu verwehren und den Veranstaltern der Buchmesse »praktische Anreize zu geben, die rassistischen Fans patriarchal-autoritärer Zustände nicht mehr einzuladen«. Doch auch die linksradikale Gruppe sieht ein, dass sie um eine Diskussion über die Auswirkungen ihrer Proteste nicht herumkommt. »Wir stehen hinter dem Prinzip der Meinungsfreiheit«, stellen die Antifaschisten klar. Aber wie umgehen mit dem Widerspruch? »Wir verhindern rechte Kundgebungen, Demos und Stände - aber sind uns dabei im Klaren, dass wir dabei vorläufig mit unseren eigenen politisch-normativen Standpunkten brechen.«
Sebastian Bähr
Sollten reaktionäre Medienhäuser ungestört auf Buchmessen für ihre Positionen werben dürfen? In Leipzig wird dies hitzig diskutiert. Auch Gruppen der außerparlamentarischen Linken bereiten sich auf die Buchmessetage vor.
Antifa, Buchmesse, Leipzig, Leipziger Buchmesse, linke Bewegung, Literatur, Meinungsfreiheit, Sachsen
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Politik Rechte Verlage
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Warnung vor dem Feind
Vor der Parlamentswahl im November besucht Israels Premier Jair Lapid noch schnell Deutschland. Der offensichtlich wichtigste Grund: Die Bundesregierung festzunageln auf eine unversöhnliche Position gegenüber dem Iran bei den Atomverhandlungen. Israelische Politiker beschwören regelmäßig die Gefahr, die vom Iran ausgehe. Jetzt scheint der Zeitpunkt günstig, die stockenden Verhandlungen zu Grabe zu tragen. Ohne ein neues Atomabkommen wird die Welt aber nicht sicherer – und ein weiter unter Sanktionen stehender Iran nicht handzahmer. Ritualisierte Warnungen vor dem Iran dienen auch dazu, die öffentliche Meinung in Israel abzulenken von einem viel drängenderen Problem: Wie wollen die Israelis mit den Palästinensern zusammenleben? Darauf gibt es keine Antwort; nicht mal die Frage wird noch ernsthaft diskutiert bei solch hochrangigen Zusammenkünften. Israel will das »Problem« aussitzen, kraft seiner militärischen Überlegenheit unter Kontrolle halten. Deutschland täte gut daran, seiner Verantwortung nachzukommen, indem es dem befreundeten Israel klar macht, dass der Status quo keine Zukunft hat und nur in weitere Gewalt münden kann.
Cyrus Salimi-Asl
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hat am Montag Israels Regierungschef Jair Lapid in Berlin empfangen. Bei dem Treffen ging es um bilaterale Beziehungen und regionale Themen, vor allem um den Konflikt mit dem Iran.
Iran, Israel, Nahost
Meinung
Kommentare Israel
2022-09-12T18:34:43+0200
2022-09-12T18:34:43+0200
2022-09-13T13:00:54+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1166876.warnung-vor-dem-feind.html
Chemnitz: Familie Son droht Abschiebung
Die Familie Son in Chemnitz findet nicht zur Ruhe. In der vergangenen Woche hat die Ausländerbehörde Chemnitz die Angehörigen des ehemaligen DDR-Vertragsarbeiters Pham Phi Son zur Ausreise nach Vietnam aufgefordert. Die Duldung seiner Frau Hoa Nguyen und der gemeinsamen Tochter Emilia (6) seien nicht verlängert worden. Stattdessen hätten sie Kontakte einer Ausreiseberatungsstelle ausgehändigt bekommen, erzählt Pham Phi Son im Gespräch mit »nd.derTag«. Sollten sie nicht freiwillig ausreisen, hieß es, könnten sie jederzeit abgeschoben werden. Ein Sprecher der Stadt Chemnitz war wegen des Feiertages am Donnerstag nicht erreichbar. Die Duldung von Pham Phi Son selbst, der seit 1987 in Sachsen lebt, wurde dagegen verlängert. Eine Duldung ist allerdings kein Aufenthaltstitel, sondern lediglich die Aussetzung der Abschiebung. Son sagt »nd«, die Behörde wolle damit seine lange Aufenthaltszeit in Deutschland würdigen. Hinzu kommt aber, dass sie ihn, anders als Frau und Kind, gar nicht abschieben kann, weil die vietnamesische Botschaft seinen Reisepass nicht verlängert. Dave Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat bestätigte die Angaben gegenüber »nd«. Pham Phi Son kam 1987 als Vertragsarbeiter in die Stadt, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß. Er arbeitete sein halbes Leben in der Gastronomie, zeitweise war er arbeitslos. Er hatte eine Wohnung, eine Niederlassungserlaubnis und zahlte Steuern. Bis 2017. Damals entzog ihm die Ausländerbehörde Chemnitz seinen Aufenthaltsstatus. Der Grund dafür war, dass er aufgrund einer medizinischen Behandlung ein Jahr zuvor länger als sechs Monate in Vietnam gewesen war. Nach sechs Monaten Aufenthalt außerhalb Deutschlands kann ein Aufenthaltstitel erlöschen. Das Amtsgericht Chemnitz beurteilte seine Wiedereinreise im März als zulässig. Seinen Aufenthaltstitel bekam Son jedoch nicht zurück, eine frühere Klage der Familie vor dem Verwaltungsgericht scheiterte, ebenso wie ihre Anträge an die Sächsische Härtefallkommission. Nun droht der Familie, auseinandergerissen zu werden. Schmidtke vom sächsischen Flüchtlingsrat spricht von der Absicht einer »grundgesetzwidrigen Familientrennung«. Die Chemnitzer Ausländerbehörde argumentiere außerdem mit einem überholten Familienbild, so Schmidtke. Son und seine Frau haben in Vietnam nach traditionellem Ritual die Ehe geschlossen, nicht standesamtlich. Beide lebten aber zusammen und sorgen für die gemeinsame Tochter. »Die Ausländerbehörde spricht der Familie die Familieneigenschaft ab«, kritisiert Schmidtke. Auch Pham Phi Son akzeptiert das nicht. »In Deutschland gibt es doch so viele Familien ohne Eheurkunde. Sind die denn alle keine Familien?«, fragt er. Die linke Landtagsabgeordnete Juliane Nagel spricht sich gegenüber »nd« ebenfalls gegen die Abschiebung aus. Schmidtke kritisiert darüber hinaus, dass die Ausländerbehörde die eigens eingeforderten Integrationsnachweise nicht würdige: Beide Elternteile hätten inzwischen deutsche Sprachprüfungen abgelegt, wenn auch auf niedrigem Niveau. Hoa Nguyen besuche einen weiteren Deutschkurs. Beide haben inzwischen ein unbefristetes Arbeitsverhältnis in einem Gastronomiebetrieb, der für Seniorenheime kocht. Dort werden sie dringend gebraucht. Sachsens Gastronomie leidet unter Arbeitskräftemangel und wirbt Personal aus dem Ausland an, auch aus Vietnam. Die Familie versuche die Verweigerung der Duldung mit Hilfe ihrer Anwältin rechtlich anzufechten, sagt der Flüchtlingsratssprecher, »aber Frau und Tochter können jede Nacht von der Bundespolizei abgeholt werden. Und sie leiden psychisch sehr«. Einziges Kapital der Familie ist der öffentliche Druck, der nach wie vor anhält. 104 000 Menschen haben eine Petition an die Sächsische Landesregierung mit der Forderung nach einem Bleiberecht unterschrieben. Politiker*innen von SPD, Linke, FDP und Grünen sowie die katholische Kirche, deren Mitglieder die Familienangehörigen sind, haben öffentlich ein Bleiberecht gefordert. Der Flüchtlingsrat schließt einen öffentlichen Protest in Chemnitz nicht aus, sollte der rechtliche Weg keinen Erfolg bringen. »Es gibt zahlreiche empörte Zuschriften aus dem gesamten Bundesgebiet«, sagt Sprecher Dave Schmidtke. Die Ausländerbehörde Chemnitz hatte der Familie im März geraten, sich wegen eines Bleiberechtes erneut an die Sächsische Härtefallkommission zu wenden. Deren Vorsitzender, der CDU-Hardliner Geert Mackenroth, hatte allerdings gegenüber der in Chemnitz erscheinenden »Freien Presse« angedeutet, dass es dort gar nicht zu einer erneuten Befassung des Falles kommen könnte. Die Familie hatte sich schon dreimal an die Härtefallkommission gewandt. Zweimal war der Antrag abgelehnt worden, einmal hatte der Vorsitzende die Befassung abgelehnt, weil er keine neuen Fakten sah.
Marina Mai
Der Kampf um den Aufenthalt geht weiter: Nachdem Pham Phi Son in Chemnitz weiterhin geduldet wird, droht Frau und Tochter die Abschiebung nach Vietnam. Flüchtlingsrat kritisiert die mögliche Familientrennung und erwägt Protest.
Asylpolitik, Chemnitz, Flüchtlinge, Sachsen, Vietnam
Politik & Ökonomie
Politik Flüchtlingspolitik
2023-05-18T16:43:35+0200
2023-05-18T16:43:35+0200
2023-05-20T18:34:37+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1173328.chemnitz-familie-son-droht-abschiebung.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Tausende demonstrieren in Bochum gegen Rassismus
Berlin. Das war doch schon einmal ein Auftakt: Am Samstag haben in Bochum rund 8.500 Menschen gegen Rassismus protestiert. Ver.di-Chef Frank Bsirske sprach sich auf der Kundgebung dafür aus, gemeinsam mit den Arbeitgebern ein Integrationsjahr für Flüchtlinge zu schaffen. Die Aktionen gegen am Sonntag in mehreren deutschen Städten weiter: Unter dem Motto »Hand in Hand gegen Rassismus« erwarten die Organisatoren in Berlin, Hamburg, Leipzig, München und weiteren Orten zehntausende Teilnehmer. Sie wollen mit Menschenketten ein Zeichen für ein weltoffenes und vielfältiges Deutschland setzen. Zu den Organisatoren gehören Amnesty International, Pro Asyl, Terre des Hommes, Brot für die Welt, Miseror, der Paritätische Gesamtverband und der DGB. Die Aktion »Hand in Hand gegen Rassismus« begründen die Veranstalter mit dem Anstieg rechtsextremer Gewalt in Deutschland und der Flüchtlingspolitik. Auch in mehreren kleineren Städten wie Osnabrück, Karlsruhe und Gießen haben sich Bürger der Aktion angeschlossen und zu Demonstrationen aufgerufen. Die UN-Vollversammlung hat den 20. Juni zum zentralen internationalen Gedenktag für Flüchtlinge ausgerufen. Agenturen/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Das war doch schon einmal ein Auftakt: Am Samstag haben in Bochum rund 8.500 Menschen gegen Rassismus protestiert. Die Aktionen gegen am Sonntag in mehreren deutschen Städten weiter: »Hand in Hand gegen Rassismus«.
Bochum, Demonstration, Flüchtlinge, Rassismus, Solidarität
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Zum Frühstück gibt’s Buletten
Auf der Großbaustelle für den »CleanTech Business Park« in Berlin-Marzahn war es am Montagmorgen ungewöhnlich ruhig. Denn ein Teil der dort tätigen Bauarbeiter gönnte sich eine deutlich ausgedehnte Frühstückspause mit Kaffee und Buletten. Dazu aufgerufen hatte die IG BAU, um gegen die unzumutbaren »Angebote« der Arbeitgeber in der laufenden Tarifrunde für das Bauhauptgewerbe hinzuweisen. Während die Gewerkschaft für die insgesamt 760 000 Beschäftigten und Auszubildenden der Branche Lohnerhöhungen und strukturelle Verbesserungen mit einem Gesamtvolumen von sieben Prozent fordert, hätten die Unternehmerverbände einen »regelrechten Horrorkatalog vorgelegt«, so der Branchensekretär für das Bauhauptgewerbe in Berlin und Brandenburg, Hivzi Kalayci. Dazu gehören die Streichung des Weihnachts- und die Kürzung des Urlaubsgeldes, die Erhöhung der zulässigen Tagesarbeitszeit auf zehn Stunden sowie Kürzungen bei den Pauschalbeträgen und Fahrtkostenerstattungen für Tätigkeiten auf auswärtigen Baustellen. Auch das Angebot einer Lohnerhöhung um 1,6 Prozent bei einer Laufzeit von 30 Monaten bewertet die Gewerkschaft eher als Provokation denn als verhandlungsfähiges Angebot. Speziell für Berlin wird zudem verlangt, dass dort künftig in allen Teilen der Stadt nicht mehr wie bisher der West-, sondern der niedrigere Osttarif Anwendung findet. Besonders dieser Punkt bringe viele Kollegen in Berlin auf die Palme, so Kalayci. Statt endlich die Tarifmauer zwischen West und Ost allgemein abzureißen, die Löhne auf das höhere Westniveau anzuheben und die Ost-Kollegen auch endlich in das Betriebsrentensystem einzubeziehen, wollten die Unternehmer den umgekehrten Weg gehen. Dies werde man sich keinesfalls gefallen lassen. Als Warnstreik wird der »Bau-Buletten-Protest«, der auch auf anderen Baustellen durchgeführt werden soll, ausdrücklich nicht bezeichnet. Denn die Gewerkschaft befindet sich trotz laufender Tarifverhandlungen, die am Montag in Frankfurt am Main fortgesetzt wurden, noch in der Friedenspflicht. Dies hängt mit einer Besonderheit der Branche zusammen; für das Bauhauptgewerbe ist seit Jahrzehnten tariflich festgelegt, dass nach gescheiterten Verhandlungen ein Schlichtungsverfahren eingeleitet werden muss. Erst wenn dieses zu keiner Einigung führt, dürfen die Gewerkschaften zu befristeten Arbeitsniederlegungen aufrufen oder auch eine Urabstimmung für unbefristete flächendeckende Streiks einleiten. Dazu kam es zuletzt im Sommer 2002. Doch angesichts der außergewöhnlich sturen Haltung der Unternehmer sei es durchaus möglich, »dass es in diesem Jahr wieder so weit ist«, so Kalayci. Dann werde man gerade in der Region Berlin-Brandenburg so streiken, »dass es weh tut«. Als mögliche Streikschwerpunkte nannte er außer dem großen Industriepark in Marzahn auch die Verlängerung der U-Bahn vom Brandenburger Tor zum Alexanderplatz, die Schlossbaustelle in Mitte und den Großflughafen BER. In der Tat sind die Bedingungen für die Durchsetzung angemessener Lohnerhöhungen derzeit recht günstig. Die Branche verzeichnet einen deutlichen Aufschwung, für das laufende Jahr wird ein Investitionsplus von erheblich mehr als vier Prozent erwartet, die Auftragsbücher der Unternehmen sind voll. Auch die Zahl der Beschäftigten wird weiter zunehmen, in einzelnen Sparten droht bereits Fachkräftemangel. Vor diesem Hintergrund seien die Kollegen nicht bereit, sich von den Unternehmern so abspeisen zu lassen, wie diese das vorhätten, betonte IG-BAU-Sprecher Ruprecht Hammerschmidt am Montag nach nd-Anfrage. Er sei sich auch sicher, dass diese Botschaft bei den Arbeitgebern angekommen sei. Daher wolle er nicht ausschließen, dass es in der laufenden Tarifrunde doch noch Bewegung geben wird.
Rainer Balcerowiak
Die Arbeitgeberverbände haben in den laufenden Tarifverhandlungen der IG Bau zufolge einen »Horrorkatalog« vorgelegt. Die Gewerkschaft hingegen fordert sieben Prozent mehr Lohn.
Arbeitgeber, Arbeitnehmer, IG Bau, Tarifverhandlung
Politik & Ökonomie
Politik
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Ein Auto wird zur Therapiecouch
Für die einen ist es die Muse, für die anderen LSD. Woher die Inspirationen, die Kreativität, die Ideen bei der Entstehung eines Kunstwerks kommen, wurde in der Kunstgeschichte schon immer gerne diskutiert. Bei Oto, einer bekannten Drehbuchautorin, ist die Inspirationsquelle der Orgasmus. Nach dem Höhepunkt beginnt Oto ihrem Mann Yusuke Kafuku, einem Bühnenschauspieler und Regisseur, erotische, fantasievolle Geschichten zu erzählen, an die sie sich am Tag danach kaum erinnert. Doch Kafuku merkt sich alles und erzählt ihr ihre Offenbarungen vom Vorabend im Auto auf dem Weg zur Arbeit. So entstehen Otos Werke. Das klingt nach einem schönen, künstlerischen Zusammenleben. Nur, Oto (Reika Kirishima) schläft auch mit anderen Männern, die jeweils andere Teile der nach dem Orgasmus entstandenen Geschichten kennen. Als Kafuku (Hidetoshi Nishijima) dies eines Tages zufällig erfährt, entscheidet er sich fürs Schweigen. Er hat Angst, Oto zu verlieren; so tut er, als wüsste er nichts. Zu dieser Zeit ist er beschäftigt mit einer Inszenierung von Tschechows »Onkel Wanja«, in der er Iwan Petrowitsch Wojnizkij, den Wanja, spielt. Oto hat ihm alle Dialoge vorgesprochen und auf Kassette aufgenommen, außer jene von Wanja. Kafuku lässt diese im Auto abspielen und spricht selber seinen Part. Ein weiteres schönes künstlerisches Ritual dieses Paares. Früher jedenfalls. Denn nun sind diese Auto-Proben für Kafuku eine nervenzehrende Übung. Wo er das eigentliche Gespräch mit Oto meidet, ist er nun im ständigen Dialog mit ihrer Stimme, die ihm mal als Dr. Astrow sagt: »Du beneidest ihn bloß!«, mal als Sonja ihn tadelt: »Nicht deine Überzeugungen sind schuld, schuld bis du selbst.« Und als Wanja gesteht er: »Mein Leben, meine Liebe - was soll ich mit ihnen anfangen?« Theater und Realität mischen sich in diesem Auto, einem roten Saab 900 Turbo, der die eigentliche Bühne des Films »Drive my Car« des japanischen Regisseurs Ryusuke Hamaguchi ist. Das Werk basiert auf der gleichnamigen Kurzgeschichte von Haruki Murakami. Murakami - wiederum inspiriert von einem Lied der Beatles - erzählt darin von einem Schauspieler namens Kafuku, der sich von einer jungen Frau chauffieren lässt. Während der Autofahrten beginnt er auf einmal, der fremden, oft schweigenden Chauffeurin von seiner toten Frau und deren Untreue zu erzählen. Hamaguchi macht daraus einen dreistündigen Film. Dafür ist Murakamis Stoff zu kurz - so lässt Hamaguchi noch andere Texte in die Geschichte einfließen, allen voran um Scheherazade. Seine Version von »Drive my Car« fängt erst nach einem langen - 40-minütigen - Prolog an. Wir sehen aus der Vogelperspektive Kafuku in seinem roten Oldtimer auf der Autobahn fahren. Zwei Jahre sind vergangen, Oto ist gestorben, Kafuku bekommt ein Angebot, bei einem Theaterfestival in Hiroshima »Onkel Wanja« zu inszenieren. Dort wird ihm eine Chauffeurin, Misaki (Toko Miura), zur Verfügung gestellt - gleich, ob er einverstanden ist oder nicht. Nun muss Kafuku die Anwesenheit dieser Fremden in seinem besonderen, rituellen Proberaum, seinem Auto, akzeptieren, in dem Otos Stimme nach wie vor »Onkel Wanja« vorliest - wie eine japanische Scheherazade, die weiterlebt, indem sie weiter erzählt. So wird dieses Auto allmählich zu einem vertraulichen Raum, gar zur Therapiecouch, wo Selbstreflexion stattfindet, die Vergangenheit verarbeitet wird, unbekannte Gedanken in Worte gefasst werden. Dabei sind die Charaktere des Films sparsam mit Worten und Dialogen. Die Stille bekommt eine zusätzliche Bedeutung - wie eine Pause zwischen den Noten in der Musik. Die sonstigen Dialoge sind vor allem die aus »Onkel Wanja«, die bei den langen Proben in Hiroshima gesprochen werden. Auf Englisch, Japanisch, Koreanisch, Mandarin, sogar in koreanischer Gebärdensprache. Denn Kafuku arbeitet mit Schauspieler*innen, die aus verschiedenen Teilen Asiens kommen und jeweils in ihrer eigenen Muttersprache ihre Zeilen sprechen, teilweise ohne die Sprache der anderen zu verstehen. Eine multilinguale Inszenierung. Ist das die Richtung, in die das Theater der Zukunft öfter gehen wird? Hamaguchi jedenfalls schenkt in »Drive my Car« dieser Sprachvielfalt einen großen Raum. »Drive my Car« ist Japans Beitrag, der um eine Oscar-Nominierung in der Kategorie Bester internationaler Film konkurriert. Das Werk wurde im Wettbewerb des diesjährigen Filmfestivals von Cannes uraufgeführt und gewann unter anderem den Preis für das beste Drehbuch. Hamaguchi wurde dieses Jahr zudem für seinen Episodenfilm »Wheel of Fortune and Fantasy« auf der Berlinale mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Aus mehreren Stimmen und vielen Anspielungen besteht »Drive my Car«: Tschechow, Murakami, Beatles, Scheherazade - alle schreiben neben Hamaguchi an diesem Werk mit. Ein filmisches Beispiel für das, was die bulgarische Literaturtheoretikerin Julia Kristeva »Intertextualität« nennt: dass sich im Raum eines Textes mehrere Aussagen überlagern, die aus anderen Texten stammen. Jeder Text ist also im Sinne Kristevas ein »Mosaik von Zitaten«. Einige Stücke dieses Mosaiks sind hier vom Regisseur selbst eingefügt, den Rest entdeckt jede Zuschauer*in für sich. »Drive my Car«: Japan 2021. Regie: Ryusuke Hamaguchi, Buch: Ryusuke Hamaguchi und Oe Takamasa. Mit: Hidetoshi Nishijima, Toko Miura, Masaki Okada, Reika Kirishima. 179 Minuten. Start: 23. Dezember.
Bahareh Ebrahimi
Vom Orgasmus zum Drehbuch: Der vielstimmige japanische Film »Drive my Car« von Ryusuke Hamaguchi, inspiriert durch eine Kurzgeschichte des Schriftstellers Haruki Murakami, erzählt die Geschichte eines Künstlerpaares.
Film, Japan, Kino, Orgasmus, Theater, Tschechow
Feuilleton
Kultur Film »Drive my Car«
2021-12-22T17:02:41+0100
2021-12-22T17:02:41+0100
2023-01-20T19:46:40+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1159851.film-drive-my-car-ein-auto-wird-zur-therapiecouch.html
Geisel legt die Axt an die Beteiligung
Susanna Kahlefeld ist alarmiert. »Andreas Geisel hat im Entwurf für den Doppelhaushalt 2022/2023 sämtliche Titel radikal zusammengekürzt, die mit Bürger*innenbeteiligung zu tun haben«, sagt die Berliner Grünen-Abgeordnete über die Finanzpläne des SPD-Stadtentwicklungssenators. Insgesamt sind pro Jahr nur etwas über 700 000 Euro in den verschiedenen Titeln gekürzt worden. »Im Stadtentwicklungshaushalt ist das eine Summe für den hohlen Zahn. Die eingesparte Summe ist lächerlich klein, hat aber eine maximal destruktive Wirkung«, so Kahlefeld, die Sprecherin für Engagement und Beteiligung ihrer Fraktion ist. Der größte Posten sind die reduzierten Mittel für die Anlaufstellen für Bürgerbeteilung in den zwölf Bezirken. Die bisher vorgesehene Jahressumme von 250 000 Euro pro Bezirk ist im Durchschnitt der zwei Jahre um fast ein Drittel auf nun 153 000 Euro gekürzt worden. Die geplanten Kürzungen führen dazu, dass die Anlaufstellen »nicht mehr sinnvoll betrieben werden könnten«, heißt es in einer »nd« vorliegenden, kürzlich verfassten gemeinsamen Stellungnahme der zivilgesellschaftlichen Träger dieser Büros aus sechs Bezirken. »Der niedrigschwellige Zugang der Bürger*innen zur Verwaltung wäre dann nur noch sehr eingeschränkt gegeben«, heißt es weiter. »Die Berliner*innen adäquat mitzunehmen und ihre Perspektive in die Planung einzubeziehen, macht jedoch insbesondere langfristig Sinn. Denn es erhöht die Akzeptanz und Identifikation von stadtentwicklungspolitischen Projekten und wirkt somit nachhaltig«, so die Träger. Bereits Ende März haben sich alle zwölf Bezirke in einer Stellungnahme klar ablehnend geäußert. Die vorgesehene Mittelkürzung komme zu einem Zeitpunkt, an dem sich der jahrelange Prozess zur Umsetzung der Leitlinien für Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern sowie die Etablierung der bezirklichen Anlaufstellen dafür in einem weit fortgeschrittenen Stadium befänden. »Eine Mittelkürzung würde das Vertrauen der Fachämter und der Zivilgesellschaft in den Leitlinienprozess empfindlich stören«, so die Bezirke. »Eine Kürzung der Mittel entspricht auch nicht dem, was im Koalitionsvertrag vereinbart worden ist«, sagt Hendrikje Klein zu »nd«. Die Sprecherin für Bürger*innenbeteiligung der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus verweist auf den entsprechenden Satz: »Die bezirklichen Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung werden verstetigt«, heißt es dort. Das bedeute in ihren Augen, dass es zwar nicht mehr, aber auch nicht weniger Mittel dafür geben dürfe. Bei der Stadtentwicklungsverwaltung sieht man das gänzlich anders. Die Koalition habe sich darauf geeinigt, dass sich die Fortschreibung des Haushalts 2022/2023 an der Ausschöpfung der Haushaltsmittel 2021 orientiere, erklärt die Vize-Sprecherin der Senatsverwaltung, Petra Rohland, auf nd-Anfrage. Die Bürgerbeteiligung habe 2021 nicht alle zur Verfügung stehenden Mittel ausschöpfen können. Der Verwaltung sei es aber gelungen, gegenüber den tatsächlich 2021 ausgegebenen 2,5 Millionen Euro einen »überproportional großen Aufwuchs auf knapp drei Millionen Euro« durchzusetzen. »Generelle Forderungen nach aufgestockten finanziellen Mitteln stoßen jedoch durch die notwendigen Sparanstrengungen wegen coronabedingter Mehrausgaben an ihre Grenzen«, so Rohland weiter. Die Stadtentwicklungsverwaltung sehe die Bürger*innenbeteiligung und ihre Instrumente aber »nicht gefährdet«. »Man kann doch nicht mitten im Aufbauprozess die Gelder kürzen«, sagt Linke-Politikerin Hendrikje Klein. »Die Bürger*innen wollen sich beteiligen, egal ob es Anlaufstellen gibt. Die Anlaufstellen sollen die in die richtigen Verfahren bringen«, so Klein weiter. Es drohten »chaotische, schlecht aufgesetzte Prozesse«, die für »Frust sorgen« würden. »Die Bürger*innen werden umso wütender, je mehr man ihnen zeigt, dass sie sich nicht beteiligen sollen«, sagt Klein. Susanna Kahlefeld von den Grünen verweist auf die zahlreichen anstehenden heiß debattierten und konfliktträchtigen Projekte der Verkehrswende, darunter neue Fahrradwege und Straßenbahnstrecken, bei denen ohne eine intensive Beteiligung die Umsetzungschancen schwinden. »Gerade wenn es um Konflikte geht, muss man doch reden, um zu Lösungen kommen zu können«, sagt sie. Immerhin die zentrale Anlaufstelle für Bürger*innenbeteiligung soll wie gehabt mit 400 000 Euro jährlich finanziert werden. Von 220 000 auf 170 000 Euro pro Jahr reduziert werden soll die Beteiligung an großen Planungen wie City West, Berliner Mitte und neue Siemensstadt. Besonders drastisch fällt die Kürzung beim Titel »Beteiligung an Planfeststellungen, Planergänzungen und Planänderungen« aus. Dafür sollen nur noch 60 000 statt bisher 158 000 Euro pro Jahr zur Verfügung stehen. »Das ist ganz kurios, denn dabei geht es um die gesetzlich vorgeschriebene Auslegung von Plänen«, sagt Grünen-Politikerin Kahlefeld. Selbst im Coronajahr 2021 seien nur 66 000 Euro dieses Titels nicht verausgabt worden. Nur konsequent ist es für Kahlefeld angesichts der Haltung der SPD, dass nur 50 000 Euro für »Veröffentlichungen und Dokumentationen im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit« zum Masterplanverfahren beim umstrittenen Karstadt-Bauprojekt des Immobilienkonzerns Signa am Hermannplatz vorgesehen sind. Denn »Entgegen den Ankündigungen ist für das geplante Gebäude nur noch die gesetzliche Beteiligung vorgesehen, für den Platz sind der Bezirk Neukölln und die Mobilitätsverwaltung zuständig«, sagt sie. »Ich habe den Eindruck, dass Andreas Geisel hier sehr konsequent vorgeht«, sagt die Grünen-Politikerin. »Er verweigert nicht nur den Bürger*innen, sondern auch dem Parlament die Zusammenarbeit, was erschreckend ist.«
Nicolas Šustr
Die Anlaufstellen für Bürgerbeteiligung in den Berliner Bezirken sind gerade erst im Aufbau, da sollen die Mittel bereits gekürzt werden. Die Verwaltung von SPD-Senator Andreas Geisel spricht von einem Erfolg, Grüne und Linke protestieren scharf.
Andreas Geisel, Berlin, Bürgerbeteiligung, Rot-Grün-Rot, Stadtentwicklung
Hauptstadtregion
Berlin Partizipation in der Stadtentwicklung
2022-04-19T16:40:39+0200
2022-04-19T16:40:39+0200
2023-01-20T18:42:45+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1163099.geisel-legt-die-axt-an-die-beteiligung.html
Schlecht beraten
Aus den Fehlern der Vergangenheit nichts gelernt – das trifft auf viele politische und wirtschaftliche Entscheidungsträger zu. Aktuell auseinandersetzen muss sich mit dieser Aussage wieder einmal die Bankenbranche. Wie die Stiftung Warentest veröffentlichte, steht es um deren Beratungskompetenz nämlich fast ebenso schlecht wie vor der Krise und nicht einmal besser als im vergangen... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Grit Gernhardt
Geldanlage
Meinung
Kommentare Kommentiert
https://www.nd-aktuell.de//artikel/175660.schlecht-beraten.html
Freie Wähler wollen Koalition mit der CSU
Nach der bayerischen Landtagswahl vom Sonntag scheint alles auf eine Koalition der CSU mit den Freien Wählern hinauszulaufen. Deren Parteichef Hubert Aiwanger erklärte am Montag, dass er nun »sehr schnell« eine Regierungsbildung mit der CSU erwarte. Nach den für Mittwoch geplanten ersten Sondierungsgesprächen werde es direkt in Koalitionsverhandlungen münden, sagte Aiwanger am Montag in München vor Journalisten. Diesen Gesprächen sei seine Partei »bestens gewachsen«. In den Verhandlungen wollen sich die Freien Wähler, die leicht hinzugewannen und 11,6 Prozent der Stimmen erreichten, nicht »unter Wert« verkaufen. Allerdings stellte Aiwanger ebenso klar, dass seine Partei auch nicht so unverschämt auftreten werde, dass die Gespräche scheitern. Zentrale Forderung sei die Kostenfreiheit der Kitas in Bayern. Außerdem dürfe es keine weiteren Schließungen von Krankenhäusern geben. Derweil nominierte der Vorstand der CSU, die mehr als zehn Prozentpunkte verloren hatte und nur noch 37,2 Prozent der Stimmen erreichte, den seit einem halben Jahr regierenden Markus Söder einstimmig für das Amt des Ministerpräsidenten. Ob in der CSU personelle Konsequenzen gezogen werden, war am Montag noch unklar. Innenminister Horst Seehofer lehnte einen Rücktritt als Parteichef ab. Gleichwohl machte er deutlich, dass er keine Diskussion abwürgen wolle. »Ich stehe für jede Debatte zur Verfügung.« Für den Fall eines Wechsels an der CSU-Spitze riet der frühere Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer dem Ministerpräsidenten Söder zum Zugriff. »Er kann sich den Parteivorsitz nicht nehmen lassen«, sagte Ramsauer im Deutschlandfunk. In der SPD, die auf 9,7 Prozent abstürzte, könnte es bald zu Personalwechseln kommen. Der Münchner Landtagsabgeordnete Florian von Brunn forderte, der komplette Landesvorstand, dem auch er angehört, solle zurücktreten. »Alles muss auf den Prüfstand«, sagte er dem »Münchner Merkur«. Auch der Oberpfälzer SPD-Chef Franz Schindler verlangte personelle Konsequenzen. Er bezog darin auch Spitzenkandidatin Natascha Kohnen und Generalsekretär Uli Grötsch sowie sich selbst mit ein. Derweil bedauern die Grünen, dass es voraussichtlich zu einer Koalition der CSU mit den Freien Wählern kommen wird. Die Ökopartei, die deutlich hinzugewann und mit 17,5 Prozent der Stimmen auf dem zweiten Platz landete, wäre selber gerne Teil der künftigen Landesregierung. »Wäre das nicht auch eine Chance gewesen, das Beste aus beiden Welten zusammenzubringen?«, fragte Grünen-Spitzenkandidat Ludwig Hartmann am Montag, »Ökologie und Ökonomie«. Er hätte ein Bündnis mit der CSU als sehr spannende Aufgabe gesehen und nicht als Zerreißprobe. »Jetzt wird es leider wahrscheinlich so nicht kommen.« Mit Agenturen
Aert van Riel
Vor den Sondierungsgesprächen stellen die Freien Wähler erste Forderungen an die CSU. Zugleich machen sie deutlich, dass sie die Verhandlungen nicht scheitern lassen wollen.
Bayern, CSU, Freie Wähler, SPD
Politik & Ökonomie
Politik Bayernwahl
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1103454.freie-waehler-wollen-koalition-mit-der-csu.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Hoffnung auf eine »positive Agenda«
Der Bürgerkrieg in Syrien überschattete beim G 8-Gipfel zwar auch die Gespräche zwischen den Präsidenten Russlands und der USA. Doch erörterten beide Seiten auch die neuen Möglichkeiten für eine Lösung des iranischen Nuklearproblems, die Lage auf der Koreanischen Halbinsel oder Fragen der Raketenabwehr, der Reduzierung der Nuklearwaffen und der Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Sie sprechen sich in Gemeinsamen Erklärungen für ein verstärktes Zusammenwirken gegen den Terrorismus aus. Es geht um mehr Transparenz und Kooperation bei den Informationstechnologien, darunter die Kommunikation zwischen sicherheitsrelevanten Einrichtungen. Es ist die Rede von einer »positiven Agenda« zu strategischen Fragen von Rüstungskontrolle bis Handel und Investitionen, die auf einem G... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Hubert Thielicke
Barack Obama und Wladimir Putin vereinbarten am Rande des Gipfels, die Kooperation zwischen Russland und den USA zu intensivieren. Ein Gipfel im September soll die gesamte Bandbreite der bilateralen und internationalen Probleme behandeln. Syrien überschattete die Gespräche.
G8, Russland, Syrien, USA
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/824852.hoffnung-auf-eine-positive-agenda.html
Phantasma rebellisch Regieren
So mancher in der Linkspartei hat sich schon 2013 und 2017 nichts sehnlicher gewünscht, als endlich in die Bundesregierung zu kommen. Mit einer durch massive Stimmenverluste etwas demütiger gewordenen SPD scheint dieses Ziel in greifbare Nähe gerückt - sofern die Grünen ja sagen. Die Argumente der Regierungsbefürworter sind so neu nicht. Man werde nicht fürs »Meckern« gewählt, sondern für Konzepte, die man dann auch umsetzen wollen müsse, heißt es. Gregor Gysi verzichtete dieser Tage gleich ganz auf Inhalte, sondern befand, »30 Jahre in der Opposition« seien genug, wohl 17 Jahre PDS mitzählend. Schon Ende der 90er hatte Gysi erklärt, Regieren sei ein »Wert an sich«. Ein solcher ist heute für manche Linke schon die Ablösung der Union als Regierungspartei. Linke plant Systemwechsel Die scheidenden Vorsitzenden geben Ausblick auf Ziele der Partei und ziehen Bilanz ihrer Arbeit Und Katja Kipping kündigt an, wenn, dann werde man »rebellisch« und »in Bewegung« regieren, die außerparlamentarische Opposition werde quasi mit am Kabinettstisch sitzen. Die Linke täte gut daran, sich bei der Einschätzung ihrer Kräfte eine gute Portion Realismus und damit ihre Glaubwürdigkeit zu bewahren. In vielen Landesregierungen hat sich gezeigt, dass Regieren nicht bedeutet, die Macht zu haben, sondern sich »Sachzwängen« zu beugen. In etlichen Fällen hat sie dafür eine entsprechende Quittung vom Wähler bekommen.
Jana Frielinghaus
Schon Ende der 90er hatte Gregor Gysi erklärt, Regieren sei ein »Wert an sich«. Ein solcher ist heute für manche Linke schon die Ablösung der Union als Regierungspartei.
Die Linke, Gregor Gysi, Katja Kipping, linke Bewegung
Meinung
Kommentare Die Linke
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Wachstum oder Kreislauf
In der ersten Phase der Coronakrise waren Virologen und Mediziner die wichtigsten wissenschaftlichen Berater, denen die Politik Gehör schenkte, um ihre folgenschweren Maßnahmen abzuwägen. Jetzt, wo es zentral um die Bekämpfung der Wirtschaftskrise nach dem Lockdown geht, melden sich auch Experten anderer Fachdisziplinen zu Wort. Von Bedeutung ist dabei, ob das Hochfahren der Wirtschaft, aber auch des Bildungssektors, wieder an die früheren Abläufe vor Corona anschließt, oder ob neue Wege beschritten werden. In Reaktion auf das 130 Milliarden Euro schwere Konjunktur- und Zukunftspaket der Bundesregierung hat das Hightech-Forum in dieser Woche innovationspolitische Leitlinien vorgelegt, deren Befolgung zu einem »neuen Wachstum« führen soll. Das Hightech-Forum ist ein Kreis von 20 Wissenschaftlern und Unternehmern, der das Bundesforschungs- und das Wirtschaftsministerium bei der Gestaltung ihrer Innovationspolitik berät. Ziel ist die bessere und schnellere Umsetzung wissenschaftlicher Forschungsergebnisse in die wirtschaftliche Praxis. Coronakrise zeigt auch strukturelle Schwächen Für Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft und Co-Vorsitzender des Hightech-Forums besteht die »historische Chance, mit den Paketen für die Krisenbewältigung eine grundlegende Transformation in Richtung eines neuen und qualitativen Wachstums anzustoßen«. Mit rund 50 Milliarden Euro wird fast die Hälfte des Gesamtpakets in den Jahren 2020 und 2021 in Forschung und Innovation investiert, darunter in Künstliche Intelligenz, Quantencomputing und grüne Wasserstofftechnologie. »Die Krise hat gezeigt, wie Deutschland durch Investitionen in Forschung und Infrastrukturen, zum Beispiel die Gesundheitsversorgung, seine Bürgerinnen und Bürger schützen kann«, heißt es in dem Leitlinien-Papier. Sie habe aber auch »strukturelle Schwächen und Vulnerabilitäten schonungslos aufgedeckt«. Da auch in Zukunft vergleichbare Großkrisen nicht ausgeschlossen werden können, sei es ausgelöst durch ein biologisches oder ein Computer-Virus, gelte es, sich zu wappnen. Dies betreffe nicht nur technische Sicherheit und Resilienz, bis hin zu stärkerer Orientierung auf eine »technologische Souveränität« in nationalem und europäischen Maßstab, sondern auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. So wurden nach Auffassung des Hightech-Forums im verordneten Corona-Shutdown »soziale Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten deutlich«. Frauen trügen die Hauptlast der Familienarbeit in der Krise, und viele »systemrelevante Berufsgruppen« litten unter schlechten Arbeitsbedingungen und geringer Entlohnung, stellt das Papier fest. »Für das Gemeinwohl und die Entwicklung der Gesellschaft essenzielle Bereiche wie Kinderbetreuung, (Hoch-)Schule, Altenpflege oder die Kultur- und Kreativwirtschaft sind für Krisen nicht ausreichend gerüstet.« Aus diesem Grund sollte nach der Krise »die Chance ergriffen werden, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft auf Basis der Krisenerfahrungen neu zu denken«. Es würden »Innovationen für moderne Arbeitszeit-, Entlohnungs- und Führungsmodelle« benötigt. Auch andere Elemente des Konzepts, wie mehr digitale Bildung, stärke Innovationsförderung oder verlässliche Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges Wirtschaften, wollen in der Summe dazu beitragen, ein »neues Wachstum« zu stimulieren. »Neues Wachstum« ist der Zentralbegriff in den Leitlinien. Das Hightech-Forum versteht darunter »eine positive Entwicklung in Richtung sozialer, wirtschaftlicher und ökologischer Nachhaltigkeit«, wird erläutert. »Neues Wachstum ist qualitativ und orientiert sich an zentralen Werten der Gesellschaft. Neues Wachstum schafft Mehrwert für heutige und zukünftige Generationen.« Ob die Fortsetzung der Wachstumsorientierung tatsächlich der richtige Weg aus der Krise ist - oder nicht vielmehr gleich in die nächste, die ökologische und Klimakrise führt, ist in der aktuellen gesellschaftlichen Debatte nicht unumstritten. Auch das Wuppertal-Institut für Klima Umwelt Energie legte in dieser Woche eine Bewertung des Konjunktur- und Zukunftspakets vor. Das Institut, das sich der »Großen Transformation« verschrieben hat, vermisste zu wenig Kursänderung, die weg vom Wachstumspfad und hin zur Kreislaufprozessen in der Wirtschaft führe. »Obwohl das Konjunkturprogramm mit rund 60 Maßnahmen bereits sehr umfangreich ist, weist es gleichwohl deutliche Lücken auf, die es unbedingt zu schließen gilt«, urteilen die Öko-Experten aus Wuppertal. So spiele das Thema Energieeffizienz in dem Programm »erstaunlicherweise eine eher untergeordnete Rolle«. Dies ist »nicht nachvollziehbar«, da aus vielen Analysen seit langem bekannt sei, »dass gerade Investitionen in Energieeffizienzmaßnahmen mit großen positiven volkswirtschaftlichen Effekten verbunden sind«. Auch die Kreislaufwirtschaft werde im Programm nicht explizit aufgeführt. »Dies verwundert nicht nur aufgrund des grundsätzlich hohen CO2-Minderungspotenzials«, schreibt das Wuppertal-Institut. Vielmehr habe gerade die Covid-19-Pandemie deutlich gemacht, dass generell »die Wertschöpfungs-, Produktions-, Konsum- und Wirtschaftsstrukturen robuster und weniger verletzlich« aufgestellt werden müssen. »Eine konsequente Orientierung auf eine Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie hilft, weniger Primärressourcen einsetzen zu müssen und damit unabhängiger von globalen Lieferketten und Rohstoffen, zum Beispiel Funktionsmetallen zu werden«, betont die Studie des Wuppertal-Instituts. Diese Themen kommen aber im Aktionsprogramm der Regierung gar nicht und dem Innovationskonzept des Hightech-Forums nur am Rande vor. Womöglich muss beim wirtschaftlichen Neustart aus der Coronakrise noch grundlegender und radikaler als bisher gedacht werden. Das findet jedenfalls eine nennenswerte Schar deutscher Bücherleser, die seit Wochen einen Titel mit genau dieser Botschaft an der Spitze der Beststellerliste halten: »Unsere Welt neu denken« von der Berliner Autorin Maja Göpel. Das erzählende Sachbuch erschien im Februar, weshalb der Begriff Coronavirus kein einziges Mal auftaucht, und trifft gleichwohl den gesellschaftlichen Nerv der Zeit und die neue Nachdenklichkeit, die im Shutdown bei vielen Menschen Einzug gehalten hat. Göpel, die im Hauptberuf Ökonomin ist und früher am Wuppertal-Institut gearbeitet hat, geht der Frage nach, »wie es passieren konnte, dass die Menschheit den Planeten in der Lebensspanne zweier Generationen an den Rand des Kollapses gebracht hat«. Zentraler Treiber ist in ihrer Analyse das herrschende Wachstumsmodell der Ökonomie, das eine globale »Extraktions- und Maximierungsmaschine« errichtet hat, die Natur nur noch ausbeutet statt mit ihr zu kooperieren. Wie kommen wir aus dem Wettlauf zur Zerstörung der Welt heraus? »Weiterzumachen wie bisher ist keine Option, weil es zu radikalen und wenig einladenden Konsequenzen führt«, befindet Göpel. Ihre Einladung, die Welt neu zu denken, empfiehlt den Blick aus der Zukunft - was uns bevorstehen könnte -, geweitet um eine systemische Perspektive. An ihrer aktuellen Arbeitsstätte, dem Wissenschaftlichen Beirat für Globale Umweltveränderungen (WBGU), einem Regierungs-Thinktank wie das Hightech-Forum, wird dieses Vorausdenken schon seit Jahren praktiziert. Jetzt ist das gesellschaftliche Interesse für diese Botschaften da. Von Göpels Buch wurde bereits die sechste Auflage gedruckt.
Manfred Ronzheimer
Wissenschaftler unterschiedlicher Fachdisziplinen fordern, das Konzept der sozialen Marktwirtschaft auf Basis der Krisenerfahrungen neu zu denken. Die Coronakrise habe Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten deutlich gemacht.
Krise, Wirtschaft, Wirtschaftskrise, Wirtschaftswachstum
Feuilleton
Wissen Wirtschaft
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1137809.wirtschaft-wachstum-oder-kreislauf.html
15 719 Klagen wegen Hartz IV in Sachsen
Dresden. An Sachsens Sozialgerichten sind 2015 weniger neue Hartz IV-Klagen eingegangen. Nach Angaben des Landessozialgerichts in Chemnitz summierten sie sich auf 15 719 - nach 18 115 ein Jahr davor. Der Eingang sei rückläufig, seit der Bewilligungszeitraum der Leistung von einem halben auf ein Jahr verlängert wurde. Auch in der zweiten Instanz gab es mit 1291 Neueingängen in diesem Bereich einen leichten Rückgang - um knapp 200. Insgesamt ... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Anzahl ging im vergangenen Jahr deutlich zurück
Armut, Chemnitz, Dresden, Hartz IV, Sachsen
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/999794.klagen-wegen-hartz-iv-in-sachsen.html
Besucherzahlen bei Berliner Schwimmbädern brechen ein
Berlin. Die kommunalen Berliner Bäder Betriebe (BBB) verzeichneten im vergangenen Jahr einen Rückgang um 500 000 Besuchern. Das geht aus einer vertraulichen Vorlage für den Unterausschuss Beteiligungsmanagement und -controlling des Abgeordnetenhauses hervor, über die die in Berlin erscheinende Tageszeitung »neues deutschland« in ihrer Dienstagsausgabe berichtet. Demnach sackten die Besucherzahlen der Bäderbetriebe von 3,4 Millionen Besucher (per Januar bis September 2013) auf 2,9 Millionen Besucher im gleichen Zeitraum 2014 ab. Der Rückgang um rund 500 000 Schwimmbadbesucher geht demnach vor allem auf einen Einbruch bei den Freibädern zurück (minus 32 Prozent). Bäderchef Ole Bested Hensing wollte den sich abzeichnenden Rückgang am Montag nicht vor einem endgültigen Jahresabschluss kommentieren. Dem »nd« sagte Hensing, dass der Umsatz der Bäderbetriebe dennoch »auf Vorjahresniveau« geblieben sei. Die defizitären Berliner Bäder Betriebe präsentierten am Montag das für elf Millionen Euro sanierte Kombibad Spandau Süd. Aus der Berliner Landespolitik gibt es unterdessen immer mehr Signale, das marode kommunale Unternehmen künftig stärker zu unterstützen. SPD-Fraktionschef Raed Saleh erklärte im »nd«, es sei vorstellbar, dass Gelder aus dem neu angelegten Sondervermögen für die Sanierung der Bäderbetriebe benutzt werden könnten.
Redaktion nd-aktuell.de
Trotz Sanierungen mehrerer Schwimmhallen, heißeren Beckentemperaturen und massiven Werbemaßnahmen brechen die Besucherzahlen bei den Berliner Bäder Betrieben (BBB) ein. 2014 blieben eine halbe Million Besucher weg.
Berlin
Hauptstadtregion
Berlin
https://www.nd-aktuell.de//artikel/957437.besucherzahlen-bei-berliner-schwimmbaedern-brechen-ein.html
Der Wert des Lebens
Das Great Barrier Reef ist UNESCO-Weltnaturerbe, die größte lebende Struktur, eines der sieben größten Naturwunder des Planeten und nach Ansicht vieler der wichtigste touristische Anziehungspunkt in Australien. Jetzt steht fest: Der »Buchwert« des einzigartigen Naturwunders beläuft sich auf stolze 56 Milliarden US-Dollar. Ermittelt worden ist er in einer Studie, die dieser Tage vom Netzwerk Deloitte Access Economics vorgelegt wurde. Für 1700 Spezies von Fischen, Schildkröten und anderen Meeresbewohnern, nicht wenige davon als gefährdet eingestuft, sind die 3000 einzelnen Riffe, die in einer Gesamtstruktur verbunden sind und wiederum in engen Wechselwirkungen mit 14 Küsten-Ökosystemen stehen, das Zuhause. Allein für die maritime Artenvielfalt hat der Komplex enorme Bedeutung. Doch das Wunderwerk ist bedroht. Seit Jahren macht die fortschreitende Korallenbleiche dem Riffgebiet zu schaffen. Der globale Klimawandel, der gerade auch im pazifischen Raum die Wassertemperaturen schon jetzt messbar immer weiter ansteigen lässt, was allein im Vorjahr neue Rekordwerte brachte, ist der größte Treiber dieser Vorstufe des Absterbens. Einmal von der Bleiche erfasst, können sich die Korallen nur in seltenen Fällen wieder mittelfristig erholen. Doch hinzu kommen noch andere bedrohliche Aspekte. Die Wasserverschmutzung ist dabei der wichtigste. Verschiedene Belastungen in den küstennahen Abschnitten rund um das Riff verringern vor allem den Lichteinfall bis in tiefere Schichten. Und einige der Schifffahrtsrouten der Kohlefrachter führen mitten durch das Great Barrier Reef. Sollte es dort zu einer Havarie kommen, wären die ökologischen Folgen katastrophal. Schon länger wird über geeignete Schutzmaßnahmen diskutiert. Ein wertvoller Input für diese Debatten um globale Anstrengungen ist das Ergebnis der Studie. »56 Milliarden Gründe«, ausgehend vom ermittelten Gesamtwert, sehen deren Autoren für geballte Anstrengungen, das Naturwunder zu erhalten. Dieses sei eine Marke für sich, steigere die internationale Bedeutung Australiens enorm, wie 1500 Befragte in ihren Antworten verdeutlichten. Neben 1000 Australiern haben sich 500 Personen aus China, Indien, den USA, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Spanien, Südafrika und Kanada beteiligt. Ihre Antworten bilden ein wesentliches Fundament für die konkreten Berechnungen der Experten. Den ganz praktischen ökonomischen »Nutzwert« pro Jahr, basierend auf den Zahlen von 2015/2016, veranschlagen die Autoren bereits mit stolzen 6,4 Milliarden Dollar, die das Riff in diesem Zeitraum unmittelbar zur australischen Wirtschaft beigetragen hat. Zudem sind damit landesweit gut 64 000 Arbeitsplätze verbunden. Der weitaus größte Teil entfällt dabei mit 5,7 Milliarden Dollar auf den Tourismus, bei dieser Betrachtung im engeren Sinne also auf die Übernachtungen. Transportleistungen, Tauchschulen, Einzelhandel und weitere Anbieter in diesem Zusammenhang werden extra betrachtet. Und machen noch einmal 346 Millionen Dollar jährlich aus. Hinzu kommen die Fischerei mit 162 Millionen sowie - in dieser Größenordnung für viele sicher überraschend - die wissenschaftliche Sparte. Fünf Institute bzw. Organisationen, der Auftraggeber der Studie ist einer davon, unterhalten auf den Inseln im Riffgebiet sechs ständige Forschungsstationen. Löhne/Gehälter und sonstige Ausgaben dafür machen noch einmal 182 Millionen Dollar aus. Diese noch relativ leicht und direkt erfassbaren 6,4 Milliarden sind aber keineswegs das Ende der Fahnenstange. In einer komplexen Modellberechnung gelang es den Fachleuten, auch darüber hinaus den Wert des Great Barrier Reef in seiner kompletten ökonomischen Bedeutung zu ermitteln. Zugrunde gelegt wird die Frage, was denn passieren würde, sollte das Riff einmal nicht mehr da sein. Angesichts dieses Gedankenspiels zeigt sich, dass viele Australier, selbst wenn sie noch nie auch nur in der Nähe des Great Barrier Reef waren, allein dessen bloße Existenz wertschätzen - und auch bereit wären, dafür zu zahlen. Im Landesdurchschnitt einen Betrag von 1,30 Dollar wöchentlich, was gut 67 Dollar im Jahr ausmacht. Interessanterweise ist die Bereitschaft im ökonomisch eher rückständigen Northern Territority besonders stark ausgeprägt - dort würde man sogar 1,90 Dollar pro Woche erübrigen. Im Gegensatz zu den Hauptstädtern mit nur einem Dollar und den Westaustraliern, die sich mit 80 Cent am zurückhaltendsten zeigen. Unter den erwähnten ausländischen Teilnehmern wiederum ergibt sich (unter Beachtung der unterschiedlichen Kaufkraft) ein Durchschnittswert von 1,98 Dollar wöchentlich. Die Inwertsetzung für die kommenden 33 Jahre bis 2050 - so lange läuft das gegenwärtige Nachhaltigkeitsprogramm für das Riff durch die australische Regierung - beläuft sich auf insgesamt 24 Milliarden Dollar. 24 Milliarden von jenen, die das Riff sozusagen nur aus zweiter Hand kennen, es vielleicht nie mit eigenen Augen sehen werden. Und die es dennoch für unverzichtbar halten. Hinzu kommen 29 Milliarden Dollar der realen Touristen aus dem Einzugsgebiet des Great Barrier Reef, ebenfalls auf die 33 Jahre hochgerechnet, und drei Milliarden aus den sonstigen »Erholungsausgaben«. Und noch etwas ist den Fachleuten wichtig: Die Bedeutung dieses Naturschatzes für die 70 dort ansässigen Clangruppen von Aborigines und Torres Straits Islanders lässt sich nicht in Zahlen bemessen. Die Ureinwohner dieser Küstengebiete des Bundesstaates Queensland haben eine tiefe, auch religiös verankerte Bindung zum Riff, die mehr als 60 000 Jahre zurückreicht. Ein ganzes Kapitel ist diesem Teilthema gewidmet. Deloitte ist ein Netzwerk von Firmen und Agenturen in mehr als 150 Ländern der Welt und mit insgesamt über 224 000 Beschäftigten. Fachleute aus unterschiedlichsten Wissensgebieten kommen dabei zusammen. Erstellt wurde die Studie im Auftrag der Great Barrier Reef Foundation. Unterstützung hat die Stiftung dabei von der Australian National Bank und der Verwaltung des Marine Parks im Bereich des Riffs erhalten.
Thomas Berger
Erstmals hat eine Expertengruppe die ökonomische, soziale und ideelle Bedeutung des Great Barrier Reef genau beziffert.
Australien
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1055551.der-wert-des-lebens.html
Linke in Bremen: Das neue Rot
An so manchem sozialen Erfolg des Bremer Senats dürfte Die Linke ihre Aktien haben. Gleichwohl werden die Fortschritte wohl vor allem der SPD und ihrem Bürgermeister Andreas Bovenschulte zugerechnet. Und so kann der Regierungschef einiges aufzählen: Rot-Grün-Rot habe das Land »unaufgeregt durch Pandemie und Energiekrise gebracht«, sagte er jüngst in einem Interview. Man habe das Tariftreuegesetz des Bundeslandes ausgeweitet, eine Ausbildungsumlage eingeführt und einen Landesmindestlohn beschlossen, der höher als der im Bund ist. Tatsächlich haben die Linke-Politikerinnen Kristina Vogt und Claudia Bernhard die wichtigen Ressorts für Wirtschaft, Arbeit und Europa sowie für Gesundheit, Frauen und Verbraucherschutz inne. Die Partei hat ihre Wahlkampfwebseite »Das neue Rot« genannt – womit sie explizit ihren sehr pragmatischen Stil meint. Denn, so heißt es dort: »In Bremen und Bremerhaven bauen wir mit unserer Politik keine Luftschlösser, sondern bekämpfen gesellschaftliche Probleme aktiv an der Wurzel.« Man bringe »Erfahrung mit linken Grundüberzeugungen« in Einklang, denn nur so funktioniere »Realpolitik mit einer starken, linken Handschrift«. Ein Unterschied zur SPD ist hier kaum zu erkennen – womöglich eine Ursache dafür, dass die kleinste Regierungspartei als einzige in den aktuellen Umfragen mit rund acht Prozent um mehr als drei Punkten unter ihrem Wahlergebnis von 2019 liegt, während SPD und Grüne erheblich besser dastehen als vor vier Jahren. Zugleich scheint ihre Wählerbasis im kleinsten Bundesland erheblich stabiler zu sein als im restlichen Westdeutschland, wo sie derzeit außer in Bremen nur noch in Hessen in einem Landtag vertreten ist. Selbst in Ostdeutschland erreicht Die Linke außer in Thüringen und Berlin nur noch niedrige Werte von unter zehn Prozent. Und: Die Bremer Linke liegt immer noch weit über den vier bis fünf Prozent, die der Partei in Sonntagsfragen auf Bundesebene gegeben werden. Auch in Bremen machen viele Aktive für die Krise der Partei das Agieren der früheren Bundestagsfraktionschefin Sahra Wagenknecht maßgeblich mitverantwortlich. Offenbar in Abgrenzung zu deren Buchtitel »Die Selbstgerechten«, der auch auf die sich angeblich in identitätspolitischem Klein-Klein verlierende Linkspartei gemünzt war, ist auf einem Bremer Plakatmotiv das Wort »Gerecht« zu lesen. Darüber ist ein durchgestrichenes »Selbst« zu sehen, darunter der Slogan: »Weil soziale Gerechtigkeit und gleiche Chancen die Grundlage von Demokratie sind«. Gerade im sozialen Bereich hat die Bremer Linke allerdings in den vergangenen vier Jahren auch so manche Kröte geschluckt. So machen Wähler und Genossen Gesundheitssenatorin Bernhard wegen deren Krankenhausplanung für den Abbau von Betten und Personal verantwortlich. Aktuell treibt Aktive an der Basis auch der Streit um die Haltung zu Waffenlieferungen um. Landessprecher Christoph Spehr etwa gehört zu jenen, die Waffenlieferungen an die Ukraine zwecks Verteidigung gegen den Aggressor Russland befürworten und zugleich die Parteitagsbeschlüsse vom Juni 2022 kritisieren, die Waffenlieferungen ausschließen. Diese Position bezeichnete Spehr in einem im März veröffentlichten Beitrag für das Online-Magazin der Partei, »Links bewegt«, als »pazifistischen Bellizismus«. Die Linke-Landesspitze distanzierte sich zudem vom Bremer Ostermarsch und kritisierte die unzureichende Verurteilung des russischen Angriffskriegs durch die Organisatoren und deren Konzentration auf die Kritik an Bundesregierung und Nato. In der Linken von Bremen und Bremerhaven sind zugleich jene offenbar eine Minderheit, die sowohl dem außenpolitischen Kurs der Landesspitze als auch dem Mitregieren skeptisch gegenüberstehen. Deutliche Kritik an beidem kam zuletzt von dem Bürgerschaftsabgeordneten Olaf Zimmer, der zur Teilnahme am Ostermarsch aufgerufen hatte.
Jana Frielinghaus
Auch in der Bremer Linken wird derzeit heftig über die Haltung zu Waffenlieferungen an die Ukraine gestritten. Vor der Bürgerschaftswahl ringt sie um Geschlossenheit.
Bremen, SPD
Politik & Ökonomie
Politik Wahl in Bremen
2023-04-18T09:08:31+0200
2023-04-18T09:08:31+0200
2023-04-21T10:12:07+0200
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1172521.wahl-in-bremen-linke-in-bremen-das-neue-rot.html
Der virtuelle und der wahre Tod
In seiner virtuellen Welt tötete er zigfach Dämonen mit dem Schwert. Kurz darauf starben beim Zusammenstoß zweier Züge tatsächlich Menschen. Der im Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling angeklagte Fahrdienstleiter muss damit fertig werden, dass er durch sein verbotenes Handyspielen im Dienst und durch das Setzen falscher Signale großes Leid über viele Familien gebracht hat. Oberstaatsanwalt Jürgen Branz ließ in seinem Plädoyer am Freitag keine Zweifel an der Schuld des Mannes aufkommen. »Er hat den Tod von zwölf Menschen verursacht.« Am Montag verkündet das Landgericht Traunstein nach sechs Verhandlungstagen sein Urteil. Die Anklagebehörde fordert vier Jahre Haft für den 40-Jährigen, die Verteidigung hält Bewährung oder maximal 2,5 Jahre Gefängnis für ausreichend. Es wurde am Freitag sehr still im Sitzungssaal, als der Staatsanwalt von seinen Eindrücken beim Eintreffen an der Unfallstelle kurz nach dem verheerenden Zusammenstoß berichtete: »Was ich dort gesehen habe, das hat sich bei mir in der Seele festgesetzt. Deshalb muss ich mich zurückhalten, damit ich nicht emotional werde.« Ein anderer Anwalt vertritt eine Frau, die im September ein Kind von einem Mann geboren hat, der bei dem Zugunglück starb. »Es wird seinen Vater nie kennenlernen.« Nach der ausgiebigen Beweisaufnahme besteht kein Zweifel, dass der Fahrdienstleiter eine ganze Fehlerkette aneinandergereiht hat. Er hat es ja selbst gestanden und sich zu Prozessbeginn bei den Hinterbliebenen entschuldigt. Erst verlegte der 40-Jährige das Kreuzen der Züge auf der eingleisigen Strecke entgegen dem Fahrplan vom Bahnhof Kolbermoor nach Bad Aibling. Dann setzte er ein Sondersignal, das er nicht hätte geben dürfen. Erst dadurch schickte er beide Züge gleichzeitig los. Als er den verhängnisvollen Fehler bemerkte, drückte er die falsche Notruftaste. Doch wurde im Prozess auch deutlich, dass die Bahn an der Unfallstrecke seit über 30 Jahren eine veraltete Signaltechnik einsetzt. Unfallexperte Rüdiger Muschweck vom staatlichen Eisenbahn-Bundesamt sagte aus, dass die Deutsche Bahn eine Vorschrift von 1984, zusätzliche Anzeigen zu installieren, bis heute nicht umgesetzt hat. Die Bahn beruft sich auf die Einschränkung, dass sie dies nur im Rahmen ihrer finanziellen Möglichkeiten tun muss. Hinterfragt wurde ebenso, warum die Bahn nicht längst Sicherungssysteme wie etwa im Luftverkehr einsetzt, um den Zusammenprall von Zügen zu verhindern. Doch da wandte der unabhängige Bahnexperte Martin Will ein: »Die Signaltechnik, die heute bei der Bahn verwendet wird, ist ein sicheres System.« Doch bleibt die letzte Verantwortung beim Menschen, der die Technik in Sondersituationen außer Kraft setzen kann. dpa/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Im Prozess um das Zugunglück von Bad Aibling verkündet das Gericht am Montag, ob es den Fahrdienstleiter ins Gefängnis schickt.
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Sieben Tage, sieben Nächte
Wir wollten ja eigentlich nichts mehr von No-Gos hören. Wirklich nicht. Aber das interessiert natürlich das Marktforschungsunternehmen GfK nur wenig, das uns zum Ende der Woche belehrt, die Mehrheit der Bundesbürger lehne es ab, wenn Kollegen in Badelatschen oder Sandalen im Büro erscheinen. Und mehr noch: Der barfüßige Auftritt am Ort des lohnarbeitlichen Schaffens wird - jetzt kommt’s - sogar für ein »absolutes No-Go« gehalten. Wer die einschlägigen Diskussionen der vergangen Wochen nicht verfolgt haben sollte: Ein No-Go ist ein Tabu, etwas, das man überhaupt nicht will, für unangemessen hält oder sonstwie ablehnt. Zugrunde liegt diesem Verständnis allerdings ein Missverständnis - was hierzulande als »No-Go« gilt, ist eigentlich ein »No-No«. Aber es gehört sich trotzdem nicht, über »No-Gos« Papiere zu verfassen. Und wenn man es genau bedenkt, ist eigentlich schon das Denken in »No-Go«-Kategorien ein No-No. Bitte regen Sie sich jetzt nicht gleich darüber auf, dass hier ein Anglizismus verwendet wird. Das Wort Tabu wäre dann auch keine Alternative, es kommt schließlich auch von weither: aus dem polynesischen Sprachraum. Und die vielleicht am ehesten passende deutsche Übersetzung von »No-Go« ist so gruseliges Sprech, nun also, nein: »Das geht gar nicht.« Aber zurück zu den berufsmäßigen Barfüßlern und den Bürogängern auf Sandalen. (Das Wort stammt übrigens aus dem Griechischen.) Obwohl der Unterschied zwischen beiden Erscheinungsformen sommerlicher Schuhmode praktisch nur in einer zentimeterdicken Gummischicht besteht, wird das eine (Flip Flops) milder betrachtet als das andere (Fuß). Es wird sicher noch viel kulturwissenschaftlicher und sozialpodologischer Forschung bedürfen, um die Gründe für diese Ungleichbehandlung herauszufinden. Sollten sich angehende Wissenschaftler für das Phänomen interessieren, sind sie herzlich eingeladen - zumindest das Tragen von Sandalen hat in dieser Zeitungsredaktion eine gewisse und mit zunehmenden Außentemperaturen wachsende Anhängerschaft. Das ist eigentlich nie ärgerlich, bisweilen anatomisch interessant und führt fast immer zu lustigen Geräuschen, wenn der Redaktionstross nach blattkritischer Selbstbefassung zurück in die Ressorts strömt. Niemals würden wir Badelatschen jedenfalls für ein »No-Go« halten. Niemals. Aber bei der Umfrage hat uns ja mal wieder keiner gefragt.
Tom Strohschneider
Die Mehrheit der Bundesbürger lehne es ab, wenn Kollegen in Badelatschen oder Sandalen im Büro erscheinen. So das das Marktforschungsunternehmen GfK. Bei der Umfrage hat man uns ja mal wieder nicht gefragt.
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Meinung
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Alte Hetze in neuen Medien
Es waren nur zwei Worte, die einen wahren Sturm der Entrüstung auslösten. »Stoppt Antisemitismus«, postete der Schauspieler Elyas M’Barek (u. a. »Fack ju Göhte«) Mitte Mai auf seinen Kanälen in den sozialen Medien. Als Reaktion auf die unzähligen antisemitischen Äußerungen auf Demonstrationen in Deutschland und in den sozialen Medien gedacht, interpretierten es viele seiner Follower als Akt der Solidarität mit dem Staat Israel. Die aufgebrachte Menge identifizierte M’Barek daraufhin als Zionisten beziehungsweise als »Marionette«, die für die israelische Sache instrumentalisiert wurde. Besonders heftig reagierte der Schauspielerkollege und Deutschrapper Massiv auf den Post. Er warf M’Barek unter anderem vor, sich zu schade dafür zu sein, etwas »Schönes« für seine Geschwister zu schreiben. Der Schauspieler hätte, anstatt »auf die unterdrückten Menschen hinzuweisen«, nur sein persönliches Wohlergehen im Sinn gehabt. Die Tirade gegen M’Barek würzte Massiv mit der Spekulation, dass der Schauspieler sich für »seine Bavaria Filmgang« entschieden habe, weil dies ein »höheres Budget« und »besseres Catering« bedeute. In seinem Statement bedient der aus Pirmasens stammende Rapper auch eine uralte antisemitische Mär, indem er behauptet, dass Israelis »die minimale Wasserzufuhr in den Gaza versalzen« würden. Eingeschüchtert von den unzähligen negativen Reaktionen erklärte sich M’Barek im Internet: »In keinem Moment habe ich mit meinem letzten Post auf den Konflikt im Nahen Osten angespielt. Es ging mir ausschließlich um die Situation in Deutschland.« Nun hat sich die Initiative »Artists against Antisemitism« (AAA), also »Künstler gegen Antisemitismus«, gegründet, um nicht weiter untätig dabei zuzusehen, »wie der Antisemitismus und sein nicht minder gefährlicher Zwilling, der Antizionismus, immer präsenter werden und mutiger auftreten«. Bekannte Bands wie Frittenbude oder Die Sterne wollen mit der Kampagne auf den unhaltbaren Zustand hinweisen, dass Synagogen in Deutschland rund um die Uhr geschützt werden müssen und jüdischen Menschen aus Sicherheitsgründen empfohlen wird, im öffentlichen Raum keine Kippa oder andere Kennzeichen, wie etwa Kettenanhänger, zu tragen. Diesem Anliegen haben sich auch der Schauspieler Robert Dölle, die Kolumnist*in Hengameh Yaghoobifarah, der Schriftsteller Franz Dobler, der Sänger Karsten Troyke und die Rockband Tocotronic angeschlossen. »Antisemitismus ist ein Problem, das sich über alle politischen Spektren und subkulturellen Szenen erstreckt«, erklärt Torsun, einer der Initiatoren, gegenüber »nd«. Leider betreffe dieses Problem auch die linke Szene. »Immer öfter nutzen Künstlerinnen ihre Bühne, um für BDS-Kampagnen oder ähnliche antizionistische Agitation zu werben«, so der Sänger der Band Egotronic weiter. BDS steht für »Boycott, Divestment and Sanctions« (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen). Solche antisemitischen Entwicklungen müssen analysiert und vor allem kritisiert werden. Ziel von AAA sei es, zu zeigen, dass jede und jeder Einzelne diesen Zuständen etwas entgegensetzen kann. Bisher setzten mehr als 400 Unterstützer, die allermeisten davon sind Kunstschaffende, ihre Unterschrift unter den Aufruf der Initiative. Die Organisatoren gehen davon aus, dass sich in den nächsten Wochen weitere Künstler anschließen werden. »Wir stehen erst am Anfang«, sagt Torsun. Für die Zukunft sind weitere Aktionen geplant, auch jenseits des World Wide Web. Ziel sei es, ein Netzwerk zu etablieren, das die von Antisemitismus betroffenen Menschen unterstützt und sie nicht allein stehen lässt. Aufruf und Unterzeichner hier: artistsagainstantisemitism.org
Ralf Fischer
Sie wollen nicht weiter untätig dabei zuzusehen, »wie der Antisemitismus und sein nicht minder gefährlicher Zwilling, der Antizionismus, immer präsenter werden und mutiger auftreten«: Die neue Initiative »Artists against Antisemitism«
Antisemitismus, Israel, Juden, Medienkritik, Musik, Nahost, Theater
Feuilleton
Kultur »Artists against Antisemitism«
2021-06-02T17:07:11+0200
2021-06-02T17:07:11+0200
2023-01-20T22:22:19+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1152769.artists-against-antisemitism-alte-hetze-in-neuen-medien.html?sstr=egotronic
Mehr Realitätssinn gegenüber Kabul
Nach dem Schock über das eigene Versagen und ersten hilflosen Erklärungsversuchen zu den Ursachen des Debakels in Afghanistan haben die politisch Verantwortlichen in Berlin wieder in den Arbeitsmodus zurückgefunden. Die Regierung beschloss am Dienstag einen Antrag zur – in akuten Fällen möglichen – nachträglichen Mandatierung des robusten Militäreinsatzes mit bis zu 600 Soldaten. Sie sollen mit US- und britischen Truppen sowie Soldaten anderer Nato-Staaten den Flugplatz von Kabul sichern und – so betonte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) bereits am Montag – »so lange wie möglich, so viel wie möglich« Menschen ausfliegen. Die notwendige Zustimmung des Parlaments will die Regierung in der kommenden Woche erbitten. Am Dienstag tagten auch der Auswärtige und der Verteidigungsausschuss des Bundestages, um die beiden für die aktuellen Afghanistan-Versäumnisse haftbaren Minister zu befragen. Neben Kramp-Karrenbauer steht vor allem Außenamtschef Heiko Maas (SPD) parteiübergreifend in der Kritik. Doch je nach Nähe zur aktuellen Regierung und zu nach den Bundestagswahlen im September auszuhandelnden Wunschkoalitionen unterscheiden sich Ton und Schärfe. Bereits vor der Sitzung hatte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, von einem »dramatischen Scherbenhaufen«, einem »menschlichen Drama« und einer »politischen Katastrophe« gesprochen. Doch anders als der CDU-Politiker meint, ist das »moralische Scheitern des Westens« nicht erst nach der faktischen Machtübernahme der Taliban offenbar geworden, widersprechen Oppositionspolitiker und Hilfsorganisationen. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock warf Maas vor, komplett die Augen vor der Realität verschlossen zu haben. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) betonte, Maas habe das »größte außenpolitische Desaster seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland« zu verantworten. Rücktritt wäre ein wichtiger symbolischer Akt, um zu demonstrieren, dass man in höchsten politischen Ämtern noch Verantwortung übernehme. Der außenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Gregor Gysi, ging noch weiter. Er verlangte, dass die gesamte Regierung bis nach der Bundestagswahl nur noch geschäftsführend im Amt bleibt. Ob eine derartige Debatte Wählerstimmen bringt? Einen Zugewinn an jetzt notwendiger politischer Handlungsfähigkeit ist so gewiss nicht zu erreichen. Ad-hoc-Hilfsmaßnahmen müssen in einen stabilen Mechanismus überführt werden. Noch gibt es kaum eine politische Abstimmung unter den einstigen Besatzungsmächten, die nun in neuer Art gefordert sind. Die USA machen erkennbar »ihr Ding«, die Verbündeten hängen in der Luft. Umso wichtiger ist es, dass von Experten, auch denen des Bundesnachrichtendienstes, Analysen und Dossiers erstellt werden. Was haben die Sieger noch gemein mit jenen blutigen »Gotteskriegern«, die bis 2001 das Land regierten und von der Nato aus Kabul vertrieben wurden? Wer sind die neuen Männer, die versprechen, das »Leben«, das »Eigentum« und die »Ehre« aller Afghanen – egal ob Mann, Frau, Kind – zu schützen. Das Islamische Emirat Afghanistan bietet jenen, die für das vertriebene Regime oder die Invasoren gearbeitet haben, eine Amnestie, verspricht »Diplomaten, Botschaften, Konsulaten und karitativen Mitarbeitern, ob international oder national«, dass sie nicht belästigt werden. Es bittet alle »Geschäftsleute, Industrielle und Investoren«, ihre Arbeit »normal fortzuführen«. Gegenüber allen Nachbarstaaten werden verlässliche und friedliche Beziehungen versprochen. Alles wahr oder böses Kalkül? Sicher ist, die Taliban sind kein monolithischer Block und die wichtigste Frage lautet: Sind die jetzt Herrschenden in der Lage, ihre Feldkommandeure an die Kandare zu nehmen, damit Racheakte unterbleiben? Viele Antworten erhofft sich Berlin vom einstigen Sonderbeauftragten für Afghanistan. Markus Potzel hatte an den Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der damaligen afghanischen Regierung in der katarischen Hauptstadt teilgenommen. Jetzt ist er wieder in Doha, um alte Gesprächskanäle zu nutzen oder neue zu öffnen. Viel wird davon abhängen, ob die Bundesregierung sich weiter in die Tasche lügt, was die realen Verhältnisse in Afghanistan betrifft. Einschätzungen wie »alle haben Angst vor den Taliban« oder »niemand vertraut der neuen Clique« sollten unterbleiben. Sie ignorieren, dass die Taliban seit Jahren weit über die Hälfte des Staatsgebietes beherrschen, weil sie in Distrikten und Provinzen parallele Regierungsstrukturen aufbauten und sich das Vertrauen vieler, vor allem traditionell orientierter Menschen erwarben. Sie betreiben Schulen, Krankenhäuser und ein Solidarsystem – oft geschickt finanziert mit Geldern, die aus dem Westen an die afghanische Regierung überwiesen wurden. Ob es klug ist, nun gegenüber dem bettelarmen Land jede Entwicklungshilfe einzustellen? Auch diese Frage muss in Berlin und bei einer Videokonferenz der G 7-Staaten beantwortet werden, zu der US-Präsident Joe Biden in der kommenden Woche eingeladen hat.
René Heilig
Das »Islamische Emirat«, wie die Taliban Afghanistan nennen, hege keinen Groll gegen irgendjemanden. Ob das stimmt, wäre herauszufinden. Diese Aufgabe muss nun auch die Bundesregierung übernehmen.
Afghanistan, Bundesregierung, Entwicklungshilfe, Taliban
Politik & Ökonomie
Politik Sieg der Taliban
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1155700.mehr-realitaetssinn-gegenueber-kabul.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Die Atomwaffenfraktion
Am Dienstag hat die CDU ihr neues Grundsatzprogramm beschlossen, nach zweieinhalb Jahren intensiver Arbeit von zehn »Fachkommissionen« unter Leitung von Präsidiumsmitgliedern der Partei. Der Titel: »In Freiheit leben«. Neben den bekannten Aussagen zu Asyl, Migration und Sozialstaat ziehen sich Bekenntnisse zu Wehrhaftigkeit und Militär durch das Dokument. Folgerichtig brachte Friedrich Merz bereits in seiner Rede zum Parteitagsauftakt die 1001 Delegierten mit viel Freiheitslyrik in Stimmung. Freiheit, so sein Mantra, sei das »Wichtigste, was uns Menschen gegeben ist«. Der alte und neue CDU-Chef teilte auch mit, er schreibe Parteifreunden immer die weisen Worte des antiken griechischen Geschichtsschreibers Thukydides in die Geburtstagskarten: »Das Geheimnis des Glücks ist die Freiheit. Das Geheimnis der Freiheit aber ist der Mut.« Frieden ohne Freiheit, gab Merz die Marschrichtung vor, sei kein Frieden. Und er entstehe »nicht allein durch Friedfertigkeit«, schrieb er insbesondere der immer noch als zögerlich in Sachen Aufrüstung dargestellten SPD ins Stammbuch. Dafür erntete der Parteichef tosenden Applaus. Auch seine Forderung nach dauerhaft drastisch erhöhten Rüstungsausgaben und europäischen Atomwaffen kam gut an. Denn, so der Chef der Unionsfraktion im Bundestag: Der atomare Nato-Schutzschirm mit US-Nuklearraketen werde in absehbarer Zeit wegbrechen. Während der Wunsch nach eigenen EU-Nuklearkapazitäten in der SPD bislang eine Einzelmeinung von EU-Politikerin Katarina Barley geblieben ist und sich selbst FDP-Militärexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann dagegen aussprach, ist die CDU nun offenbar generell dafür. Im Programm heißt es zum Thema, die »nukleare Teilhabe als wichtiges Element der nuklearen Abschreckung« solle mit »unseren europäischen Partnern wie Frankreich und dem Vereinigten Königreich zu einem gemeinsamen atomaren Schutzschirm weiterentwickelt werden«. Die größte Bedrohung für die Freiheit kommt laut Merz und Programm wie einst im Kalten Krieg aus Moskau und von »autoritären Regimes« allgemein. Der 91-jährige CDUler Otto Wulff, der auf der Parteitagsbühne über die Jahre des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg in der alten Bundesrepublik sprach, hatte sogar ein Exemplar des berüchtigten antikommunistischen CDU-Plakats mit der Aufschrift »Alle Wege des Marxismus führen nach Moskau« aus dem Jahr 1953 mitgebracht. Merz hielt es hoch und war zu Tränen gerührt. Im Programm nehmen die »Verteidigungsfähigkeit Deutschlands und die Kampffähigkeit der Bundeswehr« zentralen Raum ein. Zugleich wird dort betont, die dafür nötigen Mehrausgaben dürften grundsätzlich nicht über neue Kredite finanziert werden. Schuldenfinanzierte Sondervermögen dürfe es »nur in äußersten Ausnahmefällen« geben, ohne sie später umzuwidmen. Die CDU ist für eine »regelmäßige Präsenz von Soldatinnen und Soldaten im täglichen Leben« – zur Nachwuchsgewinnung auch an Schulen. Die vor allem als militärische definierte europäische Sicherheit ist zudem wesentliches Thema eines Leitantrags des CDU-Bundesvorstands an den Parteitag mit dem Titel »In Freiheit. In Sicherheit. In Europa«, in dem insbesondere die Notwendigkeit der dauerhaften und umfassenden militärischen, finanziellen und wirtschaftlichen Unterstützung der Ukraine »unterhalb der Schwelle eines eigenen Kriegseintritts« hervorgehoben wird. Das Ganze verbunden mit dem Mantra, deren Bewohner verteidigten »auch unsere Freiheit und unsere europäischen Werte«. Sie müssten »den Krieg gegen Russland gewinnen«. Wenn man »in den Sieg der Ukraine« investiere, schütze man auch die »langfristige Sicherheit unseres gesamten Kontinents«. Diese wird auch als wesentliches Motiv für die Abgrenzung zur AfD angeführt. Und nicht nur zu dieser: »In Deutschland sehen wir, wie Extremisten von links und rechts – insbesondere die AfD – Putins Kurs unterstützen.« In Sachen Extremismus bleibt die CDU auch im Programm – trotz der Beteuerung, man habe die Gefahren des Rechtsextremismus lange unterschätzt – dabei, dass es eines »360-Grad-Blicks« bedürfe. Es läuft darauf hinaus, dass alle »Extremismen« weiter gleich gefährlich sind. Die Christdemokraten fordern außerdem, dass die Bundeswehr leichter im Inland eingesetzt werden kann, was letztlich vor allem auf die Bekämpfung möglicher Unruhen hinausläuft. Der bisher im Grundgesetz für solche Einsätze festgelegte Rahmen sei »zu eng definiert«, heißt es im Programm. Das müsse »zum Schutz der Bevölkerung« geändert werden. Bei »besonderen Bedrohungslagen, in denen nur die Bundeswehr über die spezifischen Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr« verfüge, müsse sie auch eingesetzt werden dürfen.
Jana Frielinghaus
Die Ampel-Regierung will Deutschland »kriegstüchtig« machen und die Militärausgaben dauerhaft drastisch erhöhen. Um das zu überbieten, mussten die Christdemokraten auf ihrem Parteitag auch rhetorisch aufrüsten.
CDU
Politik & Ökonomie
Politik CDU-Parteitag
2024-05-07T18:05:13+0200
2024-05-07T18:05:13+0200
2024-05-08T10:03:33+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1182042.cdu-parteitag-die-atomwaffenfraktion.html
Roboterbusse im Nahverkehr
Wer in Randzeiten einen Bus nimmt, ist bisweilen allein mit dem Fahrer. Künftig könnte man ganz allein sein – wenn der Nahverkehr auf Roboterbusse setzt. Eine Zukunftsvision oder fast schon Realität? Fragen & Antworten in nd-ratgeber. Sozialwahl 2017 - Die Briefwahl endet am 31. Mai 2017. Die rund 52 Millionen wahlberechtigten Versicherten und Rentner sind aufgerufen, an der Sozialwahl 2017 teilzunehmen. Bis zum 31. Mai werden per Briefwahl die Parlamente von zehn Renten- und Krankenversicherungsträgern gewählt. Bei der Sozialwahl werden die Kandidaten nicht direkt gewählt, sondern sie treten gemeinsam in Listen an. Gewählt werden dann Listen. Etliche gesetzliche Krankenkassen stellen sich nicht einer Urwahl ihrer Parlamente, sondern führen eine sogenannte Friedenswahl ohne echten Wahlgang durch. Sie kungeln eine Kandidatenliste aus, die dann gewählt wird »ohne Wahlhandlung«, wie das genannt wird. Wie richtig kündigen? Tipps für Arbeitgeberwechsel. Zum Berufsleben gehört eine Kündigung dazu wie ein Vorstellungsgespräch oder eine Gehaltsverhandlung. Wie beim Unternehmenseintritt sollten Arbeitnehmer auch beim Verlassen des Arbeitgebers wichtige Aspekte und Möglichkeiten beachten. Hinweise von Experten im nd-ratgeber. Mietrechtsurteile - Duldung von Modernisierungsmaßnahmen. Die Pflicht des Mieters, Modernisierungsmaßnahmen zu dulden, kann unter dem Gesichtspunkt baulicher Folgen entfallen, wenn feststeht, dass die geplante Maßnahme gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt. Hält sich der Vermieter an die Auflagen, die die zuständigen Behörden erlassen haben, liegt jedoch diese Situation eines offenkundigen Verstoßes nicht vor. Über weitere Einzelheiten informiert der nd-ratgeber. Im Wohnzimmer im Freien Ärger vermeiden - Was man bei der Gartennutzung alles bedenken muss. Wer einen Gartenzugang hat – egal, ob als Eigentümer oder Mieter –, der kann sich glücklich schätzen. Er hat Gelegenheit, Frühjahr, Sommer und Herbst naturnah auszukosten. Doch mit der Freude kommt zumindest manchmal auch der Streit. Denn nicht jede Art der Gartennutzung ist aus Rücksicht auf Nachbarn und Miteigentümer zulässig. Der Infodienst Recht und Steuern der LBS fasst in nd-ratgeber neun Urteile deutscher Gerichte zu diesem Thema zusammen. Steuertipps - Wer zur Abgabe einer Einkommensteuererklärung für das Jahr 2016 verpflichtet ist, muss diese bis zum 31. Mai 2017 beim Finanzamt einreichen. Was aber kann alles steuerlich geltend gemacht werden? Und wie werden Versicherungsbeiträge mit der Steuererklärung zurückgeholt? Dazu weitere Tipps im nd-ratgeber. Wie heikel ist eigentlich das Kleingedruckte? Schnell etwas unterschreiben, ohne es zu lesen? Was sonst ziemlich riskant wäre, tun Millionen Kunden regelmäßig bei Kartenzahlungen an der Ladenkasse. Die Verbraucherschützer verteidigen durchaus diese Methode – allerdings setzen sie ein deutliches Warnsignal. Fragen & Antworten zum Bezahlen an der Kasse im nd-ratgeber. Reiserecht - Wenn der Urlaubsrückflug um 14 Stunden vorverlegt wird … Verlegt der Reiseveranstalter den Rückflug um 14 Stunden vor, so dürfen Kunden den Reisevertrag kündigen und den Veranstalter auch für die »vereitelte Reise« haftbar machen. Was Betroffene tun können, wird in nd-ratgeber dargelegt.
Redaktion nd-aktuell.de
Nahverkehr durch Roboterbusse. Eine Zukunftsvision oder fast schon Realität? Fragen & Antworten in nd-ratgeber. Weitere Themen: Sozialwahl 2017, Tipps für Arbeitgeberwechsel, Mietrechtsurteile, Steuertipps...
Bus, Einkommensteuer, Mietrecht, Roboter, Steuer
Ratgeber
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1050530.roboterbusse-im-nahverkehr.html
Den Schalk in der Feder
Das ist nun wirklich einer, dieser Jürgen K. Hultenreich. Wo doch viele von der Kunst Orientierung, Stellungnahme erwarten, leistet er sich das Gegenteil: Er führt uns überaus genüsslich aufs Glatteis. Glatt verlief sein Lebensweg nicht und erklärt vielleicht die Hintergründigkeit eines vielseitigen Schaffens. Mit 17 wanderte der 1948 in Erfurt Geborene wegen verpatzter Republikflucht hinter Gitter, wirkte dann als Bassist in einer Band, eher er Bibliothekar studierte. 1985 reiste er aus der DDR nach dem damaligen Westberlin aus, wo er seither als freier Autor in Wedding lebt. Seinem Schriftwerk, darunter »Mein Erfurt« und »Die Schillergruft«, das ihm den Marburger Literaturpreis 1990 eintrug, gesellte sich ab 2008 ein schon umfangreiches Bildwerk zu. Dass der Musiker, Literat, Zeichner zudem 1996 Berliner A-Meister im Schach wurde, legt ihn darauf fest, sich eben nicht festzulegen. Genau das trifft auch auf sein zeichnerisches Oeuv... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Kilian Klenze
Delikat »Vertuschtes« von Jürgen K. Hultenreich in der Galerie Zeisler
Galerie
Hauptstadtregion
Brandenburg
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Worin auch die Vordenker irrten
Nach ausgewählten Dokumenten zum Imperialismus und zum Werk Lenins über diesen hat Stefan Bollinger nunmehr in der Reihe »Edition Linke Klassiker« eine weitere höchst aktuelle Quellenpublikation vorgelegt. Diesmal geht es um Nation und nationale Frage. Der Band enthält wichtige theoretische Texte von Karl-Marx, August Bebel, Wladimir Lenin, Rosa Luxemburg, Karl Kautsky, Leo Trotzki, Otto Bauer, Josef Stalin, Ernst Thälmann, Antonio Gramsci, Mao Zedong, Ho Chi Min, Alexander Abusch u. a. In den großen linken Debatten zu Nation und Nationalismus reifte die Erkenntnis des internationalistischen Charakters einer jeden sozialistischen Bewegung und Revolution. Das Aufkommen des Imperialismus, die beiden Weltkriege, der Übergang zum radikalen Nationalismus und völkischen Rassismus, aber auch die sozialistischen und nationalen Befreiungskämpfe stellten grundlegend neue Anforderungen und Herausforderungen an linke Theorie und Politik. Das Schei... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Karl-Heinz Gräfe
Die Linke und die Nation – Klassische Texte zu einer brisanten Frage
Buchrezension, LINKE, Theorie
Feuilleton
Kultur Politisches Buch
https://www.nd-aktuell.de//artikel/179212.worin-auch-die-vordenker-irrten.html
Massenüberwachung: BND darf weiterhin schnüffeln
Leipzig. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat die Klage der Journalistenorganisation »Reporter ohne Grenzen« gegen den Bundesnachrichtendienst (BND) als unzulässig abgewiesen. Damit wurde am Mittwoch eine Entscheidung aus dem Jahr 2014 bestätigt (AZ: BVerwG 6 A 2.15), wie das Bundesverwaltungsgericht am Donnerstag mitteilte. Die Journalistenorganisation hatte gegen die massenhafte E-Mail-Überwachung und Erfassung von Verbindungsdaten durch den BND geklagt. Nach Ansicht von »Reporter ohne Grenzen« verstößt der BND damit gegen das Fernmeldegeheimnis, das in Artikel 10 des Grundgesetzes festgeschrieben ist. Für ihre Klage hatte die Journalistenorganisation erst am Montag weiteres Beweismaterial vorgelegt, das laut Geschäftsführer Christian Mihr »das Ausmaß der illegalen Überwachung elektronischer Kommunikation« dokumentieren sollte. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte am Mittwoch zunächst über die Zuläss... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Der Bundesnachrichtendienst darf weiterhin massenhaft Emails und Verbindungsdaten Erfassen. Das hat das Bundesverwaltungsgericht nun entschieden. Der Geheimdienst verstößt damit nicht gegen geltendes Recht, heißt es.
Bundesverwaltungsgericht, Journalisten, Pressefreiheit
Politik & Ökonomie
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Canberra verspricht Atomtestopfern Hilfe
Sydney. Mehr als ein halbes Jahrhundert nach einer Serie von geheimen britischen Atombombentests in Australien sollen Ureinwohner, die damals Strahlen ausgesetzt waren, bessere ärztliche Hilfe bekommen. Die Regierung in Canberra kündigte am Dienstag an, dass Aborigines aus den Testregionen eine Gesundheitskarte erhalten, mit der praktisch alle Kosten abgedeckt werden. Großbritannien hatte zwischen 1952 und 1963 in abgelegenen Regionen des Commonwealth-Partners Australien Atombomben getestet. Die Versuche fanden in der Maralinga-Wüste im Süden des Kontinents sowie auf den Monte-Bello-Inseln im Nordwesten statt. Viele Ureinwohner wurden damals gezwungen, ihre Heimat zu verlassen. Wer blieb, wurde hoher radioaktiver Strahlung ausgesetzt. Viele trugen Gesundheitsschäden davon. Nach einer Studie waren allein in der Maralinga-Wüste etwa 1200 Aborigines betroffen. dpa/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Atomwaffen, Australien, Großbritannien, Ureinwohner
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Der ewige Vorsitzende fordert Rotationsprinzip
Der Chef der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation (KPRF), Gennadi Sjuganow, plant eine Parteirevolution. In Zukunft sollen die Abgeordneten auf regionaler und föderaler Ebene nach zwei Legislaturperioden ihren Platz räumen. Das erklärte Sjuganow am vergangenen Samstag beim neunten Plenum des Zentralkomitees seiner Partei. Damit will er die Entstehung einer »Parteiaristokratie« verhindern. Ausgenommen von der neuen Regelung sind dem Plan zufolge nur Leiter von Parlamentsausschüssen und direkt gewählte Abgeordnete, da ein solcher Wahlsieg ein hohes Maß an Wählervertrauen voraussetze. Außerdem verlangte Sjuganow, für die neuen Parteimitglieder eine Bewährungszeit einzuführen und die »Karteileichen« aus der Partei auszuschließen. Die Aktivisten aus den Regionen sollten nun gezielt in die ersten Reihen geschoben werden. Der 75-Jährige leitet die KPRF seit ihrer Gründung im Jahr 1993. Die zweitgrößte Partei und größte Oppositionsk... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Ewgeniy Kasakow
Seit Jahrzehnten ist die Kommunistische Partei in Russland die größte Oppositionskraft. Unter Allzeitchef Sjuganow setzt sie auf eine nationalistische Rhetorik und einen sozialen Kapitalismus.
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Was an der Donau nicht zusammenpasst
Viele Menschen in Ungarn fühlen sich nicht nur als Verlierer des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umbaus der vergangenen beiden Jahrzehnte, sondern sie sind es auch. Dazu zählen auf jeden Fall jene Gruppen, die aus dem kleiner gewordenen »Arbeitsmarkt« herausgefallen sind. Unsicherheit, Armut und der Verlust gesellschaftlicher Funktion und Anerkennung sind die Folge. Auffällig ist beispielsweise, wie viele Menschen die Flucht in die Frühverrentung antraten. Seit den 90er Jahren entfällt, ungeachtet einer restriktiven Rentenreform, mehr als die Hälfte aller Renteneintritte auf Frühverrentungen. Verlierer gibt es aber auch unter jenen, die den Systemwechsel als Chance verstanden. Ein Drittel derer, die sich seit 1990 als Unternehmer versucht haben, sind heute wieder abhängig beschäftigt. Sechs von zehn Bürgern, die sich 1992 am unteren Ende der gesellschaftlichen Pyramide befanden, sind heute noch in derselben Lage. Umgekehrt hat jeder zweite Haushalt, der sich 1992 zum obersten Viertel der gesellschaftlichen Pyramide zählte, diese Position mittlerweile an Konkurrenten abgeben müssen. Unter den Anhängern der aussichtsreichen Parteien finden sich, wenn auch in unterschiedlicher Zahl, auf jeden Fall Vertreter all dieser Gruppen. Und die Wähler wissen recht genau, was sie von den Parteien ihrer Wahl erwarten. Gemeinsam ist ihnen, mit wenigen Ausnahmen – etwa in der Steuer- und zum Teil in der Wohnungspolitik –, dass sie hohe Erwartungen gegenüber dem Staat hegen. Vergleicht man zudem die Wünsche der Wähler des konservativen Bundes Junger Demokraten (FIDESZ) mit jenen der Sympathisanten der Ungarischen Sozialistischen Partei (USP), erlebt man manche Überraschung. Die Unterschiede entsprechen keineswegs den gängigen Rechts-Links-Klischees. Die FIDESZ-Sympathisanten erwarten nämlich in zentralen Bereichen unverkennbar mehr Staatseingriff und mehr vom Staat herbeizuzaubernde Lösungen gesellschaftlicher Probleme als die Wähler der abgewirtschafteten sozialistischen Konkurrenzpartei. Ablesbar an einer von 0 bis 100 reichenden Skala kommen die die FIDESZ-Wähler im Bereich Arbeit mit ihren Wünschen an den Staat auf 70 Punkte, während sich die USP-Wähler mit 64 Punkten begnügen. Bei der Bildung beträgt das Verhältnis gar 77 zu 54, bei der Sozialpolitik 64 zu 60, bezüglich der Landwirtschaft 64 zu 51. Bei der Frage nach der staatlichen Verantwortung für das Schicksal ganz allgemein halten die FIDESZ-Sympathisanten bei 50 Punkten gegenüber nur 38 bei den USP-Anhängern. Dieser letzte Punkt ist übrigens der einzige, in dem sie mit den Wählern der im Verschwinden begriffenen liberalen Partei genau übereinstimmen. Dabei hatte sich gerade diese Partei ausschließlich dem Individualismus und der Selbstverantwortung verschrieben. Besonders auffallend ist außerdem, dass die FIDESZ-Wähler mit ihren Positionen in den Bereichen Schicksal, Arbeit, Bildung und Landwirtschaft ein sehr ähnliches Profil wie die Sympathisanten der post-kommunistischen Arbeiterpartei aufweisen. Nun wird von der Demokratie gemeinhin erwartet, dass die Parteien, weil sie alle vier Jahre auf Stimmenfang gehen müssen, auf Bedürfnisse und Wünsche ihrer Anhängerschaft reagieren. Ungarn aber bietet diesbezüglich in den Wochen vor den Parlamentswahlen am Sonntag ein trauriges Bild. Zwar singen alle Parteien das Lied der fleißigen Arbeit, aber keine denkt auch nur ansatzweise über direkten Staatseingriff beispielsweise in den Arbeitsmarkt nach, im Gegenteil: Der Staat selbst soll weniger Menschen beschäftigen und weniger Geld ausgeben, mit dessen Hilfe Menschen beschäftigt werden könnten. Sparen und nochmals sparen ist angesagt, und dem wird sich auch Viktor Orbán, der Führer des FIDESZ, der die Wahlen haushoch gewinnen wird, nicht entziehen können. Den Arbeitsmarkt sollen nach dem Willen beider Großparteien ohnedies die Unternehmer richten. Deswegen will man ihnen wahlweise mit Steuererleichterungen, so der FIDESZ, und Investitionen in die Ausbildung der Ressource Arbeitskraft, wie die USP immer wieder hervorhebt, unter die Arme greifen. Im sozialen Bereich spricht auch FIDESZ bestenfalls von der Sicherung des Bestehenden, und dies nur in Einzelbereichen, namentlich für die Rentner. Ansonsten setzt der künftige Wahlsieger bei der sogenannten Bekämpfung der Armut genauso auf die Stärkung des Arbeitsethos als Voraussetzung für den Zugang auch nur zu minimalen Leistungen wie die für ihre Zögerlichkeit beim Sozialabbau viel gescholtene USP. Im Übrigen hat der FIDESZ sich nicht einmal die Mühe gemacht, ein eigenes Wahlprogramm zu erstellen. Die landesweite Plakatkampagne beschränkt sich auf die Beschwörung des bevorstehenden Sieges. Und das wird ein Sieg der Partei und nicht der Wähler sein. Letztere werden eine weitere herbe Enttäuschung erleben. Für die nächste Etappe des ungarischen Dramas hat die ultrarechte Jobbik ihre Netze schon ausgelegt. Das Programm dieser aufsteigenden politischen Kraft verdient es, genau gelesen zu werden. Denn Schelte und Beschimpfung, wie sie Jobbik überall in Europa erntet, ist nicht genug, eben weil Jobbik in der Bevölkerung verbreitete Befindlichkeiten in all ihrer Widersprüchlichkeit aufgreift und auf ihre Weise zum Ausgangspunkt politischer Mobilisierung macht. Das Wahlsystem in Ungarn, eine Mischung aus Verhältnis- und Mehrheitswahlrecht, gehört zu den kompliziertesten Europas. Die Parlamentswahlen finden in zwei Wahlgängen – am 11. und 25. April – statt. Vor der ersten Runde hat sich der Trend zu einem Rechtsrutsch verfestigt. Der oppositionelle rechte Bund Junger Demokraten (FIDESZ) unter Viktor Orbán, der bereits 1998 bis 2002 Premier war, kommt nach einer Meinungsumfrage des Budapester Instituts Szonda-Ipsos auf 62 Prozent der Stimmen. Die Ungarische Sozialistische Partei (USP), die das Land in den vergangenen acht Jahren mit wechselnden Ministerpräsidenten (Péter Medgyessy, Ferenc Gyur-csany, Gordon Bajnai) regiert hat, kann dieser Umfrage zufolge lediglich mit 20 Prozent der Stimmen rechnen. Ihr Spitzenkandidat ist der 36-jährige Attila Mesterházy. Aussichten auf den Einzug in die Nationalversammlung werden darüber hinaus nur noch der rechtsextremen Partei Jobbik (Die Besseren) eingeräumt. Sie würde auf 13 Prozent der Stimmen kommen. (dpa/ND)
Gábor Kerényi, Budapest
Erfahrungen und Erwartungen der Bevölkerung Ungarns stehen unverkennbar im Widerspruch zum Programm der Parteien für diese Parlamentswahlen. Dennoch steht der Sieger schon vor dem ersten Wahlgang am Sonntag fest.
FIDESZ, Jobbik, Ungarn, Wahl
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Viel Lärm um das Mindeste
Der Berliner Senat hat am Dienstag ein Kündigungsmoratorium beschlossen. Mieter*innen, die ihre Miete aufgrund der gestiegenen Energiepreise nicht vollständig oder rechtzeitig zahlen können, sollen nun vor einem Rausschmiss geschützt werden – vorausgesetzt, sie wohnen bei einer der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Die Maßnahme war schon länger angekündigt worden, am Dienstag erklärte Bausenator Andreas Geisel (SPD) in der Senatspressekonferenz das Moratorium als Teil des landeseigenen Entlastungspaketes zur beschlossenen Sache. Landeseigene und Berlinovo zusammengerechnet betrifft das Moratorium 360 000 Wohnungen und etwa 700 000 Mieter*innen. Die sollen nun über einen Zeitraum von sechs Monaten nicht durch etwaige Mietrückstände in Bedrängnis kommen. »Es werden dann kulante Lösungen gefunden, etwa Stundungen oder Ratenzahlungen«, sagt Geisel. Auch Mietverzicht sei eine Option. Welche Entlastungsform für wen in Betracht kommt, wer also auf Schulden sitzen bleibt und wer nicht, das kann Geisel nicht präzisieren. Auch, wie eine Erstattung konkret ablaufen wird, erscheint noch unklar. Das hänge von der Entwicklung des Härtefallfonds als Teilmaßnahme des Entlastungspaketes ab, mit dessen Mitteln die offenen Rechnungen gedeckt würden. Geisel rechnet vor: Bei einer Erhöhung der Nebenkosten um 570 Euro im Monat und einem Zahlungsausfall bei zehn Prozent der Haushalte mache das 20 Millionen Euro, die es zu begleichen gelte. »Aber keiner von uns kann sagen, wie die Preisentwicklung ist.« Tatsächlich sind die Wohnungsunternehmen in öffentlicher Hand seit 2015 durch das Wohnraumversorgungsgesetz ohnehin dazu verpflichtet, Mieter*innen selbst bei einer Räumung eine alternative Wohnmöglichkeit anzubieten – auf der Straße landen Mieter*innen der Landeseigenen theoretisch also ohnehin nicht. »Beim näheren Hinschauen ist das alter Wein in neuen Schläuchen«, sagt deshalb Ulrike Hamann vom Mieterverein zu dem Beschluss. Gleichzeitig habe ein ähnliches Moratorium von 2020 bis September 2021 anlässlich der Corona-Pandemie nicht wie versprochen funktioniert: 98 bewohnte Wohnungen seien in diesem Zeitraum trotzdem geräumt worden, so Hamann. Wirklich sinnvoll sei ein Mietenmoratorium, das Mieterhöhungen verhindere. Geisel gibt selbst zu, dass der Beschluss keine radikale Veränderung bedeutet: Soziale Lösungen bei Mietrückständen seien »schon lange Praxis«. Immerhin, betont er, umfasse das Moratorium nun auch Gewerbetreibende, die ihre Räumlichkeiten bei den Landeseigenen mieten. So solle der Kleinhandel im Erdgeschoss durch die Krise getragen werden, denn: »Wer einmal insolvent gegangen ist, das wiederzubeleben ist viel schwieriger, als sie durch sechs Monate zu bringen.« Vor allem legt Geisel aber Wert auf die Signalwirkung der Maßnahme. »Private Vermieterinnen und Vermieter sind ganz ausdrücklich dazu aufgefordert, sich unserem Beispiel anzuschließen«, sagt Geisel und richtet sich speziell an Mitglieder des Wohnungsbündnisses. So hätte der Bündnispartner Vonovia zwar laut Informationen des Magazins »Spiegel« auf Bundesebene Kündigungen nicht ausgeschlossen, »aber für Berlin führen wir da noch ein Gespräch«. Geisel und seine Parteikollegin und Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey hoffen ohnehin auf einen Energiepreisdeckel. »Die Rechnungen, die existenzielle Sorgen auslösen, sollten erst gar nicht verschickt werden«, sagt Giffey und fordert den Bund zu schnellem Eingreifen auf. Bis dahin würde Berlin mit dem Kündigungsmoratorium zeigen, dass es dem Land ernst sei.
Nora Noll
Niemand verliert die Wohnung bei Mietrückstand, das verspricht der Senat den Mieter*innen der Landeseigenen. Für den Mieterverein ist das »alter Wein in neuen Schläuchen«.
Berlin, Mieten, Wohnen
Hauptstadtregion
Berlin Entlastung
2022-09-27T16:48:33+0200
2022-09-27T16:48:33+0200
2023-01-20T17:23:11+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1167261.entlastung-viel-laerm-um-das-mindeste.html
»Wir müssen Caracas neu denken«
Kurz nach den verlorenen Regionalwahlen Mitte Oktober verkündeten die größten Oppositionsparteien in Venezuela ihren Boykott der Kommunalwahlen am 10. Dezember. Dadurch haben sich Räume für alternative Kandidaturen im linken Spektrum geöffnet. Interessant ist die Situation in der chavistischen Hochburg Municipio Libertador, das sich im Westen der venezolanischen Hauptstadt Caracas erstreckt. Neben der Kandidatin der regierenden Vereinten Sozialistischen Partei Venezuelas (PSUV), Erika Farias, treten hier unter anderem der Linkschavist Eduardo Samán sowie der Mitte-Links-Kandidat Nicmer Evans an, der bis Juli dieses Jahres der PSUV-Abspaltung Marea Socialista angehörte. Bei der Bürgermeisterwahl in Caracas treten Sie als Chavist gegen die Regierungskandidatin Erika Farías von der PSUV an, der sie lange angehörten. Wie kam es dazu? Weder ich noch die Parteien Vaterland für alle (PPT) und die Kommunistische Partei Venezuelas (PCV) hatten ursprünglich die Absicht, gegen die PSUV zu kandidieren. Das Ziel war, wie bei vorangegangenen Wahlen im Bündnis »Großer Patriotischer Pol« gemeinsam anzutreten. Doch nachdem die wichtigsten rechten Oppositionsparteien einen Boykott der Kommunalwahlen ankündigten, hat die Regierungspartei in den meisten Gemeinden keine echte Konkurrenz mehr. Deshalb zeigte sie keinerlei Interesse daran, sich mit den verbündeten Parteien abzustimmen, sondern setzte auf überhebliche Art und Weise die eigenen Kandidaten von oben durch. Und der Nationale Wahlrat (CNE) wollte meine Kandidatur ursprünglich gar nicht zulassen. Erst nach Protesten tat er dies dann doch, aber ich erscheine nicht auf dem Bildschirm der Wahlmaschinen. Eduardo Samán leitete zwischen 2008 und 2014 mit Unterbrechung die Verbraucherschutzbehörde Indepabis in Venezuela, von 2009 bis 2010 war er kurzzeitig Handelsminister. Aufgrund seines Eintretens gegen korrupte Strukturen im Lebensmittelsektor machte sich der 53-Jährige einen Namen. Im Juni 2017 verließ er die Regierungspartei und schloss sich der kleineren chavistischen Partei PPT (Heimatland für alle) an, die aus der Gewerkschaftsbewegung hervorgegangen ist. Vor den Kommunalwahlen am 10. Dezember sprach mit ihm Tobias Lambert. Foto: privat Sondern? PPT und PCV hatten sich für die Wahlen mit eigenen Kandidaten als Platzhalter registriert, hätten diese aber im Falle einer Übereinkunft mit der PSUV wieder zurückgezogen. Nachdem daraus nichts geworden ist, wollten sie die jeweiligen Kandidaten durch meinen Namen ersetzen. Aber der CNE verhinderte dies aufgrund vorgeschobener, technischer Gründe. Das heißt, wer Samán wählen will, muss am Bildschirm auf einen anderen Namen klicken?Genau. Ich bin der einzige Kandidat, dessen Name dort nicht erscheint. Die große Herausforderung unseres Wahlkampfes ist es, die Menschen darüber aufzuklären, dass sie mich wählen, wenn sie PPT und PCV ihre Stimme geben. Wer versteht, was da vor sich geht, ist häufig derart empört, dass er mich erst recht unterstützt. Wir müssen auch gezielt gestreuten Gerüchten entgegentreten, wonach ich angeblich meine Kandidatur zurückgezogen hätte. Das ist alles nicht einfach, zumal ich einer medialen Blockade ausgesetzt bin. Inwiefern? Die staatlichen Medien haben die Anweisung, nicht über mich zu berichten und die privaten erhalten Drohungen. Das Ziel besteht darin, meine Kandidatur unsichtbar zu machen. Wir sind vor allem auf der Straße, in sozialen Medien und dem kleinen Sektor der kommunitären Medien präsent. Durch mutige Journalisten gelingt es aber manchmal, die Blockade in den klassischen Medien zu durchbrechen. Warum wehrt sch die PSUV derart gegen Ihre Kandidatur, wovor hat die Regierung Angst? In der Partei haben reformistische Strömungen die Oberhand gewonnen, die eine kapitalistische Modernisierung anstreben. In der Verfassunggebenden Versammlung wird derzeit zum Beispiel über ein Gesetz diskutiert, das ausländischen Investoren Anreize bieten soll. Ich glaube hingegen an einen Sozialismus von unten, einen Sozialismus der Arbeiterinnen und Arbeiter. Das Bürgermeisteramt des Municipio Libertador ist ohne Zweifel der bedeutendste Posten innerhalb von Caracas. Es geht der PSUV aber in diesem Fall gar nicht in erster Line um dieses Amt. Innerhalb der Partei haben sie schlicht Angst davor, dass sich eine neue linke, marxistische Referenz innerhalb des Chavismus herausbildet. Abgesehen von dieser symbolischen Bedeutung der Wahl. Was ist Ihr konkretes Programm für Caracas? Ein Programm arbeiten wir kollektiv in Versammlungen aus. Zuallererst muss es darum gehen, die Lebensadern der Stadt zu retten. Die Versorgung mit Lebensmitteln, Wasser und Elektrizität wurde völlig vernachlässigt. Und wegen der prekären Sicherheitslage schließen wir uns in Caracas nach 18 Uhr zu Hause ein. Caracas hat sich im Schatten des Erdölbooms entwickelt, doch das Erdöl generiert nicht mehr ausreichend Einnahmen. Deshalb müssen wir die Stadt neu denken. Wir müssen aus Caracas eine produktive Stadt machen, die nicht mehr von der Erdölrente abhängt und in der es Arbeit gibt, die nicht auf Ausbeutung basiert. Dabei spielt neben dem Aufbau von Industrien auch die urbane und semiurbane Landwirtschaft eine Rolle.
Tobias Lambert
Durch den Boykott der rechten Opposition haben sich bei den Kommunalwahlen Räume für eine linke Opposition zum Chavismus geöffnet. Ein Gespräch mit Linkschavist Eduardo Samán aus einer chavistischen Hochburg in Caracas.
linke Bewegung, Medienkritik, Venezuela
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Politik Venezuela
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1072749.wir-muessen-caracas-neu-denken.html
Dem Alles folgt das Nichts
Abends um acht. Bühnenkomplex A. Die Reihen sind dicht gefüllt. Viele junge Leute. Hoffnungsvolle Gesichter. Groß die Erwartung? Immerhin, Regisseurin Katie Mitchell hat Neues mit ihrer jungen Crew an der Schaubühne einstudiert: Elfriede Jelineks »Schatten (Eurydike sagt)«. Das Stück ist schon älter, verschiedene Bühnen haben es gespielt. Woher rührt das Interesse? Weil die Autorin berühmt ist und zu provozieren weiß? Oder weil es schick ist für empfindliche Herzen, zu verfolgen, wie eine Schriftstellerin der maskulinen Welt die letzte Post sendet, mit zittriger Hand, tief verletzt, ganz weiblich? Was die Schaubühnen-Aufführung lehrt: Theater als Anstalt, individuelles Seelenbefinden in die Köpfe zu setzen, obendrein feministisch durchwirkt (Männer richten uns zugrunde), taugt nicht viel. Geht Elfriede Jelinek in ihren besten Arbeiten anders vor, in »Schatten« zaubert sie ein einziges Seelenraunen, dem Mythos von Orpheus und Eurydike b... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Stefan Amzoll
Katie Mitchell inszenierte an der Schaubühne Elfriede Jelineks »Schatten (Eurydike sagt)«
Literatur, Theater
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Kultur
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1028734.dem-alles-folgt-das-nichts.html
Soll’s demokratischer sein?
Berlin. Würde man die Briten heute fragen, ob sie für den Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union sind, würde es wohl nicht mehr zum Brexit kommen. In einer aktuellen Umfrage sprachen sich nur noch 41 Prozent für den längst in Gang gesetzten Prozess aus; 51 Prozent dagegen für einen Verbleib in der EU. Während mancher dankend auf Volksabstimmungen auf Bundesebene verzichten möchte in der Annahme, dass die Mehrheit kein Garant für Vernunft ist, halten andere solche Verfahren für die Krönung der Demokratie. In Deutschland setzt sich auch die AfD für Volksabstimmungen ein. Davon distanziert sich etwa die Initiative Mehr Demokratie, obwohl sie ein ähnliches Ziel verfolgt. Nach ihren Vorstellungen wären Abstimmungen nicht möglich, »wenn Grund- und Minderheitenrechte angegriffen werden«, da das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit der Prüfung hätte. Das sei ein wesentlicher Unterschied. In den Niederlanden sind seit 2015 nicht bindende Referenden möglich. Doch statt den nächsten Schritt zu gehen und Referenden einzuführen, an die sich die Regierung auch zu halten hat, ist eine Debatte entbrannt. Parteien, auf die die entsprechende Gesetzesinitiative zurückgeht, haben sich vom bindenden Volksentscheid distanziert. Der Grund dafür ist wohl vor allem ein Referendum zum Assoziierungsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Ukraine, das die Mehrheit der Teilnehmenden zum Missfallen der Regierung ablehnte. Niesco Dubbelboer, Koordinator der niederländischen »Meer Demokratie«, bezeichnet den Sinneswandel im nd-Gespräch als »eine Art Angst vor dem Volk«, kurz: »Demophobie«. Eine Idee, wie die Abschaffung der Referenden noch verhindert werden könnte, hat seine NGO auch schon: mit einem Referendum. rst Seite 2
Redaktion nd-aktuell.de
Die Niederlande diskutieren über Volksentscheide - zwei Jahre nach Einführung
Basisdemokratie, Großbritannien, Niederlande
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1073660.sollrs-demokratischer-sein.html
U2 am Alexanderplatz: Aufwachen, bitte, Frau Senatorin!
100 Tage im Amt soll man dem neuen Regierungspersonal ja lassen. Bis Anfang August läuft deshalb auch für Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) die Schonfrist. Doch schon jetzt hat man das Gefühl, dass das Minenfeld Berliner Straßenland bei ihr falsch aufgehoben ist. Im Sofortprogramm wird nun die Nebelkerze Countdown-Ampel gezündet. Hat man alles schon einmal probiert, bringt nicht viel, frisst unnötiges Geld und Ressourcen. Es gibt andere, drängendere Probleme, derer sich die Verkehrssenatorin sofort annehmen sollte: beispielsweise des Dauer-Staus für die Tram in der Köpenicker Bahnhofstraße. Die Bahnhofstraße ist ein gutes Beispiel für die Konsequenz angeblich nicht ideologischer Verkehrspolitik, die nicht die eine Fortbewegungsart gegen die andere ausspielen will. Denn wer sich nicht für den Vorrang von Öffis, Rad und Fußverkehr entscheidet, der schlägt sich auf die Seite des Status quo, und das bedeutet: Freie Fahrt für die motorisierte Blechschlüssel. Klar, auch Schreiner kündigt ab und zu mal an, dass der Autoverkehr reduziert werden muss. Bei nächster Gelegenheit werden dann aber wieder Radstreifen zugunsten des Autos infrage gestellt. Schreiners Kommunikationswirrwarr treibt dann auch für sie ungünstige Blüten. Während am Sonntag »nd« berichtete, dass die Sanierung des U-Bahn-Tunnels am Alexanderplatz doch nicht wie geplant läuft und die Schäden sich sogar ausgeweitet haben, lief gleichzeitig eine Agenturmeldung ein, in der Schreiner bekannte: »Der U-Bahnbau hat eine hohe Priorität für uns.« Dass es vielleicht Priorität haben sollte, dass auf den bestehenden Gleisen wieder beziehungsweise noch U-Bahnen fahren, wagt man sich gar nicht mehr zu wünschen. Für das Trauerspiel am Alex braucht es eine engagierte Verkehrssenatorin als Krisenmanagerin. Denn so, wie es jetzt aussieht, wird im August, wenn Schreiner die ersten 100 Tage im Amt ist, den Berlinern die unfrohe Botschaft überbracht, dass sie noch länger auf die U2 verzichten werden müssen.
Yannic Walther
Statt von neuen U-Bahnen und Countdown-Ampeln zu träumen, sollte Verkehrssenatorin Manja Schreiner (CDU) sich akuten Krisen widmen. Allen voran den sich nun ausweitenden Schäden beim U-Bahn-Tunnel am Alexanderplatz.
Bahnverkehr, Berlin, Verkehrspolitik
Meinung
Kommentare U-Bahnen in Berlin
2023-06-13T16:58:34+0200
2023-06-13T16:58:34+0200
2023-06-14T11:02:24+0200
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1173951.u-bahnen-in-berlin-u-am-alexanderplatz-aufwachen-bitte-frau-senatorin.html
Von Blattläusen und Pilzbefall
Blattläuse sind immer wieder ein Ärgernis - sie sind meist plötzlich da. Sie befallen bevorzugt die jungen, noch weichen Blätter und Triebspitzen, denn hier kommen sie besonders leicht an den begehrten Zuckersaft der Pflanzen heran. Gleichzeitig erleichtert das auch die Bekämpfung, denn den meisten Pflanzen macht es nichts aus, wenn man die befallenen Trieb- enden einfach mit der Gartenschere abschneidet. Bei einigen Stauden unterbindet man mit dem Rückschnitt nach der Blüte gleichzeitig die Selbstaussaat. Der Rosenrost bildet anfangs gelbliche Punkte auf der Blattoberseite aus, denen gelbe bis orange gefärbte Sporenlager auf der Blattunterseite folgen. Zum Herbst hin bilden sich hier auch dunkle Sporenlager. Deutlich sternförmige, nahezu schwarze Blattflecken, die sich rasch ausbreiten, verbunden mit einer frühen Vergilbung der Blätter und einem vorzeitigen Laubfall sind typische Symptome für den Sternrußtau. Setzen Sie zur Bekämpfung ab Befallsbeginn geeignete Pflanzenschutzmittel ein (Duaxo Rosen-Pilz-frei, Pilzfrei Ectivo) oder verwenden Sie vorbeugend widerstandsfähige Rosensorten (ADR-Rosen). Agenturen/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Ratgeber
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Der Lohn des Vertrauens
Die Anklage hat auf Heller und Pfennig exakt gerechnet. 97 453,52 Euro - so hoch soll der Schaden für die Stadt Halle sein, weil ihr Oberbürgermeister Bernd Wiegand seiner Büroleiterin Sabine Ernst zu viel Gehalt gewährt. Der parteilose Politiker, der im Juli 2012 die Stichwahl gegen einen CDU-Mann gewann, stellte die Journalistin ein, als er sechs Monate später den Posten antrat. Er stufte sie in Gehaltsgruppe 15 des öffentlichen Dienstes ein, und zwar auf »Erfahrungsstufe« 5, für die es zehnjährige Kenntnisse der Tätigkeit bedarf. Ebenso verfuhr er bei zwei weiteren Mitarbeitern. Gestern saß er deshalb im Saal 169 des historischen Hallenser Landgerichtes - als Angeklagter. Untreue lautet der Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft dem OB macht. Im Laufe der siebenjährigen Amtszeit müsse die Stadt den Mitarbeitern fast 300 000 Euro mehr Gehalt zahlen als bei niedrigerer Einstufung - die laut Anklage angemessen wäre: Alle drei ver... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Hendrik Lasch, Halle
Der Rathauschef von Halle muss sich vor Gericht verantworten: Bernd Wiegand wird Untreue vorgeworfen, weil er enge Mitarbeiter zu gut bezahle. Der OB wittert politisch motivierte Beschuldigungen.
Gerichtsverfahren, Halle - Saale, Oberbürgermeister
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Politik
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15 000 protestieren in Schönefeld
Leticia Witte, dpa Mit Plakaten, Trillerpfeifen und Tröten haben am Sonntag mehr als 13 000 Menschen am Flughafen Schönefeld demonstriert. Etwa 1500 von ihnen forderten am Mittag auf einem Protestmarsch einen Baustopp des geplanten Hauptstadtflughafens Berlin Brandenburg International (BBI). Zwei Stunden später versammelten sich mehr als 12 000 Demonstranten zu einer Kundgebung, um gegen neue Flugrouten zu protestieren. Der Veranstalter, das Bündnis Berlin Brandenburg gegen neue Flugrouten, sprach von der bislang größten Veranstaltung gegen die umstrittenen BBI-Flugrouten. »Mit der Demo wollen wir ein klares Zeichen setzen, das in ganz Berlin und Brandenburg nicht überhört werden kann«, sagte die Schirmherrin des Bündnisses, Sabine Bergmann-Pohl. Nur die Flugrouten aus dem Planfeststellungsbeschluss für den BBI dürften Grundlage jeglicher Diskussion sein. Sie warf den Planern bei den jetzt diskutierten neuen Routen Täuschung vor. »Wir werden nicht locker lassen«, kündigte die frühere DDR-Volkskammer-Präsidentin an. Andere Redner sprachen von einem »Flughafen-Skandal«. Der Sprecher des Bündnisses, Markus Peichl, zollte dem Bürgerverein Berlin Brandenburg (BVBB), der für einen BBI-Baustopp und die Aufgabe des Standortes Schönefeld zugunsten von Sperenberg eintritt, Respekt für den langjährigen Protest. »Wir haben nicht rechtzeitig erkannt, was am BBI passiert«, räumte Peichl ein. Sonst hätte man auch schon früher dem Bürgerverein zur Seite stehen können. Die Veranstalter sprachen von 15 000 Teilnehmern, die Polizei von bis zu 12 000 Menschen, die sich auf einem Parkplatz am Flughafen eingefunden hatten. Am Mittag waren bereits vom S-Bahnhof BBI-Gegner in einem Protestmarsch losgezogen. Der Bürgerverein Berlin Brandenburg (BVBB) als Veranstalter der ersten Demonstration zählte fast 2000 Teilnehmer, die Polizei mehr als 1500. Der Verein hatte ursprünglich mit weniger Menschen gerechnet. Laut Polizei verlief der Protestmarsch friedlich. Es kam aber zu Behinderungen im Straßenverkehr. Die Demonstranten gegen das Großprojekt bekräftigten ihre Forderungen nach einem Baustopp des BBI und die Aufgabe des Standortes südlich von Berlin. Die Vorsitzende des Bürgervereins, Astrid Bothe, wies in ihrer Rede erneut auf die Position der BBI-Gegner hin, dass der neue Flughafen in Sperenberg (Teltow-Fläming) gebaut werden solle. Einige Menschen trugen Plakate, auf denen zum Beispiel »Baustopp BBI« und »BBI macht krank« stand. Einige von ihnen hielten zudem Schilder mit Namen von Gemeinden in Brandenburg und Berliner Bezirken in die Höhe. Die Menschen dort könnten vom Fluglärm des neuen BBI betroffen sein. Mit Blick auf die aktuelle Debatte über die Flugrouten sagte Bothe: »Wer intelligente Flugrouten will und sie für einen Segen hält, will in Wahrheit Fluglärm nur nicht über dem eigenen Kopf.« Man dürfe sich von einer »Flugroutenkosmetik« nicht täuschen lassen, sondern müsse das Übel an der Wurzel packen. Der BVBB kündigte an, dass der Verein im Februar ein Nachnutzungskonzept für Schönefeld vorstellen werde. Anders als die BBI-Gegner fordert das Bündnis Berlin Brandenburg gegen neue Flugrouten keinen Baustopp, sondern wendet sich gegen die von der Deutschen Flugsicherung (DFS) geforderten abknickenden An- und Abflüge sowie den angestrebten unabhängigen Parallelbetrieb der beiden Start- und Landebahnen. Anfang September 2010 hatte die Deutsche Flugsicherung ihre von den bisherigen Planungen erheblich abweichenden Routen präsentiert. Danach wären plötzlich ganz andere Siedlungsgebiete und Kommunen von Fluglärm betroffen als bislang angenommen, darunter auch Berliner Bezirke. Seitdem gibt es in der Region Berlin-Brandenburg wütende Proteste.
Georg-Stefan Russew und
Demonstranten jedoch bei Forderungen zwischen Ruf nach BBI-Baustopp oder lediglich Anpassung der Flugrouten gespalten
BER
Hauptstadtregion
Brandenburg Brandenburg
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Jung, links, lebenslustig
Mit wissenschaftlichen Studien wie der von Shell seit Jahrzehnten in Auftrag gegebenen ist es so eine Sache – vor allem, wenn man versucht, seine Schlüsse daraus zu ziehen. Man erfährt, dass die Menschen in diesem Land mit zunehmendem Alter immer weniger »die guten Dinge des Lebens in vollen Zügen zu genießen« wissen. Der Lebensgenuss wird mehr und mehr dem Leistungs- und Erfolgsstreben untergeordnet, was bereits im zarten Alter seinen Anfang nimmt. Allein die Zwölf- bis 14-Jährigen setzen »eine deutliche Priorität beim Lebensgenuss«, während bei den wenig Älteren die Leistungsorientierung bereits »sprunghaft« ansteigt, um dann unaufhörlich an Bedeutung zu gewinnen. »In ihrer politischen Ausrichtung ordnet sich die Mehrheit der Jugendlichen weiterhin links von der Mitte ein«, lautet eine weitere Erkenntnis. Zwar befremdet das gleichzeitige hohe Vertrauen in Polizei und Bundeswehr. Doch ist man geneigt, Hoffnung daraus zu schöpfen, dass die Zahl der politisch interessierten Teenager, die das Leben genießen wollen und sich mehrheitlich links verorten, gewachsen ist. Wäre da nicht die quälende Frage, wer den jungen Leuten das Linkssein austreibt, wo man sich doch bestens vorstellen kann, dass es die Lebenserfahrung ist, die ihnen den Lebensgenuss nimmt.
Regina Stötzel
Jugend, Teenager, Zukunft
Meinung
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Senegal: »Macky Sall hat Angst vor der Justiz«
Der einst politisch so stabile »Musterstaat« Senegal gibt seit ein paar Jahren kein gutes Bild mehr ab, was die Demokratie und politische Prozesse anbelangt. Bei zahlreichen heftigen Proteste gab es viele tote Zivilisten zu beklagen. Wie ist derzeit die Stimmung im Lande? Die Stimmung ist getrübt. Die Kandidaten für die Präsidentschaftswahl setzen ihre Wahlkampagne trotz massiver Polizeischikanen fort und befolgen nicht den unglaubwürdigen Aufruf von Präsident Macky Sall zum Dialog. Sall befindet sich offiziell nur noch bis zum 2. April im Amt und hat versucht, die Wahlen illegalerweise auf Dezember 2024 zu verschieben. Sie sprechen es an: Noch-Präsident Macky Sall hat die Präsidentschaftswahl vom 25. Februar verschieben lassen. Nun hat das Verfassungsgericht diese Verschiebung kassiert. Wann finden die lang erwarteten Präsidentschaftswahlen nun statt? Nach seinem Urteil vom 15. Februar hat das Verfassungsgericht Sall aufgefordert, die Präsidentschaftswahl so schnell wie möglich zu organisieren. Laut Verfassung ist Sall am 2. April nicht mehr Präsident, und die Opposition fordert, die Präsidentschaftswahl unbedingt vor dem 2. April stattfinden zu lassen. Respektiert er unsere Verfassung, organisiert er die Wahlen also vor dem 2. April. Wie geht es Ihrem Parteichef, dem zurzeit in Haft befindlichen Haupt-Oppositionsführer Ousmane Sonko? Hat er sich von seinem Hungerstreik erholt? Haben Sie Kontakt zu ihm? Ich habe zu Ousmane Sonko derzeit keinen direkten Kontakt. Ihm geht es den Umständen entsprechend aber gut. Seine Anwälte und viele Parteifreunde in Senegal haben Zugang zu ihm. Ihre linke Partei Pastef wurde verboten, ist von der Präsidentenwahl folglich ausgeschlossen. Warum eigentlich? Präsident Macky Sall hat bereits bei seiner Wiederwahl zur zweiten Amtszeit im April 2019 politische Gegner ausgeschlossen, beispielsweise den Sohn des früheren Präsidenten Abdoulaye Wade, Karim Wade, und den bekannten früheren Minister und ehemaligen Bürgermeister von Dakar, Khalifa Sall. Warum? Beide hätten seiner zweiten Amtszeit im Wege stehen können. Fadenscheinige Gründe wurden seinerzeit seitens der Regierung angeführt. Ousmane Sonko, Dritter bei der Wahl 2019, und Pastef gewinnen zunehmend an Popularität und ziehen immer mehr junge Menschen an, die wohlgemerkt die Mehrheit der Wähler bilden. Das Verbot der Partei Pastef und der Prozess gegen die »Hoffnung der Jugend«, Ousmane Sonko, waren offenbar politisch motiviert. Wieso hat Sall so viel Angst vor einem möglichen neuen Präsidenten Sonko? Macky Sall hat Angst, vor Gericht gestellt zu werden. Ousmane Sonko hat seine Politik der fetten Wirtschaft und Korruption massiv kritisiert. In seinem Buch »Petrole et Gaz au Senegal, Histoire d’une spoliation« (Öl und Gas in Senegal, Geschichte einer (staatlichen) Plünderung) bezichtigt Ousmane Sonko direkt Präsident Macky Sall und seine »Entourage« der Veruntreuung bei der Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen des Landes. Diese Anschuldigungen halten sich dauerhaft und wurden in einer BBC-Dokumentation vom Juni 2019 bestätigt. Namentlich steht der Bruder des senegalesischen Präsidenten, Aliou Sall, in Verdacht, Bestechungsgelder in Höhe von 245 000 Dollar erhalten zu haben, was von Präsident Macky Sall bestritten wurde. Nach dem Parteiverbot haben einige frühere Pastef-Mitglieder bei anderen Koalitionen und Parteien angeheuert. Wer hat die besten Karten gegen den Kandidaten der Regierungskoalition? Die besten Karten hat trotz seiner Inhaftierung Bassirou Diomaye Faye, die rechte Hand von Ousmane Sonko, Er hat die Hürde der so wichtigen »Parrainage« genommen. Dabei muss vorab jeder Kandidat mindestens ein Prozent der Wähler als »Paten« vorweisen, die sich für ihn als Kandidaten aussprechen und in eine Liste eintragen. Dafür ist Bassirou Bassirou Diomaye Faye mit mehreren Oppositionsparteien ein Bündnis namens »Diomaye, Président« eingegangen. Was sind die dringendsten politischen Projekte, damit der Senegal wieder zur Ruhe kommt? Am dringlichsten sind – und dafür kämpfen die Senegalesen – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und faire Wahlen. Drei Prinzipien, die derzeit stark infrage gestellt sind. So sind etwa Hunderte politische Gefangene über Monate illegalerweise in Haft genommen, ohne dass sie jemals einem Richter vorgeführt wurden. Eine Schande für den Senegal.
Interview: David Bieber
»Am dringlichsten sind – und dafür kämpfen die Senegalesen – Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und faire Wahlen. Drei Prinzipien, die stark infrage gestellt sind«, sagt Abdou Diagne von der Oppositionspartei Pastef.
Senegal
Politik & Ökonomie
Politik Demokratie
2024-02-26T16:31:12+0100
2024-02-26T16:31:12+0100
2024-02-27T18:46:57+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1180312.demokratie-senegal-macky-sall-hat-angst-vor-der-justiz.html?sstr=sonko
»Die Riviera des Nahen Ostens«
Der Schaden ist immens, möglicherweise nicht reparierbar. »An solchen Beispielen sieht man: Wahlen haben Konsequenzen«, sagte der CNN-Chefkorrespondent für US-Innenpolitk, John King, in einer Sendung des Nachrichtensenders. Präsident Donald Trump sitze da und spreche von der Vertreibung von mehr als zwei Millionen Menschen so, als erkläre er gerade, dass vor dem Dienstag der Montag liegt und davor das Wochenende. Noch einmal ganz kurz: Der Präsident der Vereinigten Staaten möchte gerne die 2,1 Millionen Bewohner des Gazastreifens in andere arabische Staaten umsiedeln; die USA würden den Landstrich übernehmen und wiederaufbauen, zu einer »Riviera des Nahen Ostens«. Unser täglicher Newsletter nd.Kompakt bringt Ordnung in den Nachrichtenwahnsinn. Sie erhalten jeden Tag einen Überblick zu den spannendsten Geschichten aus der Redaktion. Hier das kostenlose Abo holen. Neu ist seine Idee nicht: Schon in seiner ersten Amtszeit hatte er einen ähnlichen Plan vorgestellt. Doch dieses Mal nicken die Regierungen und Diplomaten der arabischen Länder nicht nur freundlich und warten darauf, dass die Idee aus den Nachrichten verschwindet, bevor jemand glaubt, dass das ernst gemeint ist. »Wir müssen das dieses Mal ernst nehmen«, sagt Tamim Khallaf, Sprecher des ägyptischen Außenministeriums, nachdem er nochmals die ägyptische Position betont hat: Man sei strikt gegen eine Umsiedelung, werde keine weiteren Palästinenser aufnehmen, auch nicht gegen finanzielle Anreize. Ähnliche Aussagen sind aus allen Hauptstädten der Region zu vernehmen: Bekenntnisse zum Recht der Palästinenser auf einen eigenen Staat. Der Wille, keinesfalls klein beizugeben. Trump jedoch scheint überzeugt: »Sie werden es tun. Wir tun so viel für sie.« Tatsächlich ist die Realität differenzierter: Ägypten erhält derzeit 1,3 Milliarden Dollar jährlich an Militärhilfen; nach Jordanien sollten dieses Jahr 2,1 Milliarden Dollar Wirtschafts- und Militärhilfen fließen. Der Irak sollte knapp unter 300 Millionen Dollar erhalten. Andererseits profitieren die USA von der Nachfrage aus den Staaten der arabischen Halbinsel: Allein Saudi-Arabien hat noch bestellte Rüstungsgüter im Wert von 126,6 Milliarden Dollar bei US-Unternehmen offen, die noch der Lieferung harren. Hinzu kommen wichtige US-Militärbasen in der Region. Und so lässt die saudische Regierung in den Zwischentönen auch keinen Zweifel daran, dass man die Verträge durchaus kündigen könne, falls Trump seine Rethorik nicht deutlich runterpegeln sollte. Jordanien, das nach Trumps Willen einen Großteil der Gaza-Bevölkerung aufnehmen soll, hat sich schon unmittelbar nach dessen Amtsübernahme abrupt auf eine neue Realität einstellen müssen: Das wirtschaftlich stark angeschlagene Land gehört zu jenen Staaten, die von der derzeit auf 90 Tage befristeten Einstellung der US-Zahlungen betroffen sind. Nur Ägypten und Israel wurden vom Zahlungsstopp ausgenommen. Das Vertrauen in die USA als verlässlicher Partner war bereits beschädigt, bevor Trump seinen Riviera-Plan auf die Tagesordnung beförderte. Egal, wohin man schaut: Überall sucht man nach neuen Partnern – die Europäische Union, aber vor allem China kommen hier infrage. China versucht schon seit Jahren an Einfluss in der weiteren Region zu gewinnen. Die Führung in Peking hat sich an Riad und Teheran angenähert, dazu beigetragen, dass es zu einer Annäherung zwischen den Erzfeinden Iran und Saudi-Arabien kam und damit zu einem Abflauen des Stellvertreterkriegs im Jemen. Im arabischen Raum steht vor allem die Befürchtung im Raum, die Trump-Regierung könnte versuchen, ihren Willen mit Waffengewalt durchzusetzen, indem sie das Militär nach Gaza schickt und versucht, die dortige Bevölkerung zwangsweise in die arabischen Nachbarländer umzusiedeln. Seit den Entwicklungen in den USA nach Trumps Amtseinführung halten selbst völlig geerdete Diplomaten und Politiker nichts mehr für ausgeschlossen. Die Folgen der Umsetzung von Trumps Plänen wären katastrophal: Die Menschen müssten untergebracht und versorgt werden, in Ländern, die sich wie Ägypten oder Jordanien, in einer tiefen Wirtschaftskrise befinden. Zudem würde eine solche Umsiedelung zu Massenprotesten, möglicherweise auch Gewalt überall in der Region führen. Denn zum einen haben die USA durch den Krieg im Irak sowie ihre Rolle im Syrien-Krieg einen ausgesprochen schlechten Ruf. Zudem wurde spätestens bei Trumps Treffen mit dem israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu deutlich, dass es letztlich um eine israelische Besiedelung des Gazastreifens geht, ohne die dortige Bevölkerung. Die Palästina-Frage hatte zwar über Jahre bei der Arabischen Liga keine Rolle mehr gespielt. Im öffentlichen Bewusstsein ist sie aber dennoch sehr präsent. Jede arabische Regierung, die auch nur den Anschein erweckt, bei Trumps Plan mitzumachen, müsste also mit ihrer Absetzung rechnen. Und das würde wiederum auch Israel schaden. Seit den 90er Jahren wurde die nationale Sicherheit des jüdischen Staates rund um eine Kooperation mit Jordanien, Ägypten und, in letzter Zeit, auch Saudi-Arabien aufgebaut. Als die iranischen Revolutionsgarden im vergangenen Jahr zwei Raketenangriffe auf Israel starteten, zeigte sich, wie wertvoll diese Zusammenarbeit ist. Netanjahu und die Rechten in seiner Regierung finden Trumps Plan trotzdem ganz famos. Dennoch würde er zwangsweise auch an Israel scheitern. Denn spätestens 2026 sind Wahlen. Und derzeit deutet nichts darauf hin, dass Netanjahu danach weiter an der Macht sein wird.
Oliver Eberhardt
US-Präsident Donald Trump schwebt eine Zukunft des Gazastreifens als Touristendestination vor – ohne Palästinenser. In der arabischen Welt geht die Angst um, dass Trump es mit der Vertreibung ernst meinen könnte.
Ägypten, China, Donald Trump, Gaza, Israel, Nahost, Saudi-Arabien, USA
Politik & Ökonomie
Politik Gaza-Krieg
2025-02-05T17:32:49+0100
2025-02-05T17:32:49+0100
2025-02-07T18:27:07+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1188831.gaza-krieg-die-riviera-des-nahen-ostens.html?sstr=gaza|trump
Der demokratische Wandel bleibt aus
Algerien hat seinen Präsidenten wieder. Fast drei Monate lang hatte sich Abdelmadjid Tebboune in die Obhut deutscher Ärzte begeben, die ihn von seiner Covid-Erkrankung und deren Folgen geheilt haben. Kaum wieder im Lande, verkündete das Staatsoberhaupt am Donnerstag in einer vom staatlichen Rundfunk ausgestrahlten Rede eine Reihe von Maßnahmen, die zumindest aufhorchen lassen. Dies umso mehr, als sie mit dem zweiten Jahrestag des Ausbruchs der Protestbewegung Hirak zusammenfallen. Die Massenproteste hatten ein Jahr lang das verkrustete politische System des nordafrikanischen Landes erschüttert und zum Sturz des unpopulär gewordenen Langzeitpräsidenten Abdelaziz Bouteflika geführt. Im März 2020 waren sie wegen der Pandemie zum Stillstand gekommen, ohne dass die Hauptforderungen nach einem radikalen Systemwechsel, politischer Öffnung und Rechtsstaatlichkeit erfüllt worden waren. Stattdessen wurden landesweit Aktivist*innen der friedlichen Protestbewegung verhaftet und ins Gefängnis geworfen. Tebboune verfügte nun die Freilassung von mehr als 30 Verurteilten und weiteren etwa 60 Inhaftierten, die seit Monaten auf einen Prozess warten. Unter den bisher Freigelassenen ist auch der Journalist Khaled Drareni. Der 42-Jährige war wegen »Anstiftung zu unbewaffneter Massenansammlung« sowie »Angriffs auf die nationale Einheit« zu zwei Jahren Haft verurteilt worden. Sein Fall hatte landesweit für Empörung gesorgt und internationalen Protest ausgelöst. Für die Algerische Liga zur Verteidigung der Menschenrechte sind die Begnadigungen durchaus Anlass zur Freude. Im Grunde aber sei es die Wiedergutmachung der ungerechten willkürlichen Inhaftierungen. Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch. Liga-Vizepräsident Said Salhi geht in einer in sozialen Netzwerken veröffentlichten Stellungnahme noch weiter: »Wir erwarten konkretere Schritte in Richtung individueller Freiheiten, Anerkennung der Menschenrechte sowie demokratischer, politischer und medialer Öffnung.« Zugleich erneuerte er die Forderung des Hirak nach »friedlicher Veränderung durch einen echten demokratischen Prozess und politischen Dialog«. Auch nach Ansicht der im »Bündnis für eine demokratische Alternative« zusammengeschlossenen Parteien, Vereine und Organisationen bleibt ein radikaler demokratischer Wandel bisher aus. Sie reagierten damit auf die vom Staatschef beschlossene Auflösung des Parlamentes und die Ankündigung von vorgezogenen Neuwahlen. »Die derzeitige Führung will damit ihre Agenda zur Festigung des autoritären Systems durchsetzen und plant erneut einen in Wahlen verpackten Gewaltstreich«, warnt das Bündnis. Auch wenn es nur einen Teil der heterogenen Protestbewegung repräsentiert, so drückt es doch das tiefe Misstrauen eines Großteils der Bevölkerung gegenüber den bisherigen Praktiken der Machthaber aus. Dies hatte sich in den geringen Wahlbeteiligungen sowohl bei der Präsidentenwahl im Dezember 2019 als auch beim Verfassungsreferendum Ende vergangenen Jahres manifestiert, als mehr als drei Viertel der Stimmberechtigten dem Votum ferngeblieben waren. Einen Dialog mit Vertretern des Hirak lehnt die Führung bisher ab. Stattdessen hat Tebboune noch vor seiner Rede Vertreter systemtragender politischer Parteien empfangen, deren Einfluss in der Bevölkerung allerdings immer mehr schwindet. Dabei braucht das Land mehr denn je politische Stabilität, um die ökonomische und soziale Krise, die sich durch die Pandemie noch verschlimmert hat, in den Griff zu bekommen. Wirtschaftsexperten sprechen von einer »katastrophalen Bilanz« für das zurückliegende Jahr und sagen für die kommenden Monate einen Anstieg der Arbeitslosenrate auf 15 Prozent voraus. Die Bevölkerung bekommt die Folgen unter anderem durch Preissteigerungen für Lebensmittel, ausbleibende Lohnzahlungen und Entlassungen zu spüren. Kein Wunder also, dass es landesweit verstärkt zu sozialen Protesten kommt. Vor diesem Hintergrund entschied Staatschef Tebboune, mehrere Minister, »die ihre Arbeit nicht im Dienste der Bevölkerung gemacht haben«, des Amtes zu entheben. Den für die Regierungsumbildung angekündigten Termin vom vergangenen Sonnabend hielt er jedoch nicht ein. Am zweiten Jahrestag des Hirak am Montag werden landesweit Demonstrationen erwartet. Einen Vorgeschmack gaben am Dienstag Tausende Protestierende in der nordalgerischen Stadt Kherrata, wo vor zwei Jahren die Menschen erstmals gegen den damaligen Präsidenten Bouteflika auf die Straße gegangen waren. In der Hauptstadt Algier und dessen Umgebung ist schon seit mehreren Tagen ein massives Polizeiaufgebot zusammengezogen, ein Repressionsszenario, das so gar nicht zu der auf Besänftigung abzielende Rede von Staatschef Tebboune passt.
Claudia Altmann, Algier
Vor dem zweiten Jahrestag der Massenproteste hat die algerische Regierung die Entlassung von Aktivisten aus dem Gefängnis und Neuwahlen angeordnet. Trotzdem fürchtet die Protestbewegung, dass das autoritäre System gefestigt wird.
Algerien
Politik & Ökonomie
Politik Algerien
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1148591.algerien-der-demokratische-wandel-bleibt-aus.html?sstr=algerien|hirak
Auf den Schultern von Giganten
Vergangene Woche hat das Bundesverfassungsgericht sein Urteil in der Frage verkündet, inwieweit Musiker kurze Stücke anderer Künstler für eigene Werke benutzen dürfen. Bislang war das – ohne explizite Einwilligung – nicht möglich. Die Düsseldorfer Elektropioniere von Kraftwerk waren gegen den Musikproduzenten Moses Pelham vorgegangen, weil dieser einen zwei Sekunden langen Schnipsel eines ihrer Songs benutzt hat, um damit einen eigenen Song zu erschaffen. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes gegen ihn musste Pelham das Stück zurückziehen. Das Verfassungsgericht entschied nun, dass solche Benutzung unter gewissen Voraussetzungen doch erlaubt sein soll – ein Sieg für die Remix-Kultur und die moderne Pop- und Dance-Musik, die stark von Samples lebt. Die Kunstfreiheit sei berührt, durch dieses Verbot sei faktisch eine ganze Musikrichtung behindert, so das Gericht. Das Verfahren wurde an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen, der nun in diesem Sinne entscheiden soll. Der Urteilstext des Bundesverfassungsgerichts ist hochspannend. Dort heißt es zum Beispiel: Es »gebietet die Eigentumsgarantie … nicht, dem Tonträgerhersteller jede nur denkbare wirtschaftliche Verwertungsmöglichkeit zuzuordnen. Vielmehr ist es Sache des Gesetzgebers, Inhalt und Schranken des Eigentums zu bestimmen; er muss von Verfassungs wegen nur sicherstellen, dass das, was dem Leistungsschutzrechtsinhaber ›unter dem Strich‹ verbleibt, noch als angemessenes Entgelt für seine Leistung anzusehen ist.« Damit stellt das Verfassungsgericht klar, dass ein Künstler nicht pauschal jede Art der Nutzung seines Werks untersagen darf. Es darf sehr wohl erlaubt sein, seine Songs in einer fairen Art und Weise zu nutzen, wenn dem Künstler noch eine angemessene Entlohnung seiner Arbeit verbleibt. Die Grenzen dafür darf der Gesetzgeber festlegen. Wir alle stehen auf den Schultern von Giganten. Jede Erfindung, jedes Werk bedient sich gewisser Ideen, Teile und Konzepte von Erfindungen und Werken zuvor. Das ist künstlerischer, kultureller, wissenschaftlicher Fortschritt. Eine derartig weite Auslegung des geistigen Eigentumsbegriffs, dass auch kleinste Teile erlaubnis- und vergütungspflichtig sein sollen, behindert diese Fortentwicklung. Man stelle sich vor, der erste Erfinder des Autos hätte den folgenden Autoherstellern die Nutzung des Lenkrades untersagt: Eine Autoindustrie wäre nie entstanden. Ein Künstler muss in einen künstlerischen Dialog mit vorhandenen Werken treten können, die durch ihre Veröffentlichung nicht mehr dem Urheber alleine gehören, sondern in den gesellschaftlichen Raum getreten seien, urteilt das Gericht. Es muss aber ein ausreichender Abstand zum Ursprungswerk eingehalten werden. Hip-Hop und moderne Dance-Music nutzen Sampling intensiv. Es gibt eine ganze Remix-Kultur, die auf vorhandenen Werken aufbaut und daraus etwas Neues, Eigenständiges schafft. Als Rohmaterial für neue Lieder kann ein Musiker nun Teile von Werken der Künstler vor ihm verwenden, wenn er dies fair tut, also den kommerziellen Erfolg des Vorgängers damit nicht behindert. Damit wird einem Auswuchs des »geistigen Eigentums« Einhalt geboten. Doch auch ein anderer Auswuchs könnte vom Urteil berührt sein: das Leistungsschutzrecht für Presseverleger. So sagt das Gericht: »Der Grund dafür, dem Tonträgerhersteller ein besonderes gesetzliches Schutzrecht zu gewähren, war nicht, ihm Einnahmen aus Lizenzen für die Übernahme von Ausschnitten in andere Tonaufnahmen zu sichern … Der Schutz kleiner und kleinster Teile durch ein Leistungsschutzrecht, das im Zeitablauf die Nutzung des kulturellen Bestandes weiter erschweren oder unmöglich machen könnte, ist jedenfalls von Verfassungs wegen nicht geboten.« Doch genau das tut das Leistungsschutzrecht für Presseverleger: »Snipplets«, also kleine Textauszüge, die zum Beispiel Suchmaschinen als Textanreißer in ihren News-Suchergebnissen benutzen, sind erlaubnis- und vergütungspflichtig. Die Verleger berufen sich auf ihre verfassungsmäßig garantierten Eigentumsrechte, und der Gesetzgeber hat die Nutzung solcher auch kurzer Textauszüge lizenzpflichtig gemacht. Damit befindet sich aber dieses Leistungsschutzrecht in klarem Widerspruch zum Bundesverfassungsgerichtsurteil: Es darf in Analogie zu diesem Urteil gerade eben nicht um das Generieren von Einnahmen bei Übernahme von Textausschnitten gehen, und die Nutzung dieses kulturellen Bestandes darf dadurch nicht erschwert werden. Das Leistungsschutzrecht für Presseverleger steht im Lichte dieser Entscheidung auf wackligen Beinen.
Daniel Schwerd
Vergangene Woche hat Karlsruhe sein Urteil zur Frage, ob Musiker kurze Stücke anderer Künstler für eigene Werke verwenden dürfen, verkündet. Das Urteil könnte Folgen für die Presselandschaft haben.
Bundesverfassungsgericht, LINKE, Presse
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Hürden beim Chancenbleiberecht in Bayern
Als »pragmatisch« hatte die Bundesregierung das Chancen-Aufenthaltsrecht bei der Einführung vor gut einem halben Jahr bezeichnet. Das Gesetz sollte die Praxis der Kettenduldungen abschaffen und langjährig geduldeten Menschen eine Bleibeperspektive eröffnen. In einzelnen Bundesländern zeigen sich nun bürokratische Hürden für Antragsteller*innen. »Unklarheiten und Schwachstellen im Gesetz geben Behörden einen großen Entscheidungsspielraum, der in Bayern häufig zulasten der Antragsteller*innen ausfällt«, schreiben der bayrische Flüchtlingsrat und der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein in einer gemeinsamen Stellungnahme. Ein Großteil der Personen, die bereits eine Ablehnung oder die Mitteilung über eine beabsichtigte Ablehnung erhalten haben, scheitere an formellen Erfordernissen. Da ist etwa D., der 2016 nach Deutschland kam und dessen Asylantrag im Dezember 2020 abgelehnt wurde. Er arbeitete bis Sommer 2022 mit einer Duldung als Staplerfahrer, bis ihm die Ausländerbehörde die Arbeitserlaubnis entzog. Im November 2022 lief seine Duldung aus, eine neue Duldung wurde nicht erteilt, da die Ausländerbehörde ohne D.s Wissen Heimreisepapiere bei den Behörden des Herkunftslands beantragt habe. Sein Antrag auf den Chancen-Aufenthalt sei von der Ausländerbehörde wegen fehlender Duldung abgelehnt worden, die sonstigen Voraussetzungen lägen vor. Das Gesetz soll Menschen, die zum Stichtag 31. Oktober 2022 fünf Jahre geduldet im Land leben und nicht straffällig geworden sind, 18 Monate Zeit geben, um die Voraussetzungen für eine Aufenthaltserlaubnis zu schaffen. Dazu zählen Sprachkenntnisse, Identitätsnachweise und die Sicherung des eigenen Lebensunterhalts. Nach einer Studie des Mediendienstes Integration haben in den ersten sechs Monaten seit Inkrafttreten mindestens 49 000 Menschen einen Antrag auf Chancen-Aufenthalt gestellt. Davon seien rund 17 000 Anträge bereits bewilligt und etwa 2100 Anträge abgelehnt worden. Tausende Anträge waren zum Zeitpunkt der Umfrage noch in Bearbeitung. In Bayern seien laut Staatsregierung von Gülseren Demirel zum Stichtag 18. April 9800 Anträge auf Chancen-Aufenthalt eingegangen, davon seien 2347 positiv beschieden und 658 abgelehnt. Eine ungeklärte Anzahl sei noch offen. Eine fehlende durchgehende Duldung ist ein häufiger Grund für die Ablehnung eines Antrags auf Chancen-Aufenthalt. Allerdings kommt es laut den Anwendungshinweisen des Bundesinnenministeriums »nicht darauf an, dass der Ausländer eine förmliche Duldungsbescheinigung innehat. Das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen genügt«. Der bayrische Flüchtlingsrat und der RAV werfen den bayrischen Ausländerbehörden nun vor, über Umwege dafür zu sorgen, dass die von den Betroffenen benötigten Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen. So würden plötzlich Duldungen ungültig gestempelt, aus heiterem Himmel Strafanzeigen wegen Passlosigkeit gestellt oder Ausweisungsverfahren wegen kleiner ausländerrechtlicher Vergehen eingeleitet. Personen, die bereits einen Pass abgegeben haben, erhielten keine Duldung mehr, da Ausländerbehörden keine Duldungsgründe mehr sähen. Personen, die noch keinen Pass abgegeben haben, erhielten Strafanzeigen wegen Passlosigkeit. »Schon früher hat Bayern massiv Bleiberechtsregelungen unterwandert. Das muss ein Ende haben. Das Bundesinnenministerium muss dringend das Gesetz anpassen und eindeutige und unmissverständliche Weisungen herausgeben. Bayern sollte den Chancenaufenthalt als Chance begreifen, dem Fachkräftemangel sowie der Überlastung der Ausländerbehörden entgegenzusteuern«, fordert Jana Weidhaase vom Bayerischen Flüchtlingsrat. Die beiden Organisationen fordern nun Nachbesserungen von der Bundesregierung, um Ermessensspielräume für Behörden zu vermeiden. Außerdem fordern sie, dass nicht nur Geduldete, sondern alle »vollziehbar ausreisepflichtigen Ausländer« das Chancen-Aufenthaltsrecht erhalten können. Von den bayrischen Behörden fordern sie, das Gesetz im Sinne der Antragstellenden zu nutzen und warnen vor einem bayrischen Sonderweg. Auch Flüchtlingsräte aus anderen Bundesländern rufen derzeit Betroffene dazu auf, ihnen Rückmeldungen zum Chancen-Aufenthaltsrecht zu geben, um einen Überblick über Umgang und Entscheidungen der Behörden zu bekommen.
Ulrike Wagener
Gut ein halbes Jahr nach Inkrafttreten des Chancen-Aufenthaltsgesetzes fordern Nichtregierungsorganisationen Nachbesserungen im Gesetzestext. Viele Antragsteller*innen würden aus formellen Gründen abgelehnt.
Asylpolitik, Bayern, Flüchtlinge
Politik & Ökonomie
Politik Chancen-Aufenthaltsrecht
2023-07-30T16:21:26+0200
2023-07-30T16:21:26+0200
2023-07-31T17:44:04+0200
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175131.chancen-aufenthaltsrecht-huerden-beim-chancenbleiberecht-in-bayern.html?sstr=arbeitserlaubnis
E-Mail für dich
Nacktszenen gibt es in der romantischen Komödie »Juliet, Naked« nicht, der Filmtitel bezieht sich vielmehr auf die ursprüngliche Version eines fiktiven, recht erfolgreichen Rockalbums. Nach »A long way down« ist dies nun die sechste filmische Adaption eines Bestsellers des Erfolgsautors und Musiknerds Nick Hornby, der einmal von sich behauptete, er schreibe Bücher, weil er keine Popsongs schreiben könne. Der ehemalige Bassist der Indierockgruppe Lemonheads, Jesse Peretz (»Our Idiot Brother«), verfilmte nun den Stoff um einen aufsteigenden Rockstar, der irgendwann urplötzlich von der Bildfläche verschwand, und die Schattenseiten des Fantums. Chris O’ Dowd spielt den 40-jährigen, nie erwachsen gewordenen Musiknerd Duncan, der eine Fan-Webseite betreibt, die dem kargen musikalischen Vermächtnis des seit Jahren verschwundenen amerikanischen Rockmusikers Tucker Crowe huldigt. Rose Byrne verkörpert Duncans angenervte Lebensgefährtin Annie, die die Obsession ihres Freundes ertragen muss, und der für seine Rolle in dem Film »Boyhood« (2014) zu Recht für den Oscar nominierte Ethan Hawke gibt den abgehalfterten Musiker, der in der Versenkung verschwand. Zudem machten sich gleich drei Drehbuchautoren ans Werk, um diesen vielversprechenden Stoff in Szene zu setzen. Da kann nicht mehr so viel schief gehen, so möchte man meinen. Während Annie in einem malerischen, englischen Provinzkaff ihr Dasein als Kuratorin eines Heimatmuseums fristet, kümmert sich ihr Partner Duncan, der so unsympathisch ist, dass man nicht einmal über ihn lachen mag, hauptsächlich um seine supernerdige Webseite. Eines Tages taucht die titelgebende, 25 Jahre alte Uraufnahme des legendären Tucker-Crowe-Albums »Juliet« auf und Duncan gerät vor Begeisterung völlig aus dem Häuschen. Seine frustrierte Frau jedoch schreibt aus Wut eine vernichtende Kritik auf Duncans Fanseite, der zurückgezogen lebende Crowe liest diese, gibt ihr Recht und beginnt eine E-Mail-Konversation mit ihr. So weit, so hanebüchen. Doch es kommt noch schlimmer, und das Geschehen entbehrt leider auch noch weitestgehend jeglicher Komik, die zumindest in Nick Hornbys Romanstoff angelegt ist. Duncan betrügt seine Partnerin, und so hat diese endlich einen Grund, um ihn aus dem Haus zu schmeißen. Kurz darauf kommt Crowe, der bislang ein recht verantwortungsloses Leben geführt hat, nach England, um eines seiner fünf unehelichen Kinder zu besuchen. Bei der Gelegenheit trifft er sich auch mit seiner E-Mail-Konversationspartnerin Annie. Und obwohl die Hauptdarsteller sich alle Mühe geben, gelingt es ihnen nicht, ihrer erotischen Anziehung Glaubwürdigkeit zu verleihen. Kein Wunder, sind die Figuren doch erschreckend flach gezeichnet. Natürlich kommt es auch zur Begegnung mit Annies Freund, dem Superfan Duncan, und es mussten schon besondere Fähigkeiten der Filmemacher im Spiel gewesen sein, als es ihnen gelang, auch diese Szene so zu inszenieren, dass man als Betrachter hochgradig gelangweilt ist. Was ein herrlich böser Kommentar über besessene Fans, die Frage danach, wem ein Werk eigentlich gehört, sowie die Lebens- und Sinnkrisen von Vierzigjährigen hätte werden können, mündet in einem Potpourri der falschen Töne, das man sich nur deshalb bis zum Ende anschaut, weil die Hauptdarsteller bis zum Schluss tapfer darum kämpfen, dem Film eine Spur von Leben einzuhauchen. »Juliet, Naked«, Großbritannien/USA 2018. Regie: Jesse Peretz. Darsteller: Ethan Hawke, Rose Byrne, Chris O’Dowd. 105 Min.
Gabriele Summen
Schon wieder eine Nick-Hornby-Verfilmung: Die Romantikkomödie »Juliet, Naked« erzählt von einer Frau und zwei Männern
Film, Musik
Feuilleton
Kultur »Juliet, Naked«
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1105686.juliet-naked-e-mail-fuer-dich.html?sstr=hornby
Der lange Arm General Suhartos
Bedjo Untung ist in diesen Tagen ein gefragter Mann. Indonesien erinnert sich an den 30. September 1965, an dem »die schwarze Zeit« begann. So nennt Bedjo die Monate und Jahre nach dieser Septembernacht, in denen Millionen Indonesier umgebracht und willkürlich in Gefängnisse und Arbeitslager gesteckt wurden. Bedjo ist einer der Überlebenden der Ära von General Suharto und seiner Politik der Neuen Ordnung. Als Vorsitzender der Opferorganisation Yayasan Penelitian Korban Pembunuhan 1965 (YPKP65) gibt Untung in indonesischen Medien Interviews. Er klagt an, dass sich keine Regierung seit dem Sturz von Suharto im Mai 1998 zu einer Entschuldigung gegenüber den Opfern für das Massaker und die Menschenrechtsverletzungen durchringen konnte. »Die Kräfte der Neuen Ordnung sind - vor allem im Militär - noch immer an der Macht«, sagt Bedjo bei einem Treffen in einem Café in einer der schicken Shopping Malls der Hauptstadt Jakarta. Den Mord an sechs ... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Michael Lenz, Jakarta
Auch ein halbes Jahrhundert nach dem Massenmords an Kommunisten schweigt das offizielle Indonesien darüber noch immer. Überlebende jedoch erinnern sich.
Indonesien, Menschenrechte
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Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/986348.der-lange-arm-general-suhartos.html
»Abschiebären« müssen zahlen
Mit Bananen lockt ein Nazi im Bärenkostüm einen Gorilla hinter sich her. Auch im Affenfell steckt ein Aktivist der rechtsextremen Clique »Besseres Hannover«. Er folgt dem Gesinnungsgenossen bis zu dessen Auto, wird in den Kofferraum verfrachtet und in den nahen Wald gekarrt. Dort packt der »Abschiebär«, so ist auf der Verkleidung zu lesen, den »Schwarzen« und »schiebt ihn ab«, stößt ihn hinter ein Ortsschild mit der Aufschrift »Ausland«. Der Videoclip, der dies Geschehen zeigt, ist Volksverhetzung. Das hatte das Landgericht Hannover bereits 2015 festgestellt und die beiden Männer, die den Streifen ins Internet gestellt hatten, zu sieben Monaten Gefängnis auf Bewährung verurteilt - auch wegen Aufrufs zu Gewalt gegen Ausländer. Doch das Urteil wurde nicht rechtskräftig, kam vor den Bundesgerichtshof, und der befand: Volksverhetzung: ja - Aufruf zu Gewalt: nein. Und so verwies die höchste Instanz die Sache zurück nach Hannover, nun vors Amtsgericht. Wegen Volksverhetzung verurteilte es einen der Männer zu 3600 Euro Geldstrafe, sein Kumpan muss 4050 Euro zahlen. Dieser Betrag enthält auch eine Strafe aus einem anderen Verfahren wegen Körperverletzung Die Verurteilten galten als führende Köpfe der Gruppe »Besseres Hannover«. Hinter diesem Namen verbarg sich eine der übelsten braunen Rotten im Norden, der Verfassungsschutz sprach von »der aktivsten neonazistischen Gruppierung in Niedersachsen«. Auf ihre Fahnen hatte sie sich vor allem die Hetze gegen Menschen mit Migrationshintergrund geschrieben. Sichtbar machte das die Gruppe durch Aufkleber und Spruchbänder mit ausländerfeindlichen Parolen. Weit über Niedersachsen hinaus machte sich »Besseres Hannover« im Internet mit dem »Abschiebären« bekannt. In Videoclips belästigte der Nazi im Zottelkostüm dunkelhäutige Passanten, vor einem türkischen Imbiss grüßte er dessen Personal mit erhobenem rechten Arm, dem Hitlergruß. Wegen »Verwendens von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen« leitete die Staatsanwaltschaft daraufhin ein Ermittlungsverfahren ein. Hetze gegen Migranten prägte auch die von den »Besseren« herausgegebene Zeitschrift »Bock«, deren Autoren sich mit ihrem Schmierakel besonders an jugendliche Leserinnen und Leser wandten. In einem jener Pamphlete, von Mitläufern der Gruppe gern vor Schulen verteilt, fand sich sogar ein Bastelbogen: für den »Abschiebären« als Handpuppe. Doch bei derlei »Ideen«, die Ältere vielleicht an die »kindgerechten« antisemitischen Bildgeschichten des NS-Hetzblatts »Stürmer« erinnern, blieb es nicht bei den braunen Hannoveranern: Sie verschickten massive Drohungen an Andersdenkende. So etwa an Niedersachsens damalige Sozialministerin Aygül Özkan (CDU). »Für die Durchsetzung unserer politischen Ziele und für die Bewahrung unserer Kultur werden wir eine neue Waffe einsetzen«, musste die Unionsfrau, sie ist türkischer Abstammung, in einem Schrieb der Nazigruppe lesen. Diese beschränkte ihre Hetzerei keineswegs auf Niedersachsen, wurde unter anderem auch in Mecklenburg-Vorpommern aktiv. Vor dem Schweriner Schloss ließ sie den Abschiebären im Juni 2012 zusammen mit der NPD-Landtagsfraktion auftreten. Drei Monate später verbot Niedersachsens damaliger Innenminister Uwe Schünemann (CDU) »Besseres Hannover« wegen »Bildung einer kriminellen Vereinigung«. Als deren »prägendes Vereinskennzeichen« wurde zugleich das öffentliche Zeigen des »Abschiebären« untersagt. In seiner Entscheidung hat das Amtsgericht nun bestätigt, dass die Präsentation dieses Popanzes als Volksverhetzung rechtswidrig ist. Gegen diejenigen, die den Bären ins Netz stellten, sei bewusst keine Freiheitsstrafe ausgesprochen worden, so der Richter sinngemäß. Denn eine solche hätte womöglich die Verurteilten in der rechten Szene zu »Märtyrern« stilisiert.
Hagen Jung
Wegen Volksverhetzung hat das Amtsgericht Hannover zwei Rädelsführer einer verbotenen Nazigruppe zu Geldstrafen verurteilt. Die Männer hatten Ausländer mit der Figur »Abschiebär« verächtlich gemacht.
Hannover, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rechtsextremismus
Politik & Ökonomie
Politik
2017-05-31T18:14:14+0200
2017-05-31T18:14:14+0200
2023-01-22T09:26:07+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1052793.abschiebaeren-muessen-zahlen.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Bruchlandung in der Makkaronischüssel
Sonntag Nachmittag. Es klingelt. Herein kommt eine ältere Dame, in der Hand einen mit Luftlöchern versehenen, vielfach umschnürten Pappwürfel. Aus einem der Löcher ragt ein spitzer Schnabel. Könnte ein Star sein. Es war ein Star! Entzwirnt und entschachtelt flog der Vogel nicht, wie zu erwarten, aus dem dämmerigen Zimmer gegen eine Fensterscheibe, sondern landete auf dem Topf eines Gummibaumes, wo er sofort in der Erde zu stochern begann. Er bekam einen Schreck als Renate ins Zimmer kam, aber auch jetzt prallte er nicht gegen das Fenster, sondern flog der vermeintlichen Gefahr eher entgegen und verschwand hinter den Kissen im Bettkasten der Schlafcouch. Bis ich den Zugang verstopfte benutzte er diesen... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Prof. Dr. Ulrich Sedlag Zoologe
TIERFINDELKINDER: Ein vermeintlich flügellahmer Star war zu Hause nur kurze Zeit der Star
Fauna, Garten, Gartenbau
Feuilleton
Kultur
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Angst vor dem Tabubruch
Thomas Kessen hat das Szenario schon durchgespielt. Der Anhänger des VfL Osnabrück würde liebend gerne bald wieder ein Heimspiel des Zweitligisten an der Bremer Brücke besuchen: »Um mir persönlich vor Ort ein Bild zu machen und endlich wieder ein Fußballspiel zu sehen.« Gleichwohl glaubt der Beisitzer aus dem Vorstand der Fanvereinigung »Unsere Kurve« nicht, dass er sich mit den avisierten Rahmenbedingungen zur neuen Saison für einen längeren Zeitraum anfreunden kann. Dafür sind die Einschränkungen durch das am Dienstag auf der virtuellen Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) zur Abstimmung stehende Konzept zu erheblich; dafür schränkt der neue Leitfaden das gewachsene Fußballerlebnis zu sehr ein. Stehplatz- und Alkoholverbot bis mindestens zum 31. Oktober, personalisierte Tickets und keine Gästefans - damit werden vorübergehend jene englischen Verhältnisse erschaffen, gegen die deutsche Fanorganisationen bislang erfolgreich angekämpft haben. Das erschüttert sozusagen die »Grundrechte« einer Kurve im Kern. Kessen ist bewusst, dass es in der Pandemielage »zwischen dem Gesundheitsschutz und der Fankultur einen nicht auflösbaren Widerspruch gibt«. Trotzdem besteht bei dem 31 Jahre alten VfL-Anhänger - ob begründet oder nicht - die Befürchtung, dass »es unter dem Corona-Deckmantel zu Regularien kommt, die sich später nicht zurücknehmen lassen«. Und manche Planspiele sorgen nur für Kopfschütteln. »Wenn jegliches Singen, Schreien und Rufen verboten ist, wird aus dem Fußballspiel eher eine Theaterveranstaltung«, sagte Vorstandskollege Jost Peter der »Augsburger Allgemeinen«. Die vor 15 Jahren gegründete Interessengemeinschaft »Unsere Kurve« vertritt 21 Fanorganisationen mit einer sechsstelligen Zahl aktiver Fans, die über die AG Fankulturen mit DFL und DFB im Dialog stehen - wenn jetzt ein Klima des Misstrauens entstünde, wäre das der weiteren Verständigung zu wichtigen Kernthemen nicht dienlich. »Fans und Fanvertretungen müssen zwingend bei allen Prozessen um die Wiederzulassung von Publikum eingebunden sein«, hieß es bereits in einem am Montag veröffentlichten Positionspapier, ehe sich am Tag darauf die DFL äußerte. Das wichtigste Fanbündnis hatte das Recht auf Mitsprache, Zulassung von Gäste-Anhängern, Gleichbehandlung, strengen Datenschutz und verbindliche Zusagen verlangt. So geht es bei diesem sensiblen Thema auch mal wieder um die Deutungshoheit. Kessen fordert, dass die aufgeführten Punkte explizit nur für die Zeit der Coronakrise gelten »und dies beispielsweise in den Ticketbedingungen auch hinterlegt wird«. Wie jeder Fan dann vor Ort mit den Gegebenheiten umgeht, sei letztlich die Sache jedes Einzelnen. »Wir raten bestimmt nicht vom Stadionbesuch ab. Das steht uns gar nicht zu.« Laut Peter würden viele der organisierten Anhänger ohnehin weiter zu Hause bleiben. Denn: »Ein Ausleben eines Fan-Daseins ist unter Corona-Bedingungen gar nicht möglich.« Aber was ist die Alternative? Auch die Ganz-oder-gar-nicht-Losung von Fredi Bobic, Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, ist nicht anwendbar, denn ausverkaufte Arenen bleiben auf absehbare Zeit wohl Wunschvorstellung. Ergo müssen Kompromisse zur Einhaltung der Hygiene- und Abstandsregeln her, was wiederum stark von den örtlichen Gegebenheiten abhängt. Ein vertracktes Thema, beim dem sich die DFL um praktikable Lösungen bemüht, die dann im wichtigsten Schritt noch von den Behörden abgesegnet werden müssen. Daher scheint fraglich, ob es mit dem Saisonstart ein einheitliches Vorgehen für alle 36 Klubs der beiden Bundesligen gibt. Michael Gabriel von der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) hält das vorgelegte Konzept für »durchdacht und unterstützenswert«, sieht aber zwei Herausforderungen: die Verteilung der Tickets (»sie muss gerecht und transparent erfolgen«) sowie den Verzicht auf Auswärtsfans, die auch für die DFL »einen wichtigen Bestandteil der deutschen Fußballkultur ausmachen«. Sonst wäre in der Spielordnung kaum verankert, dass dem Gastverein ein Ticketkontingent von mindestens zehn Prozent der Stadionkapazität zusteht. Dieser Anteil muss nach Gabriels Ansicht nicht auf null runtergefahren werden. »Ich hielte es für verantwortbar und für überlegenswert, eine begrenzte Zahl von Auswärtsfans unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen«, sagt der Fanexperte, der darauf verweist, dass dieses Verfahren womöglich bei dem einen oder anderen Verein in der Regionalliga zur Anwendung kommt. Gabriel würde sich auch eine Diskussion darüber wünschen, ob alle Stehplatzbereiche kategorisch geschlossen werden müssen. »Für einen Verein wie Union Berlin, der in überwiegender Zahl Stehplätze anbietet, wäre die Umrüstung mit großem Aufwand verbunden.« Ihm sei bewusst, dass dann womöglich mehr Ordnungspersonal eingesetzt werden müsse, doch warum sollte den Anhängern nicht »ein hohes Maß an Eigenverantwortung überlassen werden«? Denn: »Die Fans haben sich seit dem Restart in überwiegender Mehrzahl sehr verantwortungsvoll verhalten und sind sich der Besonderheit der Situation durchaus bewusst.«
Frank Hellmann, Frankfurt am Main
Die von der DFL angedachte Variante für eine Rückkehr von Stadionzuschauern sehen Fanvertreter skeptisch. Sie fordern, dass Stehplatz- und Alkoholverbot, personalisierte Tickets und der Verzicht auf Auswärtsfahrten Ausnahmen bleiben.
1. Fußballbundesliga, Fußball
Sport
Sport Fußball
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1139807.fussball-angst-vor-dem-tabubruch.html
Die Grüne und der Bürgerliche
Falkensee lag bis 1989 im Schatten der Berliner Mauer. Nach deren Fall mauserte es sich zu einer der größten Städte Brandenburgs und zählt jetzt schon 45 000 Einwohner. Ein Ende des Wachstums ist nicht in Sicht, wobei das Stadtbild von ausgedehnten Eigenheimsiedlungen bestimmt wird. »Es wird immer noch gebaut, obwohl wir eigentlich Mondpreise haben«, sagt die Grünen-Stadtverordnete Julia Concu. Sie ist seit der letzten Kommunalwahl im Jahr 2019 Vorsitzende der Stadtverordnetenversammlung (SVV). Ihrer Partei haben das rasante Wachstum der Stadt und der damit verbundene Zuzug geholfen. Die Grünen erhielten 2019 mit 22 Prozent die meisten Stimmen und stellen damit die stärkste Fraktion, noch verstärkt durch einen Vertreter der Jugendliste. »Das war ein Riesenerfolg«, erinnert sich Concu an den Wahlsieg. Sie leitet daraus eine Verpflichtung ab, die erste hauptamtliche Bürgermeisterin der Grünen im Land Brandenburg zu werden. Ähnlich gute Wahlergebnisse in der Vergangenheit stärken das Selbstbewusstsein. Mit der Ärztin Ursula Nonnemacher, die in Wiesbaden geboren wurde und 1996 nach Falkensee zog, stellen die Grünen inzwischen die brandenburgische Gesundheitsministerin. Nun hat Julia Concu am 11. Juni 2023 durchaus gute Chancen, die Bürgermeisterwahl zu gewinnen. Bürgermeister Heiko Müller (SPD) tritt nicht erneut an. Die Sozialdemokraten mussten deshalb eine Kandidatin nominieren, die nicht über den vorteilhaften Amtsbonus verfügt. Hätten es die Grünen gewollt, hätten sie für ihre Bewerberin die Unterstützung der Linkspartei bekommen. Denn: »Julia Concu ist in Ordnung«, wie Linke-Stadtparteichef Harald Petzold versichert. Gemeinsame Anträge in der SVV zeugen davon, dass es mehr als nur Berührungspunkte und Schnittmengen gibt. Nach Petzolds Einschätzung glauben die Grünen aber, es allein sogar leichter schaffen zu können. »Anscheinend empfinden sie ein Wahlbündnis mit uns, in dem Zustand, in dem sich unsere Bundespartei im Moment befindet, eher als Belastung.« Allerdings könnten auch erhebliche Differenzen Grund für die Distanz sein – insbesondere, was die soziale Komponente der von beiden Parteien angestrebten nachhaltigen Kommunalpolitik betrifft. Ganz allein einen eigenen Bürgermeisterkandidaten ins Rennen zu schicken, ergibt für Die Linke in Falkensee derzeit wenig Sinn. Von den einst zweistelligen Wahlergebnissen ist die Partei weit entfernt. Bei der Bundestagswahl 2021 bekam sie in Falkensee nur noch rund 6 Prozent. 2015 schnitt Bürgermeisterkandidat Norbert Kunz (Linke) mit 5,7 Prozent ähnlich bescheiden ab. Dabei war Kunz kein schlechter Bewerber und erhielt bei seinen öffentlichen Auftritten durchaus Zuspruch. Daher schien die Hoffnung berechtigt, er würde zehn Prozent der Stimmen erhalten. Doch nach der Abstimmung bekamen die Sozialisten von etlichen Anhängern zu hören, Kunz sei zwar sehr sympathisch gewesen, das Kreuz auf dem Stimmzettel habe man aus taktischen Gründen aber bei Heiko Müller von der SPD gemacht, um die ebenfalls zur Wahl angetretene CDU-Landtagsabgeordnete Barbara Richstein als Bürgermeisterin zu verhindern. Müller entschied dann seinerzeit die auf den ersten Wahlgang folgende Stichwahl gegen Richstein mit 51 zu 49 Prozent knapp für sich. Angesichts der politischen Realitäten nun einen eigenen Bewerber aufzustellen, kommt daher für die Mehrheit des Linke-Stadtverbands nicht infrage. Seit dem Sommer hat sich darüber hinaus in der SVV mit einer themenbezogenen Kooperation mit den Freien Wählern und der FDP die Möglichkeit ergeben, Vorschlägen im Interesse der Einwohner mehr politisches Gewicht und eine Chance auf Durchsetzung zu geben. Gemeinsam verfügen die drei Fraktionen in der SVV über 8 der 36 Stimmen. Sie konnten zum Teil auch Mehrheiten gewinnen für Anträge, die Einwohnern mehr Beteiligung, weniger finanzielle Belastung und stärkere Förderung in existenziellen Lebenslagen bringen sollten. Dabei kam es insbesondere mit den Freien Wählern und deren Neuzugang Rainer Ganser zu einer offenkundig verlässlichen Zusammenarbeit. Dies wiederum mündete in Gespräche über einen inzwischen verabredeten gemeinsamen Wahlantritt bei der Bürgermeisterwahl. Anfang 2023 soll Ganser als gemeinsamer Bürgermeisterkandidat nominiert werden. Der Mittfünfziger, der 20 Jahre seines Lebens in China verbrachte und dort Mitglied im Vorstand der deutschen Außenhandelskammer war, gehörte fünf Jahre der CDU-Fraktion im Falkenseer Stadtparlament an. Am 1. Mai 2022 trat er zu den Freien Wählern über. Als Grund, warum er die CDU verließ, nannte Ganser vor allem unterschiedliche Auffassungen zu Entscheidungsfindungen. In einer Erklärung der Freien Wähler zu ihrem Neuzugang hieß es seinerzeit: »Rainer Ganser ist überzeugt, dass Politik für die Bürger und Bürgerinnen gemacht werden sollte und nicht für Politiker und Parteiinteressen.« Ein Argument, das für Die Linke maßgeblicher ist als die Tatsache, dass Ganser als Bürgerlicher kein »lupenreiner Linker« ist, wie Harald Petzold sagt. »Aber wir haben Übereinstimmungen feststellen können.« Neben der Bürgerbeteiligung auch bei den Themen Bildung und Kita-Betreuung sowie bei der zu hohen Belastung der Falkenseer durch Gebühren. Die FDP könne sich, so sie denn wolle, der Nominierung von Rainer Ganser noch anschließen, sagt Petzold. Der FDP-Landesvorsitzende Zyon Braun hätte prinzipiell nichts dagegen einzuwenden. »Über Nominierungen entscheiden die Gremien der jeweilig betroffenen Gliederung frei«, versichert er ganz allgemein. »Grundsätzlich sind Nominierungen politisch und im Einzelfall zu bewerten.« Ein Unvereinbarkeitsbeschluss gilt bei den Liberalen lediglich für jegliche Zusammenarbeit mit der AfD. »Entscheidungen auf kommunaler Ebene sind nicht mit der Bundes- oder Landesebene zu vergleichen, da es hier keine klassischen Regierungs- und Oppositionsfraktionen gibt«, sagt Braun. Die FDP in Brandenburg mache »ihre Zusammenarbeit mit anderen Parteien von den Inhalten und der jeweiligen Situation abhängig«. Ein weiteres Argument spricht dann auch aus Sicht der Linken für einen Bürgermeisterkandidaten, der gemeinsam mit den Freien Wählern aufgestellt wird: dass es der AfD nach wie vor gelinge, aus Unzufriedenheit, Frust und Verunsicherung zahlreicher Menschen politisches Kapital zu schlagen, um auf die ihr zugetrauten 12 bis 18 Prozent zu kommen – »egal, wen sie aufstellt«, sagt Harald Petzold. Zwar sei der AfD-Kandidat bei der letzten Bürgermeisterwahl 2015 mit 9,5 Prozent nach der ersten Runde ausgeschieden. Aber inzwischen zeigte das Beispiel anderer Kommunen, dass es unklug sein könnte, wenn zu viele verschiedene Kandidaten demokratischer Parteien antreten. Besser wäre es, die Kräfte von vornherein gegen rechts zu bündeln und damit auch gemeinsame Handlungsfähigkeit zu zeigen. SPD und Grüne indes würden mit der Linken nichts zu tun haben wollen und fallen für ein solches Bündnis irritierenderweise aus. Sogar eine Verständigung mit der CDU wäre für Petzold vor diesem Hintergrund prinzipiell denkbar gewesen. Die CDU habe sich aber auf Jan Pollmann als ihren Mann für die Wahl verständigt – »und der redet nicht mit uns«, winkt Petzold ab. Der Linke-Kreisvorstand Havelland hat der geplanten Nominierung von Rainer Ganser für die Bürgermeisterwahl von Falkensee bereits einstimmig seinen Segen gegeben. »Trotz aller Diskussionen finde ich es gut, dass es einen gemeinsamen Kandidaten gibt«, sagt der Kreisvorsitzende Christian Görke.
Andreas Fritsche
Die Bevölkerungsentwicklung in Falkensee hilft den Grünen. Sie wollen von den Sozialisten nichts wissen. Darum plant Die Linke, die bei der Bürgermeisterwahl allein keine Chance hätte, ein ungewöhnliches Bündnis.
Brandenburg, CDU, Die Grünen, Die Linke, FDP
Hauptstadtregion
Berlin Brandenburg
2022-12-29T17:12:34+0100
2022-12-29T17:12:34+0100
2023-01-20T16:37:35+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1169712.brandenburg-die-gruene-und-der-buergerliche.html
Forderung nach Hilfe für geflüchtete Frauen
Ulm. Geflüchtete Frauen mit Kindern müssen nach Ansicht der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung stärker beim Einleben in Deutschland unterstützt werden. Sehr viele von ihnen könnten wegen ihrer Verantwortung für Kinder nicht an Sprach-und Integrationskursen teilnehmen, sagte Annette Widmann-Mauz (CDU) am Montag in Ulm. »Deshalb spielt die Kinderbetreuung während der Kurse eine große Rolle.« Auch darüber werde die am selben Tag eröffnete diesjährige Konferenz der Integrationsbeauftragten von Bund, Ländern und Kommunen beraten. Die Staatsministerin sagte, zudem müsse Frauen der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden. Sie spielten »eine Schlüsselrolle in der Wertevermittlung und beim Ankommen in Deutschland«. dpa/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Einwanderung, Integration
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https://www.nd-aktuell.de//artikel/1119184.forderung-nach-hilfe-fuer-gefluechtete-frauen.html
Hartz-IV-Satz-Erhöhung um zehn Euro passiert Bundeskabinett
Bei Ehepartnern steigt der Sat... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Die Regelsätze für Hartz-IV-Empfänger steigen Anfang kommenden Jahres um zehn Euro. Das Bundeskabinett beschloss am Mittwoch die Anhebung von derzeit 364 auf 374 Euro zum 1. Januar 2012 per Verordnung, wie eine Sprecherin des Bundesarbeitsministeriums am Mittwoch in Berlin mitteilte. Einen formellen Beschluss zu der Regelsatz-Anpassung gab es nicht.
Hartz IV, Kinder, Regelsatz
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https://www.nd-aktuell.de//artikel/206748.hartz-iv-satz-erhoehung-um-zehn-euro-passiert-bundeskabinett.html
Gefallener Engel und bösartiger Teufel
In den Jahren 1842/43 reist Mary Shelley noch einmal nach Italien. Mit Anfang zwanzig hatte sie hier ihre glücklichste Zeit verbracht - und dann zwei Kinder sowie ihren Ehemann Percy Shelley verloren, der 1822 in der Bucht von La Spezia beim Segeln ertrank. 1840 war sie bereits nach Deutschland gereist, ihr Sohn hatte sie begleitet. Das Tagebuch dieser Reise ist nun unter dem Titel »Streifzüge durch Deutschland« erstmalig auf Deutsch erschienen (Morio-Verlag, 200 S., geb., 19,95 €). Es zeigt eine Autorin, die - trotz Krankheit und Depressionen - den Sinn für das Ungewöhnliche im Alltäglichen nicht verloren hat. Sie reisen mit dem Dampfboot auf der Mosel. Von Trier geht es weiter nach Frankfurt am Main, nach Dresden, Weimar und Berlin. Zumeist fahren sie mit der Eisenbahn, die 1840 noch eine Attraktion ist. An der Grenze zwischen Sachsen und Preußen werden die Waggons ausgetauscht. Mary Shelley notiert: »Die preußischen Waggons haben bedeutend mehr Platz und sind bequemer. Die Geschwindigkeit, mit der wir fuhren, war außerordentlich hoch, sodass ich Reisende flehentlich aus dem Fenster rufen hörte, man möge das Tempo drosseln.« Frappierend an diesem Bericht ist auch, dass er bereits eine touristische Perspektive bedient, die sich von der heutigen nicht sehr unterscheidet. In Weimar besuchen sie das Schloss sowie die Wohnhäuser von Goethe, Schiller und Wieland, die sich jedoch noch im Privatbesitz der Familien befinden. In Dresden stehen sie auf der Brühlschen Terrasse und besichtigen die Schätze des Grünen Gewölbes. Und in Berlin? Hier sind das Brandenburger Tor, die Universität, die Oper, Museen und die Gemäldegalerie ihre Ziele. Das ist ungefähr so, wie sich neuerdings der Berliner Senat den idealen kulturbeflissenen Hauptstadtbesucher vorstellt, nachdem er jahrelang um den kulturfernen Partygänger warb. Ein Vierteljahrhundert zuvor, im Sommer 1816, weilte Mary Shelley am Genfer See in der Villa Diodati. Hier wurde »Frankenstein« geboren und seltsamerweise auch der Vampir, in einer ersten frühen Skizze von Lord Byron, der ebenfalls anwesend war. Woher kommt diese ungewöhnlich intensive literarische Produktivität? Der Sommer jenes Jahres ist wohl der kälteste und regnerischste des Jahrhunderts, was mit einem Vulkanausbruch zu tun hat, dessen Aschewolke die Sonne verdunkelt, so dass es selbst im Juli noch Nachtfröste gibt. Die Gäste der Villa Diodati langweilen sich und beschließen, Schauergeschichten zu schreiben. Byron beginnt an einer kurzen Skizze zum Vampir zu arbeiten (der in dieser Skizze selbst noch gar nicht auftaucht), und sein Arzt Polidori wird später daraus den - allerdings kolportageartigen - »Vampyr« machen, einen smarten Gentleman namens Lord Ruthven, der den Frauen das Blut aussaugt, ein Ungeheuer der Erotomanie. Die erst achtzehnjährige Mary Wollstonecraft, die bald Percy Shelleys Frau werden sollte, schreibt einen Roman von zweihundertfünfzig Seiten mit dem Titel »Frankenstein oder Der neue Prometheus«. Im Vorwort erinnert sie an die Entstehung in der Villa Diodati: »Jedoch klarte das Wetter plötzlich auf, meine zwei Freunde verließen mich zu einer Tour durch die Alpen und verloren inmitten der herrlichen Bilder, die sie bieten, jede Erinnerung an ihre spukhaften Visionen.« 1818 erscheint »Frankenstein« - und wird bis heute immer wieder aufgelegt. Mehr noch, »Frankenstein« ist durch Comic und Film zum Inbegriff jener Monster geworden, die menschliche Hybris hervorbringt. Frankenstein ist natürlich nicht das aus Leichenteilen zusammengenähte Monster, sondern sein Schöpfer, das ist der abzüglich seines Forscherehrgeizes recht unscheinbare Viktor Frankenstein, der aus einer vornehmen Familie in Genf stammt. Zum Studium kommt er ausgerechnet nach Ingolstadt - und hier baut er dann heimlich in seinem Laboratorium, ausgestattet nach den neuesten chemischen und anatomischen Erkenntnissen seiner Zeit, jenes Monstrum, das er für den Prototyp eines neuen Menschen hält: stark (zweieinhalb Meter groß) und schön soll er sein, ein Übermensch aus lauter Leichenteilen, aber eben nicht wie die »Wiedergänger« aus dem Grabe kommend, kein »Untoter«, sondern im Laboratorium zusammengesetzt, eine Art Golem, dem er den Lebensfunken einhaucht. Ein Mensch? Eher einen riesenhaften Homunculus hat dieser Doktor Faust, der sehr bald immer mehr in die Rolle des Zauberlehrlings gerät, da geschaffen. Als das Wesen die Augen aufschlägt, zeigt sich seine ganze abstoßende Hässlichkeit; der wässrig-leichenhafte Blick im grob zusammengenähten Gesicht wirkt grauenerregend. Vor Entsetzen über das, was er da in die Welt gebracht hat, lässt der bis eben so euphorische Jungwissenschaftler alles stehen und liegen - und läuft einfach weg, in der Hoffnung, dass sich das Problem des riesenhaften Kerls irgendwie von allein entledigt. Und so scheint es auch, denn als er tags darauf in sein Laboratorium zurückkehrt, ist das namenlose Produkt seiner Fantasien vom künstlichen Menschen verschwunden. Aber nicht für immer. Doktor Frankenstein vereint in sich moderne Wissenschaft und Alchemie, da er in seiner Jugend vor allem Paracelsus und Agrippa von Nettesheim las und sich in ihrer magischer Naturphilosophie auskannte. Nun erweist er sich als jemand, dem das Gewissen schlägt. Aber wie auch dem »Vater« der Atombombe, Robert Oppenheimer, erst, als die Unglücke, für die er sich verantwortlich weiß, bereits geschehen sind. Seltsamerweise hält man heute zumeist nicht den Schöpfer jenes kunstmenschlichen Monstrums für Frankenstein, sondern dieses selbst. Frisst das Geschöpf also gewissermaßen seinen Schöpfer? Shelleys Roman ist auch ein Essay über die Verantwortung des Wissenschaftlers. Ein völlig neues Thema für das beginnende 19. Jahrhundert. Es hat mit den sich eröffnenden neuen Möglichkeiten von Naturwissenschaft und Technik zu tun. So experimentierte bereits Ende des 18. Jahrhunderts der italienische Arzt Luigi Galvani mit Elektrizität und stellte dabei fest, dass abgetrennte Froschschenkel, die man unter Strom setzt, zu zucken beginnen, so als ob sie leben würden. Das war einerseits ganz empirische Forschung, andererseits befeuerten solche Entdeckungen einen gewissen Okkultismus, die Suche nach einem »Stoff des Lebens«. Mary Shelley wechselt sehr bewusst des Öfteren die Perspektive. Das Monstrum ist für sie erst einmal ein unbeschriebenes Blatt, im Sinne Rousseaus ein »edler Wilder«, den es in Intellekt und Gefühl zu bilden gilt. Aber durch Frankensteins Weglaufen und Verdrängen des Getanen ist dieses Riesenretortenbaby, auf dessen Anblick alle mit Angst und Schrecken reagieren, völlig auf sich allein gestellt. Es lernt sprechen, indem es andere belauscht, lesen, indem es Bücher entziffert, die es im Wald findet. Es ist allein - und alle lehnen es auf heftigste Weise ab. Man verjagt es, wo es zaghaft Anbindung an andere Menschen sucht. Und so kehren sich die anfangs noch positiven Gefühle des bis dahin erfahrungslosen Geschöpfs um, sein Versuch, Akzeptanz zu finden - und es beginnt sich bei ihm eine Bösartigkeit zu entwickeln, die schließlich mörderische Ausmaße annimmt. Es gilt der Welt zu vergelten, dass sie jemanden wie ihn erst geschaffen und dann verstoßen hat! Klar ist, Mary Shelley will, was noch heute jeder gutwillige Sozialarbeiter versucht: auf lieblose Zeiten des Heranwachsens in einer Biografie hinweisen, die das Monstrum erst geschaffen haben, sie will »das Böse« entdämonisieren und als ein Produkt der Gesellschaft kenntlich machen. Sie wirbt um Verständnis. Ein erstaunlich weit ausgreifender Zugang zum Thema, wenn auch nicht gänzlich frei von Sentimentalität. Bald schon beginnt sich das Monstrum an Frankenstein für seine einsame Existenz zu rächen, tötet seinen jüngeren Bruder Wilhelm im Wald bei Genf (wie er so zielgerichtet von Ingolstadt nach Genf kam, bleibt allerdings Mary Shelleys Geheimnis). Weil Frankenstein sich seinem Ansinnen verweigert, ihm eine »Gefährtin« zu schaffen, die so sei wie er, ermordet es auch seinen Freund und dessen Braut - alle, die er liebt, sollen sterben. Frankenstein jagt nun das Monster, das er schuf: »Ich sah das Wesen, das ich inmitten der Menschheit ausgesetzt und mit dem Willen und der Fähigkeit ausgestattet hatte, grauenhafte Dinge wie die gerade begangene Tat zu bewirken, fast in einem Licht, als wäre ich mein eigener Vampir, mein eigener Geist, dem Grabe losgelassen und nunmehr alles zu vernichten gezwungen, was mir lieb und teuer war.« Das Böse, der in seinem Handeln schuldig Gewordene also, weiß offenbar etwas, was das Gute in seiner Unschuld nicht erfahren hat. Und dies unaufhebbar Zweideutige teilt uns Mary Shelley ganz am Ende von »Frankenstein« mit, ein wahrhaft verflixter Schluss, der jede Selbstgerechtigkeit hinter sich lässt, zumal aus dem Munde eines namenlosen Monsters: »Doch es ist nun einmal so: Der gefallene Engel wird zu einem bösartigen Teufel.«
Gunnar Decker
Vor 200 Jahren wurde nicht nur Karl Marx geboren, sondern auch Frankenstein. Und dieser ist kaum weniger aktuell als der berühmte Philosoph und Ökonom. Mary Shelleys Roman ist zugleich ein Essay über die Verantwortung des Wissenschaftlers.
Literatur
Feuilleton
Kultur Mary Shelleys »Frankenstein«
2018-04-02T16:57:00+0200
2018-04-02T16:57:00+0200
2023-01-21T22:24:10+0100
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1084106.mary-shelleys-frankenstein-gefallener-engel-und-boesartiger-teufel.html
Der Doppelgänger
Willem Frederik Hermans, in den Niederlanden ein viel gelesener Autor der klassischen Moderne, wurde auch hierzulande schon verlegt. Und doch mag »Die Dunkelkammer des Damokles« für manch einen eine Neuentdeckung sein. 1958 erstmals erschienen, hat es bis heute nichts an Spannung, Intensität und Vielschichtigkeit verloren. Im Gegenteil, die historische Distanz macht den Blick auf die tragischen Verwicklungen menschlicher Existenz in chaotische Zeitläufe, die hier geschildert werden, vielleicht noch deutlicher und schärfer als ein geringerer zeitlicher Abstand zum Geschehen. Konkret geht es um Ereignisse während der deutschen Besatzung in den Niederlanden zwischen 1940 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs bzw. den ersten Monaten danach. Aber nicht die Kriegshandlungen selbst bestimmen den Inhalt, sondern das Zerbrechen von Ordnung, Moral und Zivilisation in einer rechtlosen und chaotischen Zeit. Das mag anspruchsvoll klingen, ist aber vom Autor sehr geschickt in die Romanhandlung verpackt. Das Ganze beginnt ein bisschen skurril, aber schon bald wird der Leser in ein spannendes Kriminalgeschehen hineingezogen, in den Sog von undurchsichtigen, schnell aufeinander folgenden, so drastischen wie obskuren Ereignissen. Schließlich entwickelt sich der Roman zum Psychogramm eines Jämmerlings, dem, wie er meint, »die große Stunde« geschlagen hat - ein fataler Irrtum, wie sich herausstellen wird. Die Hauptperson des Romans ist ein junger Mann namens Henri Osewoudt, ein Tabakhändler, den das Schicksal nicht gerade mit äußerlichen Vorzügen bedacht hat. Als er ein Kind war, hatte seine Mutter in einem Wahnsinnsanfall ihren Mann erstochen, worauf sein Onkel ihn zu sich nahm. Er wurde von seiner sieben Jahre älteren Cousine verführt, heiratete sie und übernahm den Tabakladen des Vaters. Osewoudt, klein, mickrig, mit einem Mädchengesicht ohne Bartwuchs, hat Minderwertigkeitskomplexe. Das wird sich mit einem Mal ändern, als ein Mann mit fast gleichem Äußeren wie er seinen Laden betritt, ein Doppelgänger, den man für einen Zwillingsbruder halten könnte. Der Mann heißt Dorbeck, ist niederländischer Offizier und lässt Osewoudt, der bisweilen im Hinterzimmer seines Ladens solche Arbeiten übernimmt, einen Rollfilm für ihn entwickeln. Mit diesem Auftrag hat er ihn auch schon in den vermeintlichen Widerstand gegen die deutschen Besatzer hineingezogen. Nun setzt der Autor »eine teuflische Schicksalsmaschinerie« (Cees Nooteboom im Nachwort) in Gang. Dorbeck erteilt Osewoudt einen Auftrag nach dem anderen, und der gehorcht blindlings seinen Anweisungen. Er gerät in Spionagegeschichten, Liebesaffären und Schießereien und liquidiert - ohne moralische Skrupel - Menschen, die er für Feinde und Verräter hält. Die Identifikation mit dem stärkeren Dorbeck, seinem zweiten Ich, lässt ihn die eigene Identität verlieren. Er lebt mit falschen Namen und wird zum Spielball verschiedener Gruppierungen, zum Gehetzten, Gejagten, Gefangenen. Der Autor hat ein Pandämonium des kriegsbesetzten Landes mit Geheimagenten, Verrätern, Denunzianten, Jägern und Gejagten geschaffen. Als der Krieg zu Ende ist, ist auch Dorbeck auf Nimmerwiedersehen verschwunden, und Osewoudt muss sich vor den Richtern für seine Taten verantworten. Die machen es sich nicht leicht, die Wahrheit herauszufinden. Aber letztlich bleibt vieles verborgen wie in einer Dunkelkammer. Das Verrückte ist, dass man gegen alle Vernunft und Moral die Tragödie atemlos verfolgt und bis zuletzt mit dem kleinen, miesen Möchtegern, der so skrupellos zum Verbrecher wird, hofft, dass er doch noch seinen Hals aus der Schlinge ziehen kann. Willem Frederik Hermans: Die Dunkelkammer des Damokles. Roman. Aus dem Niederländischen von Waltraud Hüsmert. Nachwort von Cees Nooteboom. Aufbau Verlag. 383 S., geb., 22,95 €.
Sabine Neubert
Willem Frederik Hermans: »Die Dunkelkammer des Damokles« führt in die Zeit der deutschen Besetzung der Niederlande
Krieg, Niederlande
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Kultur
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Union Busting: Viel Geld und keine Skrupel
Was tun, »wenn die Gegenseite jede Menge Geld, wenig Respekt und keinerlei Skrupel hat?« Danach fragt die vierte juristisch-politische Fachkonferenz der Aktion gegen Arbeitsunrecht, die am Samstag in Köln stattfand. Auf dieser zeigen Stimmen aus Justiz, Gewerkschaft, Betrieb und Medien, mit welchen Tricks Unternehmen versuchen, die Organisierung am Arbeitsplatz zu behindern und Konzernkritik zu schwächen – und wie man sich zusammenschließt, um in Zeiten eines erodierenden Rechtsstaats, die Demokratie im Betrieb zu stärken. 47 Überlastungsanzeigen reichte eine Pflegerin mit ihren Kolleg*innen 2022 und 2023 am Klinikum in Lippe für die Palliativ-Station ein: Arbeitsbelastung und Personalmangel sollen den Anzeigen nach die Gesundheit der Beschäftigten und der Patient*innen gefährdet haben. Laut Medienberichten standen sogar Vorwürfe im Raum, die Situation am Krankenhaus hätte zu vermeidbaren Todesfällen geführt. Die Klinik gehört zu den größten kommunalen Krankenhäusern in Deutschland. Umso krasser ist die Geschichte, die Verdi-Gewerkschafter Walter Brinkmann am Samstag erzählt. »In Start-Ups ist die Ideologie der Leistungsgemeinschaft besonders groß.« Die Pflegerin klagt vor dem Arbeitsgericht, nachdem auf die Anzeigen hin keine Verbesserungen folgten. Eine Unterstützung durch den Betriebsrat soll sie laut Aussagen Brinkmanns nicht bekommen haben. Darum gründet er mit anderen Aktiven das »Aktionsbündnis Klinikum Lippe.« Sie sammeln Unterschriften, sprechen mit der Belegschaft und stellen einen Antrag auf Einrichtung eines Untersuchungsausschusses. Auch die Medien berichten darüber – laut Brinkmann soll die Geschäftsführung der Klinik am Standort Lemgo Kioske angehalten haben, jene Blätter nicht zu verkaufen. Brinkmanns Engagement folgte eine Unterlassungsklage. Grund seien »rufschädigende« Aussagen, die Brinkmann getätigt haben soll. Konkret geht es um Aussagen, die der Gewerkschafter in einem Radio-Interview machte. Darin soll er laut eigenen Aussagen einen »Bezug zur Situation der Pflegekräfte« und den Todesfällen hergestellt haben. Das dies seine Meinung ist und kein Fakt, machte er ausdrücklich deutlich, wie er sagt. Über den Unterschied zwischen Meinungs- und Tatsachenbehauptungen spricht auf der Konferenz der Anwalt Eberhard Reinecke. »Slapp« steht aus dem Englischen übersetzt für die strategische Prozessführung gegen öffentliche Beteiligung. Eine Ohrfeige (english »slap«) könne jene treffen, die in der Öffentlichkeit Missstände anprangern, so Reinecke. Slapps zeigen sich in Abmahnungen oder Unterlassungsklagen gegen konzernkritische Stimmen. Die Drohung mit Prozesskosten oder Entschädigungszahlungen sei laut Reinecke ein starkes Druckmittel. Nora Noll berichtet auf der Konferenz von der Klage des Deutschen Roten Kreuz gegen »nd« wegen der Berichterstattung über die problematischen Zustände im Berliner Ankunftszentrum Tegel. Was also tun, wenn die Klage von der renommierten Medienkanzlei beim sozialen Aktivisten oder der engagierten Journalistin eintrudelt? Philipp Wissing von der »No-SLAPP-Anlaufstelle« bietet Journalist*innen und Whistleblower*innen erste Hilfe. Seiner Meinung nach sei die Richtlinie zum Schutz vor »Slapps«, die der Rat der Europäischen Union am 19. Mai 2024 angenommen hat, ein erster Schritt. Nun setzt sich sein Verein dafür ein, Betroffenen in Deutschland unter die Arme zu greifen: In der Aufklärung, eventueller Rechtsvermittlung und psychosozialer Unterstützung. Auch der bis dato fehlenden Dokumentation der Fälle nehme sich der Verein an. »Eben weil es so erfolgreich ist, sieht man es nicht«, sagt Wissing über das strategische Klagen gegen die öffentliche Beteiligung. Einer, der vieles in der Arbeitswelt gesehen hat, ist der Gewerkschaftssekretär Falko Blumenthal von der IG-Metall, ein weiterer Referent auf der Konferenz. In seinem Vortrag spricht er über die Besonderheiten der Betriebsratsgründung in Start-Ups. Seinen Tätigkeitsort München bezeichnet er als einen der »hochkapitalisierten« Unternehmensstandorte für den Bereich Start-Up und neue Technologien. Blumenthal nennt es die »Goldrauschmentalität«, die es in jenen Betrieben auf besondere Art und Weise erschwere, die Belegschaft zu organisieren und konfliktbereite Betriebsräte zu gründen. Gerade in Start-Ups, in denen es kein Eigenkapital gibt, sondern ein »Versprechen gegenüber dem Finanzmarkt«, wie Blumenthal es nennt, sei die Ideologie der Leistungsgemeinschaft besonders groß. Er unterstreicht dies anhand eines Beispiels im Münchner Start-Up »Isar Aerospace«, das laut Website einen »flexiblen, nachhaltigen und kostengünstigen Zugang zum Weltraum für Satellitenkonstellationen« biete. Dort habe seine Gewerkschaft einen Betriebsrat gegründet und von der Leitung zu hören bekommen, »wir gehen hier in den Weltraum und ihr kommt uns hier mit dem Betriebsverfassungsgesetz.« Gewinne auf Seiten der Arbeitenden in dieser Art Betriebe zu erzielen, stelle die »Hingabe« der Entwickler*innen in Frage, sagt Blumenthal. Auch seien die Beschäftigten durch eine »Mentalität der Selbstaufopferung«, weniger bereit, in Konflikte zu gehen. Wer will schon den Produktionsprozess im Weltraum lähmen? Blumenthal spricht auch von den wachsenden Aufgaben für Betriebsräte, die sich nicht nur mit dem Betriebsverfassungsgesetz auskennen müssten, sondern auch zunehmend mit sozialen Problemen wie Mobbing oder ethischen Fragen im Umgang mit »Künstlicher Intelligenz«. Ein Hörer aus dem Publikum, der seit einem Jahr Teil des Betriebsrats beim Telekommunikationsunternehmen 1&1 ist, pflichtet Blumenthal bei: »Ich habe jetzt sozusagen die ersten zwei Semester Jura hinter mir«, sagt er. Eine andere Hörerin moniert, dass man mit der Freistellung von Betriebsräten zwar entlaste, diese dadurch aber »nicht mehr richtig im Betrieb drinstecken« und daher die Bedürfnisse der Beschäftigten schlechter einschätzen könnten. Union Busting hat viele Facetten. Chefinteressen verstecken sich nicht nur hinter Klagen gegen Aktivist*innen und Gewerkschafter*innen oder in der Unterdrückung einer kritischen Gegenöffentlichkeit. Sie werden auch nicht nur durch libertäre Start-Up-Träume aufrechterhalten. Manchmal zeigt sich schlichtweg der Wolf im Schafspelz unter den Beschäftigten. Andreas Job ist Verdi-Betriebsrat bei der Deutschen Post. Im Gespräch mit »nd« berichtet er von den Tricks der Arbeitgeber, Betriebsratswahlen zu unterwandern. Am Flughafen Köln-Bonn arbeiten Job zufolge viele Migrant*innen bei UPS. Ihre Arbeit sei hart (das Neuverpacken von Paketen aus der Nicht-EU für den EU-Versand und umgekehrt) und finde meist nachts statt. Menschen, die so arbeiten, hätten es schwer, woanders Jobs zu finden, sagt der Gewerkschafter. Er habe in den vergangenen Jahren sechs Gewerkschaftsmitglieder gewonnen, das sei »gut« für den Bereich. Bei einer Betriebsratswahl, die seine Gewerkschaft jüngst initiierte, sei plötzlich ein neues Verdi-Mitglied mit einer 150-Mitglieder langen Liste aufgetaucht und habe die Wahl so massiv gestört, dass die Polizei einschreiten musste, erzählt Job, was er mit den Interessen des Arbeitgebers in Verbindung bringt. Dennoch sahnte Verdi zwölf von 25 Plätzen für den neuen Betriebsrat ab. Job spricht von einem Erfolg, Verdi habe seine Stimmenanzahl mehr als verdoppelt im Vergleich zum vorherigen Betriebsrat. Als Gegenmittel gegen »Slapp« und »Union Busting« bietet die Konferenz am Samstag in Köln Aufklärung, Vernetzung und Solidarität. Viele der circa fünfzig Anwesenden aus dem Publikum erzählen ihre eigenen Geschichten aus der Arbeitswelt, teilen ihre Ängste miteinander, die kostspielige Klagen bei ihnen auslösten. Wenngleich die Veranstaltenden Jessica Reisner und Elmar Wigand von der Alktion gegen Arbeitsunrecht einen Raum für die Schattenseiten der deutschen Arbeitswelt öffneten, bleibt ihr Appell klassenkämpferisch-optimistisch: »Es besteht keine Gefahr, dass der Aktion gegen Arbeitsunrecht die Arbeit ausgeht«, sagt Wigand.
Jule Meier
Auf der vierten juristisch-politischen Fachkonferenz der Aktion gegen Arbeitsunrecht zeigen Stimmen aus Gewerkschaft, Justiz und Öffentlichkeit, wie Demokratie und Meinungsfreiheit im Betrieb verteidigt werden muss.
Betriebsrat, Köln, Krankenhaus, Medienkritik, Nordrhein-Westfalen
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt Aktion gegen Arbeitsunrecht
2024-11-10T16:17:06+0100
2024-11-10T16:17:06+0100
2024-11-11T15:37:14+0100
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Festival nach »pogromartigen Ausschreitungen« abgesagt
»Wenn auf Geflüchtete, Migrant*innen sowie Andersdenkende offen Jagd gemacht wird und der Freistaat das Gewaltmonopol fahrlässig an Neonazis abgibt, können wir kein friedliches und vor allem sorgenfreies Familienfest garantieren«. Mit diesen Worten hat der Sächsische Flüchtlingsrat das für Samstag den 1. September geplante »SommerTraum Open Air« abgesagt. Nach den »pogromartigen Ausschreitungen« seit dem 26. August sei man nicht in der Lage für die Sicherheit aller Besucher*innen zu sorgen. Denn auch am Samstag seien mehrere rechtsradikale Kundgebungen angemeldet. Die Bilder hätten bei Geflüchteten und Aktivist*innen »tiefe Spuren« hinterlassen. Die Mitglieder des Flüchtlingsrates hoffen, dass die sächsische Politik endlich »konsequent gegen faschistische Aktivitäten« vorgehe und den Rechtsstaat für »alle hier lebenden Menschen« durchsetze. Man stehe aber weiterhin für antirassistischen Protest ein und fordere alle Interessierten auf, an den Gegenprotesten von »Chemnitz Nazifrei« teilzunehmen. Für den Tag ruft das antifaschistische Bündnis zu Gegenprotesten gegen weitere rassistischen Versammlungen von AfD und Pro Chemnitz auf. Unter dem Motto »Herz statt Hetze« will das Bündnis die »Instrumentalisierung des schrecklichen Mordes eines jungen Mannes nicht unwidersprochen hinnehmen« und dem Bild von Hetzjagden und Lynchjustiz eines der Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt und eine klare humanistische Position entgegensetzen. Einen Aufruf dazu haben Landes- und Bundespolitiker*innen aus der Stadt, aber auch die örtliche SPD und CDU, Gewerkschafter*innen und der Studentenrat der TU Chemnitz und drei Dutzend weitere Organisationen und Personen unterschrieben. Auch die Band Madsen wird auf der Kundgebung spielen. Am Donnerstag selber wird das Bündnis nicht auf die Straße gehen. Zu einer Gegendemonstration aufzurufen sei »unverantwortlich«. Dann demonstriert das rechte Bündnis »Pro Chemnitz« zu einer Demonstration. Anlass ist, dass zeitgleich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) zu einem Bürgergespräch in Chemnitz erwartet wird. Deshalb sind dann auch Einsatzkräfte aus Bayern, Berlin, Hessen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und der Bundespolizei einbestellt, dass teile die Polizeidirektion Chemnitz mit. Das Bündnis »Chemnitz Nazifrei« teilte auf Facebook mit, es werde keine Gegenveranstaltung geben. »Die Demonstration am Montag hat uns gezeigt, dass die Polizei derzeit nicht willens oder in der Lage ist, unser Grundrecht auf Versammlungsfreiheit und körperliche Unversehrtheit zu wahren.«
Moritz Wichmann
»Wenn auf Geflüchtete Jagd gemacht wird und der Freistaat das Gewaltmonopol fahrlässig an Neonazis abgibt, können wir kein friedliches und sorgenfreies Familienfest garantieren.« Mit diesen Worten sagt der Flüchtlingsrat ein Festival in Chemnitz ab.
Chemnitz, Flüchtlinge, Nazis, Sachsen
Politik & Ökonomie
Politik Chemnitz
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Wann darf ich nach Hause?
Eine Hüftkrankheit, eine Augenfehlstellung oder chronisch entzündete Gaumenmandeln: Es kann viele Gründe geben, weshalb ein Kind sich im Krankenhaus behandeln lassen muss. Anders als bei akuten Erkrankungen haben Eltern in solchen Fällen Zeit, sich mit dem anstehenden Aufenthalt auseinanderzusetzen und ihr Kind vorzubereiten. »Kinder haben oft Angst vor dem Unbekannten«, gibt Sabrina Burschel, Bundesvorsitzende des Aktionskomitees Kind im Krankenhaus (AKIK), zu bedenken. »Sie sind von der Krankenhausumgebung häufig eingeschüchtert. Für sie ist alles neu, zudem haben sie es mit lauter fremden Menschen zu tun.« Daher sei es wichtig, mit dem Kind darüber zu sprechen, was es zu erwarten hat. Bereits kleine Kinder sind oft für ein Gespräch zugänglich, wenn man einfache Worte wählt. Ansonsten können ihnen Bilderbücher oder Spiele mit dem Arztkoffer helfen, sich auf das Thema einzustellen. Zu einem floskelhaften »Das tut nicht weh« sollten sich Erziehungsberechtigte nicht hinreißen lassen, wenn das Kind wahrscheinlich Schmerzen haben wird. »Sehr oft beobachten wir, dass Eltern zu Verharmlosungen neigen, um das Kind zu schützen. Wenn die Behandlung doch wehtut, kann das zu einem Vertrauensbruch führen. Manchmal bekommen Ärzte dann nur schwer Zugang zum Kind«, berichtet Burschel. In schwierigen Situationen - etwa vor riskanten Eingriffen - können sich Eltern zum Beispiel von einem Klinikpsychologen beraten lassen, wie sie am besten mit ihrem Kind sprechen. Eltern, deren Kind ein Klinikaufenthalt bevorsteht, finden im Internet weitere Informationen rund um das Thema. Zum Beispiel gibt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung auf ihrem Portal kindergesundheit-info.de diverse Tipps und Hinweise. Auch das »Aktionskomitee Kind im Krankenhaus« (AKIK) möchte Eltern mit Rat und Tat zur Seite stehen. Es bietet unter anderem ein Malbuch an, mit dem Kinder spielerisch an das Thema herangeführt werden. Darin sind Informationen zum Krankenhaus und eine Ausmalgeschichte für Kinder enthalten. Das Buch ist für einen Euro plus Versandkosten über die Bundesgeschäftsstelle erhältlich. Ebenfalls dort kann für größere Kinder ein Comic bestellt werden (2,50 Euro plus Versandkosten). Die Bildergeschichte soll Kinder auf einen Krankenhausaufenthalt vorbereiten. Darin werden unter anderem Fragen wie: »Wie funktioniert eine Narkose?« kindgerecht beantwortet. Die Bestelladresse lautet: [email protected]; weitere Informationen unter: www.akik.de. nd Während des Aufenthalts ist es wichtig, dass die kleinen Patienten viel Unterstützung von ihren Bezugspersonen bekommen. Beatrix Schmidt, Leiterin der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am St.-Joseph-Krankenhaus in Berlin-Tempelhof, erklärt: »Bei Kindern bis neun Jahren sollte auf jeden Fall ein Elternteil mit aufgenommen werden. Auch bei älteren Kindern kann das notwendig sein, etwa dann, wenn sie extrem ängstlich oder schwer krank sind.« Die meisten gesetzlichen Krankenkassen kommen bei Kindern bis zum achten oder neunten Lebensjahr für die Kosten des »Rooming-in« auf - und auch bei älteren Kindern, wenn der Arzt es für nötig hält. Sicherheitshalber sollte man sich vorab bei der Kasse informieren. Nimmt ein Elternteil unbezahlten Urlaub, um beim Kind zu bleiben, kann man sich den Verdienstausfall in vielen Fällen von der Kasse erstatten lassen. Hat die Familie weitere Kinder, hat sie unter Umständen Anspruch auf eine Haushaltshilfe. Auch hier gilt: Bei der Versicherung nachfragen! Wurden die jungen Patienten allein aufgenommen, sollten sie möglichst viel und lange Besuch von ihrer Familie bekommen, rät die Ärztin. Beschränkungen bei den Besuchszeiten gibt es auf normalen Stationen in der Regel nicht. Für manche Eltern ist es allerdings schwierig, oft in die Klinik zu kommen - zum Beispiel, wenn sie lange Anfahrtszeiten haben. Daher gibt es in vielen Kinderkrankenhäusern einen Besuchsdienst, bei dem Ehrenamtliche sich um die Kinder kümmern. Krankenhauszimmer wirken oft steril. Vertraute Dinge - ein Kuscheltier, die Lieblingsdecke und Spielsachen - helfen Kindern, sich an die Umgebung zu gewöhnen. Optimal ist es, wenn sich gleichaltrige Patienten ein Zimmer teilen: »Manchmal bilden sich da richtige Allianzen«, sagt Schmidt. Auf Arztgespräche sollten sich Eltern gut vorbereiten und ihre Fragen am besten notieren. In der Regel sind die Kinder bei den Gesprächen dabei. »Ich spreche sie immer als Erste an, wenn ich ins Zimmer komme. Schließlich sind sie die Hauptpersonen«, betont Schmidt. Allerdings kann es Situationen geben, in denen sie mit den Eltern zuerst allein spricht - etwa bei schwerwiegenden Diagnosen. »In solchen Fällen mache ich einen weiteren Termin aus, bei denen auch das Kind dabei ist«, sagt sie. »Kinder müssen mit eingebunden werden.« Mit fortschreitendem Alter hat die Meinung der Minderjährigen immer mehr Gewicht. Schwierig wird es, wenn sich Eltern und Kind uneins sind. »Wer über 16 ist, darf gegen seine Eltern entscheiden«, sagt Schmidt. »Im Alter zwischen 14 und 16 kommt es auf die Reife des Jugendlichen an.« Häufig leiden Patienten und ihre Angehörigen im Krankenhaus darunter, dass sie wenig erfahren. Für Eltern kranker Kinder kann das eine nervliche Zerreißprobe werden, insbesondere, wenn das Kind ständig nachbohrt: »Wann darf ich nach Hause?« Ein Patentrezept für solche Situationen gibt es nicht. »Ich würde Eltern dazu ermutigen, das Recht auf Information einzufordern«, sagt Burschel vom AKIK. »Wichtig ist aber, dabei Ruhe zu bewahren.« Mit dem Beschimpfen gestresster Krankenschwestern ist niemandem gedient. Beatrix Schmidt äußert sich ähnlich: »Oft warten Eltern auf den Arzt und erwarten sofort Auskunft, obwohl er gerade gar keine Zeit hat. Da ist es besser, einen Termin mit ihm auszumachen.« Abgesehen davon fürchten sich Eltern, bei deren Kind eine stationäre Behandlung ansteht, häufig vor multiresistenten Keimen, bei denen die üblichen Antibiotika nicht wirken. Das kann dann bedrohlich werden, wenn derlei Bakterien in eine frisch operierte Wunde gelangen. Nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung entwickeln in Deutschland etwa 500 000 Menschen pro Jahr Krankenhausinfektionen, von denen etwa 30 000 von multiresistenten Erregern ausgelöst werden. »Einen hundertprozentigen Schutz vor diesen Erregern gibt es nicht«, sagt Schmidt. »Wenn wir wissen, dass ein Kind besiedelt ist, dann isolieren wir es.« So wird bei Frühchen, die wegen ihres schwachen Immunsystem besonders gefährdet sind, ein Abstrich genommen. Ansonsten lautet die wesentliche Vorsichtsmaßnahme: strenge Handhygiene! Alle Besucher sollten sich beim Betreten und Verlassen des Krankenhauses gründlich die Hände desinfizieren. »Wichtig ist, keinen Schmuck an Händen oder Unterarmen zu tragen«, betont die Kinderärztin. Am besten lässt man Ringe, Armbanduhren und Co gleich daheim: Daran sitzen häufig Keime, die man unbemerkt in die Klinik einschleppt.
Angela Stoll
Muss ein Kind ins Krankenhaus, ist vor allem Unterstützung von den nächsten Bezugspersonen nötig. Wie bei anderen Kranken helfen offene Gespräche, die Situation anzunehmen. Bücher und Spiele können zudem Ängste lindern.
Krankenhaus
Gesund leben Kinder im Krankenhaus
2020-07-22T14:28:10+0200
2020-07-22T14:28:10+0200
2023-01-21T10:42:42+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1139488.wann-darf-ich-nach-hause.html
Was Grundstückseigentümer beachten müssen
Die meisten Gemeinden haben die Pflicht zum Kehren der Bürgersteige auf die Eigentümer der angrenzenden Grundstücke übertragen. Die Verkehrssicherungspflicht trifft dabei den Eigentümer nicht nur bei Eisbildung und Schneefall, sondern vor jeglichen Gefahrenquellen für Fußgänger. So kann ein mit Laub bedeckter Gehweg gerade bei Regen sehr rutschig werden. Laub, das von eigenen Bäumen auf den öffentlichen Gehweg gefallen ist, sollte daher auf dem eigenen Grundstück entsorgt werden. Eigentümer können das Laub beispielsweise kompostieren oder als Frostschutz für Gartenpflanzen verwenden, empfiehlt die Eigentümerschutz-Gemeinschaft Haus & Grund Rheinland. Das Laub von Bäumen im öffentlichen Straßenraum wird in der Regel von der örtlichen Straßenreinigung beseitigt. Dieses Laub müssen die Eigentümer nur zu Haufen zusammenfegen, so dass Straßenrinnen und G... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
u Der Herbst ist gekommen, und mit ihm hat sich wieder jede Menge Herbstlaub auf den Straßen und Gehwegen angesammelt. Was müssen nun vor allem Grundstückseigentümer angesichts dieser Gefahrenquellen für die Fußgänger beachten? Dabei birgt nicht nur das Laub auf den Straßen eine Gefahr. Auch herabfallende Dachziegel oder umstürzende Bäume nach einem Herbststurm können gefährlich werden.
Grundstück, Herbst
Ratgeber
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André Schmitz führt Kolbe-Stiftung
Der frühere Berliner Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) ist zum Vorsitzenden der Georg Kolbe Stiftung gewählt worden. Er übernimmt die ehrenamtliche Aufgabe von dem langjährigen Vorstand Jens Ziegler, wie das Kolbe Museum mitteilte. Museumsdirektorin Julia Wallner bleibt weiter zweite Vorsitzende. Der Schwarzkopf-Erbe Schmitz war Anfang des Jahres wegen einer Steueraffäre in den vorzeitigen Ruhestand versetzt worden. Er hatte Vermögensgewinne in der Schweiz dem Fiskus entzogen. Das Georg Kolbe Museum erinnert an den gleichnamigen Bildhauer, der 1947 in Berlin starb. dpa/nd
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Leben wir im Anthropozän?
Klimawandel, radioaktiver Müll, abgeholzte Regenwälder, Plastik im Meer, fortschreitender Artenschwund - die Spuren menschlichen Tuns auf der Erde sind unübersehbar. Nur noch rund 20 Prozent der Oberfläche unseres Planeten befinden sich in einem unberührten Zustand, kommen also einer Wildnis gleich. Für den US-amerikanischen Geografen Erle Ellis heißt das: »Die Erde ist ein Humansystem mit eingebetteten natürlichen Ökosystemen.« Mit dieser Einschätzung steht Ellis nicht allein. Auch andere Wissenschaftler sind überzeugt, dass die Grenzen zwischen Natur und Kultur zunehmend verschwinden und das künftige Schicksal unseres Planeten - von kosmischen Katastrophen einmal abgesehen - in den Händen der Menschheit liegt. Und das zum ersten Mal in der Geschichte. Wäre es da nicht zweckmäßig, gleich von einer neuen geologischen Epoche zu sprechen? Einen Namen dafür gibt es bereits: Anthropozän. Er ist aus dem Griechischen abgeleitet und bedeutet so viel wie »das von Menschen gemachte Neue«. Streng genommen geht diese Wortschöpfung auf den italienischen Geologen Antonio Stoppani zurück, der 1873 das »Anthropozoikum« als ein Zeitalter definiert hatte, in dem es der Mensch »an Kraft und Universalität mit den großen Gewalten der Natur aufnehmen kann«. Doch die Idee geriet in Vergessenheit - bis zum Jahr 2000, als der niederländische Chemienobelpreisträger Paul J. Crutzen eine Tagung des Internationalen Geosphären-Biosphären-Programms (IGBP) besuchte. Dort referierte ein Kollege über das Holozän, die aktuelle geologische Epoche seit dem Ende der letzten Eiszeit. »Hören Sie endlich auf, vom Holozän zu sprechen, wir sind längst im Anthropozän!«, rief Crutzen ungehalten dazwischen und traf damit, wie sich rasch zeigen sollte, den Nerv der Zeit. Zwei Jahre nach diesem spontanen Ausbruch fasste er seine gesammelten Argumente pro Anthropozän in einem »Nature«-Artikel zusammen. Titel: »Geology of mankind«. Zunächst ging Crutzen davon aus, dass das Anthropozän mit dem Aufschwung der Industrialisierung begonnen habe. Später änderte er seine Auffassung und datierte den Beginn auf den 16. Juli 1945. An diesem Tag testeten die USA im Süden des Bundesstaates New Mexico erstmals erfolgreich eine Atombombe. Hunderte von weiteren oberirdischen Kernwaffenversuchen folgten. Die hierbei freigesetzten radioaktiven Partikel bildeten weltweit geologische Ablagerungen und damit einen globalen Marker für den Beginn des Anthropozäns. Inzwischen haben sich zahlreiche Wissenschaftler Crutzens Vorschlag angeschlossen. Andere hingegen halten an der »klassischen« Chronologie fest, wonach das Anthropozän mit der industriellen Revolution um das Jahr 1800 begann. Die offizielle Einführung der neuen geologischen Epoche steht hingegen noch aus. Die Berechtigung hierzu hat allein die International Commission on Stratigraphy (ICS), die im Jahr 2009 eine aus knapp 40 Personen bestehende Anthropozän-Arbeitsgruppe eingerichtet hat, die prüfen soll, welche Argumente für und gegen eine Neugliederung der Erdgeschichte sprechen. Traditionell wird diese in vier große Zeitalter unterteilt: Erdurzeit, Erdaltertum, Erdmittelalter, Erdneuzeit. Kürzere Abschnitte nennt man Perioden, noch kürzere Epochen. Bezogen auf den Menschen heißt das: Wir leben in der Erdneuzeit, in der Periode des Quartärs sowie in der Epoche des Holozäns, das seit etwa 11 700 Jahren andauert. Während dieser Zeit hat sich die Menschheit vor allem durch die Erfindung von Ackerbau und Viehzucht, die Errichtung von Städten und die Gewinnung neuer Stoff- und Energieressourcen entwickelt. Das Anthropozän hingegen wird als eine Epoche besonders rascher Umweltveränderungen definiert, die auf den rasanten Anstieg der Erdbevölkerung ebenso zurückgehen wie auf den Ressourcenverbrauch, der namentlich ab der Mitte des 20. Jahrhunderts gigantische Ausmaße angenommen hat. 24 Mitglieder der von der ICS eingesetzten Arbeitsgruppe haben unlängst bestätigt, dass der Einfluss des Menschen in irdischen Sedimenten klar feststellbar und das Anthropozän mithin als geologisches Phänomen anzusehen sei (»Science«, DOI: 10.1126/science.aad2622). Das heißt: Noch in Jahrmillionen sollten sich die geologischen Spuren des Menschen auf der Erde nachweisen lassen (sofern dann noch jemand da ist, der dies tun könnte). Ähnliches gilt bekanntlich für die vormals gefundenen Überreste der Dinosaurier, die an der Kreide-Tertiär-Grenze vor rund 65 Millionen ausstarben. Zu den auffälligen und vermutlich lange haltbaren Spuren des Menschen zählen die Ablagerungen technischer Materialen wie Aluminium und Kunststoff, »die jede Menge sich schnell entwickelnder ›Techno-Fossilien‹ bilden«, wie es in dem »Science«-Artikel heißt. Auch Beton gehört in diese Reihe. »Die jährlich vom Menschen produzierte Menge an Beton ist mit 13 Gigatonnen mittlerweile gleich groß wie jene an Sedimenten, die Jahr für Jahr natürlich von allen Flüssen der Welt verfrachtet wird. Das ist schon ein Zahlenwert, der einem zu denken gibt«, sagt der Wiener Geologe Michael Wagreich, einer der Autoren des Artikels. Als weitere unbelebte Zeugen menschlicher Aktivität werden dort genannt: Kohlenstoffpartikel, die bei der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen, künstliche Radionuklide, die aus Kernwaffentests resultieren, sowie Stickstoff und Phosphor aus Düngemitteln. Außerdem verweisen die Autoren auf den hohen Kohlendioxid- und Methangehalt der Atmosphäre, die steigende globale Durchschnittstemperatur, den Anstieg des Meeresspiegels und die weltweite Verbreitung invasiver Arten. Mark Williams, Paläoklimatologe an der University of Leicester, führt weitere typische Kennzeichen des Anthropozäns an. Sie beziehen sich hauptsächlich auf die Veränderung des Bodens. Dazu gehört unter anderem das verzweigte Netz von unterirdischen Rohren, Leitungen und Tunneln, das vermutlich länger überdauern wird als die meisten oberirdischen Bauten. Aber auch die Relikte des Bergbaus, die unzähligen tiefen Bohrungen ins Erdreich sowie die unterirdischen Deponien, in denen etwa radioaktive Abfälle und chemischer Müll gelagert wird, führen zu Störungen des tieferen Untergrunds. Diese nur von einer biologischen Spezies (dem Menschen) ausgehende geologische Intervention ist in der Geschichte der Erde ohne Beispiel. Aufgrund der überzeugenden Faktenlage sind viele Wissenschaftler optimistisch, dass die Entscheidung über die Einführung des Anthropozäns in absehbarer Zeit fallen wird, vielleicht schon auf dem Internationalen Geologischen Kongress im August 2016 in Kapstadt. Andere bleiben skeptisch. »Derzeit orte ich in der ICS eher Ablehnung«, sagt Wagreich. »Den Kommissionsmitgliedern ist das Problem zu politisch.« Zudem habe sich die Arbeitsgruppe bisher nicht auf einen globalen Marker für den Beginn des Anthropozäns einigen können. Vorschläge hierzu gibt es mittlerweile mehr als ein halbes Dutzend. Neben den bereits erwähnten - der industriellen Revolution und dem Einstieg ins nukleare Zeitalter - sind auch die folgenden historischen Einschnitte im Gespräch: die Ausrottung der großen Säugetierarten durch eiszeitliche Jäger, die Anfänge der Landwirtschaft und die damit verbundene Waldabholzung, der Beginn der Bergbauaktivitäten vor etwa 3000 Jahren, die »Entdeckung« Amerikas, die mit einem Aufschwung des globalen Handels und einem enormen Artenaustausch zwischen zwei Kontinenten einherging, und die Industrialisierung in der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die meisten dieser Ereignisse haben jedoch den »Makel«, dass sie nicht gleichzeitig und überall Spuren in geologischen Schichten hinterlassen haben. Das heißt, es ist hier nicht möglich, einen globalen Eichpunkt zu definieren, der es Geologen erlaubt, die Grenze der Epoche möglichst objektiv festzulegen. Kritik an der Neugliederung der Erdgeschichte kommt indes auch von anderer Seite. »Wir müssen aufpassen, dass wir nicht zu anthropozentrisch werden«, warnt beispielsweise der Geologe Phil Gibbard von der University of Cambridge, der ebenfalls der Anthropozän-Arbeitsgruppe angehört: »Die Erde hat in ihrer Geschichte schon viele Katastrophen erlebt und sich jedes Mal davon erholt.« Zudem könne niemand voraussagen, wie sich das vermeintliche Anthropozän entwickeln werde. Für die geologische Forschung bringe der neue Begriff ohnehin nichts, ergänzt Manfred Menning vom Deutschen Geoforschungszentrum Potsdam (GFZ). Er sei daher entbehrlich. Auch Befürworter des Anthropozän-Konzepts sehen darin nicht allein eine geowissenschaftliche Innovation. Ihnen geht es vor allem um ein neues Selbstverständnis des Menschen und dessen Rolle in der Geschichte. Niemand dürfte heute ernsthaft bestreiten, dass der Mensch, das noch lebende »Leitfossil« des Anthropozäns, seit einigen Jahrzehnten dabei ist, seine eigenen Lebensgrundlagen auf diesem Planeten irreversibel zu beschädigen. Zwar hat sich parallel dazu ein neues Umweltbewusstsein entwickelt, wie nicht zuletzt die Debatte um den Klimawandel zeigt. Doch das ökologische Netzwerk der Erde ist viel zu komplex, als dass wir die langfristigen Folgen unserer Eingriffe in dessen Dynamik zuverlässig einschätzen könnten. Denn diese Dynamik hat oftmals einen nichtlinearen Charakter. Die Besonderheit nichtlinearer Systeme besteht darin, dass sie über relativ lange Zeit gut beherrschbar scheinen. Dann jedoch scheren die Kurven für verschiedene Parameter innerhalb kurzer Zeit aus und nehmen einen exponentiellen Verlauf, was wiederum zu einer Schädigung oder gar Zerstörung des jeweiligen Systems führen kann. Obwohl es Menschen nachweislich schwer fällt, ein Gespür für nichtlineare Verläufe zu entwickeln, besteht kein Grund für einen ökologischen Fatalismus. Im Gegenteil. Bereits vor 37 Jahren formulierte der Philosoph Hans Jonas in Anlehnung an Immanuel Kant ein neues ethisches Prinzip, das auch als ökologischer Imperativ bezeichnet wird. Es lautet: »Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.« Das Anthropozän-Konzept könnte diesem Prinzip eine naturwissenschaftliche Grundlage geben. Denn es führt zahlreiche theoretische Ansätze zusammen, die in der Wissenschaft bislang eher getrennt behandelt wurden. Und es vermittelt uns ein Gefühl für die Dimensionen und Gefahren des globalen ökologischen Wandels, den hauptsächlich der Mensch zu verantworten hat.
Martin Koch
Geowissenschaftler fordern die Einführung einer neuen Epoche der Erdgeschichte. Die Diskussion darüber hat bisher aber zu keinem einheitlichen Ergebnis geführt. Von Martin Koch
Feuilleton
Wissen
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1014833.leben-wir-im-anthropozaen.html
Mineralöl hinter jedem Türchen?
Ein Lebensmittelskandal dürfte vielen Verbrauchern - besonders Eltern - die Weihnachtsfeiertage verhagelt haben. Seit Wochen hatte die Verbraucherschutzorganisation Foodwatch vor Mineralölrückständen in Schokoladenweihnachtskalendern gewarnt und eine Reaktion der Hersteller gefordert. Schuld ist nicht etwa mangelnde Sorgfalt bei der Schokoladenherstellung sondern die Farbe auf den kartonierten Außenseiten der besonders bei Kindern beliebten Vorweihnachtszeits-Überbrücker. Das verwendete Altpapier enthält oft Reste mineralölhaltiger Druckfarben. Laut dem Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) wurden in Kalendern der Hersteller Frankenwald Confiserie Bauer, Feodora, Windel sowie vom Discounter Netto geringe Mengen sogenannter aromatischer Mineralölkohlenwasserstoffe (MOAH) nachgewiesen. Laut LGL können diese potenziell krebserregend sein. Netto wehrte sich gegen die Veröffentlichung, scheiterte mit seinem Eilantrag aber vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München. Das Landesamt betonte auf seiner Internetseite, dass der Verzehr der Schokolade »keinen Anlass zur Besorgnis« gebe. Einen gesetzlichen Grenzwert für MOAH gibt es nicht. Trotzdem seien die Rückstände in Lebensmitteln generell »unerwünscht«. Foodwatch kritisierte, dass die Behörden den Verkauf der Kalender nicht stoppten. Inzwischen sei die Schokolade größtenteils verzehrt. Seit Jahren warnen Verbraucherschützer vor mit Mineralölbestandteilen belasteten Lebensmittelverpackungen. Egal ob Saftkartons oder Reiskartons - in vielen wurden MOAH-Rückstände gefunden, die in die Nahrung übergehen können. Erst Anfang Dezember nahm die Supermarktkette Real nach längerem Streit mit Foodwatch eine Sorte Reis aus den Regalen. Man werde das Produkt erst wieder verkaufen, »wenn uns von dem Lieferanten überzeugend nachgewiesen werden konnte, dass Maßnahmen eingeleitet wurden, um Mineralölgehalte auf ein Minimum zu reduzieren«, schrieb die Handelskette an Foodwatch. Das Unternehmen Rewe reagierte laut Aussage von Foodwatch inzwischen auch auf Vorwürfe und kündigte Änderungen bei einem vermutlich mit MOAH belasteten Weizengrieß an. Ab 2016 soll das Produkt in neuer Verpackung verkauft werden. Das gehe aus einer Antwort des Bioverbands Naturland hervor, unter dessen Siegel das Produkt bei Rewe verkauft wird. In Kosmetika wie Cremes, Lippenpflege oder Make-up findet sich Mineralöl als einer der Hauptbestandteile, die Inhaltslisten wimmeln nur so vor paraffinum liquidum, cera microcristallina oder petrolatum. Viele davon sind laut einem Test der Stiftung Warentest auch mit den potenziell gesundheitsschädlichen MOAH belastet. In einigen Produkten fanden die Tester bis zu 15 000 Mal so hohe Werte, wie in Lebensmitteln nachgewiesen wurden. Zu längerfristigen gesundheitlichen Folgen gibt es kaum Erkenntnisse, Verbraucherschützer vermuten jedoch, dass MOAH krebserregend und sogar erbgutverändernd wirken könnten. grg
Redaktion nd-aktuell.de
Discounter reagieren nur langsam auf Vorwürfe
Bayern, Verbraucherschutz
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt
https://www.nd-aktuell.de//artikel/995735.mineraloel-hinter-jedem-tuerchen.html
Revision notwendig
Nicht nur für die Angehörigen der NSU-Opfer ist es eine bittere Nachricht: Nach André Eminger kann in den nächsten Wochen wohl auch Ralf Wohlleben das Gefängnis verlassen. Mit seiner Freilassung befinden sich dann zwei der wichtigsten NSU-Unterstützer - und nach wie vor bekennende Neonazis - in Freiheit. Sie dürften dort ohne Weiteres an alte Tätigkeiten in der Szene anknüpfen, ihren Märtyrerstatus und Einfluss weiter vergrößern, andere Nazis ermutigen. Die Justiz hat bezüglich der Mitangeklagten ein fatales Urteil gefällt - was auch der Bundesanwaltschaft langsam dämmert. Diese hat im Fall von Eminger Revision beantragt - die künftige juristische Aufarbeitung des NSU wird von dem Ergebnis stark abhängen. Das Gericht akzeptierte überraschend Emingers Behauptung, er habe nichts von den Morden gewusst, als er den NSU unterstützte. Eine naive Bewertung, die Opferangehörige, Antifaschisten und selbst die Bundesanwaltschaft verstörte. Wenn man noch weitere Mittäter juristisch belangen will, muss das lasche Urteil gegen die »großen Fische« Eminger - und am besten auch gegen Wohlleben - fallen. Falls es bestehen bleibt, würde sich das übrige NSU-Netzwerk sicher fühlen. Dies darf nicht passieren. Für Gerechtigkeit braucht es aber mehr. Wie von den Angehörigen gefordert, muss eine Staatshaftungsklage das Versagen der Behörden klären.
Sebastian Bähr
Sebastian Bähr über die Gefahr der laschen NSU-Urteile
Neonazi, NSU, Rechtsradikalismus
Meinung
Kommentare NSU-Prozess
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1094585.nsu-prozess-revision-notwendig.html
»Afghanistan wird an die USA verkauft«
Die Berichte der bekannten afghanischen Frauenrechtlerin Malalai Joya und des Sprechers der afghanischen Solidaritätspartei, Said Mahmood Paiz, zeugen von großer Ernüchterung. »Die afghanische Bevölkerung wird auf der Petersberg-II-Konferenz nicht gehört«, erklärte Malalai Joya bei einem Pressegespräch. Das Treffen diene nur der Legitimation des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai. Auch Said Mahmood Paiz ist davon überzeugt, »dass sich dort nur Kriminelle mit ihren westlichen Unterstützern versammeln«. Den Afghanen biete diese Konferenz keine Hoffnung. Die beiden wünschen sich eine Tagesordnung, auf der Menschen- und Frauenrechte stehen und die zur Diskussion stellt, dass Afghanistan der größte Opiumproduzent der Welt ist. Doch das sei nicht das Ziel dieser Konferenz. Stattdessen werde Afghanistan an die US-Amerikaner verkauft. Wut und Unverständnis löst auch die Bereitschaft zu Verhandlungen mit Taliban und Warlords aus. Das sei »eine ungünstige Koalition«, und es sei besser, sich mit demokratischen Kräften zu verbünden. Malalai Joya unterrichtete als Aktivistin im Untergrund mehrere Jahre Mädchen. Sie gründete ein Waisen- und Krankenhaus. Die Solidaritätspartei, bestehend vor allem aus Bauern, aber auch Intellektuellen, organisiert Alphabetisierungskurse. Joya und Paiz kennen die Sorgen der »kleinen Leute« nur zu gut. Die Anwesenheit der ISAF-Truppen in den vergangenen Jahren habe nichts an der dramatischen Situation geändert. »Der weiblichen Bevölkerung geht es schlecht«, berichtet Malalai Joya, »in den Provinzen ist die Lage der Frauen dieselbe wie zu Taliban-Zeiten.« Die Grundbedürfnisse der Menschen seien nicht gedeckt und das Geld verschwinde in den Taschen der Karsai-Regierung, ergänzt Said Mahmood Paiz. Für Aktivisten und Oppositionelle ist die Lage schwierig. Sie werden in den Untergrund gedrängt oder riskieren ihr Leben. Malalai Joya hat das bereits am eigenen Leib erfahren - sie entging mehreren Anschlägen und ist Morddrohungen ausgesetzt. Die Solidaritätspartei organisiert immer wieder Demonstrationen und ist auch gegen die kürzlich veranstaltete Loja Dschirga auf die Straße gegangen, erzählt Said Mahmood Paiz. Um sich dagegen auszusprechen, dass Afghanistan an die USA verkauft wird. Als Vorbild diente der Widerstand in den arabischen Ländern. »Wir brauchen die Solidarität der Menschen, müssen Netzwerke aufbauen und politisches Bewusstsein schaffen.« Er ist davon überzeugt, dass die Forderung nach Demokratie und Unabhängigkeit den Zuspruch der afghanischen Bevölkerung findet. Das viel beschworene Vakuum beim Abzug der ISAF/NATO-Truppen sieht Malalai Joya nicht: »Der Bürgerkrieg, der befürchtet wird, wenn die Alliierten abziehen, kann nicht schlimmer sein als das, was wir jetzt haben.« Für die entwicklungspolitische Sprecherin der LINKE-Fraktion im Bundestag, Heike Hänsel, kommt eine Verlängerung des ISAF-Mandats nicht in Frage. Sie fordert einen sofortigen und vollständigen Abzug der Truppen. Einzig die finanzielle Hilfe von jährlich 430 Millionen Euro müsse bestehen bleiben. Dabei schwebt ihr eine Unterstützung auf Graswurzelebene vor, in Zusammenarbeit mit regierungsunabhängigen afghanischen Organisationen.
Antje Stiebitz
Aus Sicht der deutschen und der afghanischen Friedensbewegung kommen bei der Bonner »Petersberg-II-Konferenz« zu wenige zivile Stimmen zu Wort. Die LINKE-Bundestagsfraktion lud anlässlich der heute beginnenden Konferenz zwei prominente afghanische Kritiker der Karsai-Regierung und des NATO-Krieges nach Berlin, um ihre Meinung zu hören.
Afghanistan-Konferenz, ISAF, LINKE, NATO
Politik & Ökonomie
Politik
https://www.nd-aktuell.de//artikel/212575.afghanistan-wird-an-die-usa-verkauft.html
Der Himmel ist jetzt ein Aschehaufen
Der Himmel wurde nicht nur im Schlager und in der Popmusik hundertfach besungen, die Frage nach dem Jenseits zu unserem Diesseits bewegt Menschen schon seit Jahrtausenden. Ob es ihn nun gibt oder nicht - das erfährt keiner zu Lebzeiten. Umso größer scheint die Bedeutung eines sogenannten »Himmels auf Erden«, der entworfen, angestrebt, abgesteckt und dem beizeiten auch wieder abgeschworen wird. Dass ausgerechnet die Schülerin Kojima ein solches Paradies gefunden haben möchte, das erstaunt den namenlosen Ich-Erzähler des neuen Romans von Mieko Kawakami. Kojima ist klein, ihre Kleidung abgetragen, ihre Haare sind strubbelig und sie umgibt ein säuerliches Odeur. Kojima wird täglich aufgezogen, beschimpft und auch körperlich attackiert: »Du stinkst! Du bist eklig!« Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist und versucht, es täglich herauszufinden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen. dasnd.de/hohmann Sie teilt somit das Schicksal des Erzählers, dessen schielendes Auge, das immer wieder den Weg nach außen sucht, Grund für regelmäßige Misshandlungen ist. Seine Mitschüler, die alle angeheizt werden von dem charismatischen, erfolgreichen und gut aussehenden Ninomiya, schlagen und treten nicht bloß aus Affekt; sie sind geschickt, machen Pläne. Spuren als Beweise bleiben nie zurück. Die plötzlich auftauchenden Nachrichten an ihn, kleine Briefe auf seinem Tisch, können also nur ein Missverständnis oder gar eine Falle sein. Eine neue Methode der psychischen Qual? Als er in einer solchen handschriftlichen Note um ein Treffen gebeten wird, zögert er: »In der Stadt, in der ich wohne, gibt es eine mehrere Hundert Meter lange Allee. Durch die gehe ich zur Schule. Ungefähr auf halber Höhe führt ein Weg zu einer Art Spielplatz, Park wäre zu viel gesagt. Das war der Treffpunkt.« »Heaven« spielt nicht wie so viele japanische Romane in den letzten Jahren in den großen Zentren Tokio oder Osaka, sondern in einer der unzähligen kleinen Städte des Landes. Da, wo Kojima und der Erzähler wohnen, gibt es anscheinend nur eine Schule, denn ein Abgang von ebenjener, um sich der Schläge zu entziehen, käme einem Abbruch gleich. Die Enge dieser Stadt wird im Verlauf immer wieder die Angst und die Not des Erzählers potenzieren. Mieko Kawakami wählt diesen Spielort für ihren Roman bewusst: Nicht etwa die japanischen Metropolen mit ihrem entfesselten Wachstum und Fortschritt machen die Leute fertig, nein, die meist traditionsbewussteren kleinen Orte sind der wahre Hort des Vulgären und der Menschenverachtung. Wo Einzelschicksale nichts wert sind, können auch Schülerbanden frei flottieren. Doch an diesem einen Nachmittag warten keine Peiniger und auch kein Hiebe mit einem Lineal, sondern nur Kojima. Es entwickelt sich eine Freundschaft, eine Schicksalsgemeinschaft, ein Leidensgenossentum, das bald seinen Höhepunkt erleben wird - wenn sie zusammen mit der Bahn in die nächstgrößere Stadt fahren, dort einen ausgelassenen Nachmittag erleben und ins Museum gehen. Hier hängt auch »Heaven«, ein Kunstwerk, das Kojima sehr viel bedeutet. Und dem Roman seinen Namen gibt. Ein Paradies auf Erden. Mieko Kawakami hat hierzulande gerade erst 2020 mit »Brüste und Eier« reüssiert und gilt mit Sakaya Murata als Nachfolgegeneration zu solchen Autorinnen wie Banana Yoshimoto oder Yoko Ogawa. Murata und Kawakami eint, dass sie moderne Erkundungsfahrten in eine Gesellschaft tätigen, die Außenseiter*innen, Menschen, die aus den vorbestimmten Bahnen der immer noch sehr konservativen Gesellschaft ausscheren, konsequent ausschließt und schikaniert. Für »Heaven« stellt Kawakami zwei der harmlosesten Figuren der jüngeren Literaturgeschichte ins Schaufenster. Beide können - und wollen - sich nicht zur Wehr setzen. Für Kojima ist der Fall klar: Wenn wir uns nicht wehren, sind wir die wirklich Starken. Unsere Leidensfähigkeit wird sie schon das Fürchten lehren. Für den Erzähler endet diese Fehleinschätzung bloß im Krankenhaus. Allein uns Leser*innen schlottern die Knie, wenn der Ich-Erzähler uns all die Gemeinheiten und Qualen des Tages aufzählt. Er versucht hingegen, betont neutral oder jugendlich-gelassen zu bleiben. Die Sprache macht sich gar nicht erst die Mühe, klinisch, genau oder detailliert zu sein. Warum sich eigentlich wehren? Die Brutalität der Situation und der fehlende Ausweg verdienen keinen Schmuck. Interessanterweise folgen diesem Credo auch die evozierten Bilder, die abgeschmackt, manchmal sogar sehr blass sind: »Mein Leben glich dem stillen Leben eines Möbelstücks« oder: »Das Vordergebäude sah aus wie das riesige Gerippe eines Tiers.« Wenn man dies positiv auslegt, darf man gerne behaupten, dass Kawakami nicht daran gelegen war, einen Antihelden zu erschaffen. Der Erzähler ist kein eloquenter Dichter, kein Ausnahmetalent, sondern einer von vielen Tausend, die ein ähnliches Schicksal teilen. Die auch mal voll traumatisiert auf dem Asphalt der einen langen Allee der Stadt in die Hose pinkeln. Klaustrophobisch geht es nur in einer Passage zu, die Enge der Kleinstadt ist dennoch in jedem Moment zu spüren. So stolpert der Erzähler eines Tages auch über einen seiner Peiniger. Die interessanteste Figur: auch so ein Adonis mit guten Noten, ein widerlicher Libertärer. Er sieht sich dem Indeterminismus verpflichtet. Die täglichen Schmerzen sind nämlich gar nicht kausal (das schielende Auge), sondern nur durch den Zufall begründet. Der Erzähler war initial am falschen Ort zur falschen Zeit. Alles andere sei egal - und laufe halt immer weiter, bis es das nicht mehr tue. Dass ausgerechnet eine solche Figur, die man normalerweise in Houllebecq-Romanen verorten würde, den Roman vor dem Los eines »Weird Boy meets Weird Girl«-Romans rettet, ist auch nur eine weitere Besonderheit eines indifferenten und seltsamen Stücks Literatur. Mieko Kawakami: Heaven. A. d. Japan. v. Katja Busson. Dumont, 192 S., geb., 22 €.
Lars Fleischmann
Wo ist der Himmel? Das ausgerechnet die Mitschülerin Kojima ein solches Paradies gefunden haben will, erstaunt den Ich-Erzähler in »Heaven«, dem neuen Roman von Mieko Kawakami. Sie ist eine Außenseiterin wie er und es umgibt sie ein säuerliches Odeur.
Außenseiter, Japan, Klaustrophobie, Paradies
Feuilleton
Kultur Außenseiter
2022-01-26T16:48:24+0100
2022-01-26T16:48:24+0100
2023-01-20T19:28:05+0100
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1160782.der-himmel-ist-jetzt-ein-aschehaufen.html
In Zahlen
Fußball: Frauen, WM in Frankreich, Gruppe C: Italien* - Brasilien* 0:1 (0:0), Jamaika - Australien* 1:4 (0:2), *im Achtelfinale. Männer, Copa América in Brasilien, Gruppe A: Bolivien - Peru 1:3 (1:1), Brasilien - Venezuela 0:0. Gold Cup in den USA, Gruppe D: Panama - Trinidad und Tobago 2:0 (0:0), USA - Guyana 4:0 (1:0). U21-EM in Italien, Gruppe C: Rumänien - Kroatien 4:1 (2:1), England - Frankreich 1:2 (0:0). Fechten: EM in Düsseldorf, Männer, Degen: 1. Freilich (Israel), ... 25. Rein (Heidenheim). Frauen, Florett: 1. Di Francisca (Italien), ... 6. Ebert (Werbach).
Redaktion nd-aktuell.de
Brasilien, Frankreich, Italien, USA
Sport
Sport
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1121236.in-zahlen.html
Pandemie bedroht Randgruppe
In Irland kündigt sich eine vierte Coronawelle an. Seit Anfang Juli steigen wieder die Infektionszahlen, unter den Neuinfizierten herrscht die ansteckendere Deltavariante vor. Laut einer Prognose des Gesundheitsministeriums könnte es im September täglich 1500 bis 2000 neue Fälle geben. Der die Regierung beratende irische Chef-Mediziner Tony Holohan erklärte bei der Veröffentlichung des Berichts: »Wir stehen am Beginn der vierten Welle, aufhalten können wir sie nicht mehr.« Besonders von der Pandemie betroffen ist die Minderheit des »fahrenden Volkes«. In Irland wird diese Gruppe Traveller genannt. Laut einer Studie, die von ihrer lokalen Organisation Galway Traveller Movement (GTM) in Auftrag gegeben wurde, haben sich allein in der westlichen Grafschaft Galway im vergangenen Jahr etwa 1000 Traveller mit Corona infiziert. Im aktuellen Zensus von 2016 gaben in der Grafschaft 2647 Personen an, Teil der Traveller-Gemeinschaft zu sein. Somit war mehr als ein Drittel der Minderheit in Galway von Covid betroffen. Landesweit trifft das besonders auf die dritte Coronawelle zu, die in Irland ab Anfang Januar einsetzte. In dieser Zeit machten Traveller ein Drittel aller Covid-Intensivpatienten aus. Dabei zählen sich in der Republik Irland nur rund 33 000 Personen, also 0,7 Prozent der Bevölkerung, zur Traveller-Gemeinschaft. Teller und Rand ist der neue ndPodcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch. Die Traveller gehören zum ärmsten Teil der Bevölkerung und leben oft in Wohnwagensiedlungen an Stadträndern. Die Pandemie verschärft ihre Notlage noch weiter. Aufgrund hoher Arbeitslosigkeit und häufiger Tätigkeiten im informellen Sektor sind die Traveller oft nicht ausreichend gesundheitsversichert und können sich notwendige Behandlungen während der Pandemie nicht leisten. Zumeist leben mehrere Generationen auf engstem Raum zusammen, was Selbstisolation bei Infektionen unmöglich macht. In vielen Haushalten fehlt der Zugang zu Trinkwasser und Elektrizität. Die Pandemie verschärfte auch die Ungleichheit im Bildungsbereich. Die Studie zeigt, dass während der ersten Welle im Frühjahr 2020 nur 41 Prozent der Traveller regelmäßigen Zugang zu digitalen Endgeräten und zum Internet hatten. Mehrere Familien gaben an, dass sich oft bis zu sieben Kinder ein Mobiltelefon teilten, mit dem sie ihre Schulaufgaben machen mussten. Die Traveller entstanden als Volksgruppe während der Kolonialisierung Irlands, als durch den englischen Siedlerkolonialismus im 17. Jahrhundert Teile der Bevölkerung von ihren Ländereien vertrieben wurden und ein nomadisches Leben aufnahmen. Nach der Unabhängigkeit 1921 setzte staatliche Diskriminierung ein. 63 Prozent der Befragten gaben an, regelmäßig soziale Ausgrenzung und Rassismus zu erfahren. Derweil geht es mit der Impfkampagne im Land gut voran. Etwa 42 Prozent der erwachsenen Bevölkerung sind bereits vollständig gegen Covid geimpft. Seit der vergangenen Woche werden Personen unter 40 Jahren mit Astra-Zeneca geimpft, und die Altersgruppe zwischen 32 und 35 kann sich für eine Impfung bereits registrieren. Um die Impfrate rasch in die Höhe zu treiben, kaufte Irland Anfang Juli, ausgerechnet von Rumänien, eine Million Impfdosen ein. In anderen Bereichen ist die Regierung allerdings weniger zielstrebig. Die geplanten Öffnungen wurden vom 5. auf den 29. Juli verschoben. Viele Stadtteile der Hauptstadt Dublin gleichen immer noch einer Geisterstadt. Die meisten Geschäfte haben geschlossen, in Innenräumen von Pubs, Kaffeehäusern und Restaurants darf nicht konsumiert werden. Das liegt daran, dass Irland weder für die Einreise ins Land noch im Land selbst das EU-Impfzertifikat anerkennt. Für die eigenen Bürger soll es erst ab nächster Woche ausgestellt werden. Antigentests werden nicht verwendet und PCR-Tests von der Gesundheitskasse nicht bezahlt. Entsprechend stark sind die Auswirkungen der Pandemie auf die Wirtschaft und das soziale Leben. Laut dem nationalen Statistikamt sank die coronabedingte Arbeitslosigkeit zwar im Jahresvergleich, liegt aber immer noch bei hohen 18,3 Prozent.
Dieter Reinisch
In Irland stellt die Corona-Pandemie die Minderheit des »fahrenden Volkes« vor große Probleme. Die Traveller gehören zum ärmsten Teil der Bevölkerung und leben oft in Wohnwagensiedlungen.
Impfung, Irland
Politik & Ökonomie
Politik Irland
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1154477.pandemie-bedroht-randgruppe.html
Drei Wege zum »Grünen Geld«
Spätestens seit die Deutsche Bank AG die Postbank mit ihren über zehn Millionen Kunden geschluckt hat, stellen sich viele die Frage, wo sie ihr Geld noch mit gutem Gewissen sparen können? Eine Alternative ist Deutschlands »grüner« Bankenmarkt. Und der wird sogar immer bunter. Mit der niederländischen Triodos versucht gerade keine Geringere als »Europas führende Nachhaltigkeitsbank« im vergleichsweise großen grünen Markt in Deutschland eine Lücke zu entdecken. Jeder Sparer könne viel ausrichten mit seinem Geld, sind die Triodos-Banker überzeugt von sich. So könnten deutsche »Spargroschen« die Umwelt beleben oder eine schonend produzierende Wirtschaft fördern. Und zum guten Gewissen gibt es obendrauf für den Anleger noch eine gute Rendite, verspricht die Reklame der Triodos-Niederlassung in Frankfurt am Main. Aber was ist wirklich dran an solchen Versprechungen? Die Expansion der Holländer ins östliche Nachbarland begann vor gut drei Jahren, mitten in der Krise. Was für eine Alternativbank kein schlechter Zeitpunkt sein muss. »Ethisch-ökologische Banken zählen weltweit zu den Gewinnern der Finanzkrise«, hat Anno Fricke, Experte der Stiftung Warentest und Ratgeberautor (»Grüne Geldanlage«), festgestellt. Wegen des Vertrauens, das die Etablierten verspielt haben. In Deutschland sind mehr als ein Dutzend Banken aktiv, die ihre Geschäfte mit einem ökologischen, sozialen oder ethischen Anspruch verknüpfen. Beispielsweise der Oldie unter den Alternativen mit anthroposophischen Wurzeln, die GLS Bank, die 2003 die legendäre Ökobank übernahm und damit ein linkes Vorzeigeprojekt vor dem vollständigen Zusammenbruch rettete. Da sind die eher kommerzielle Umweltbank, die ostdeutsche Ethikbank, ein Direktbank-Ableger der Volksbank Eisenberg, und die meist größeren Kirchenbanken, die sich überwiegend an Christen einer bestimmten Konfession wenden. In diesen Kreis versucht seit 2009 auch die niederländische Triodos Bank einzudringen. Noch hat sie bundesweit erst einige tausend Kunden, doch während dieses Herbstes gelang mit der Einführung eines Girokontos der Aufstieg in die erste Grün-Liga, jedenfalls, was das Produktangebot betrifft. An Triodos sehen wir beispielhaft, wie unterschiedlich Alternative sein können. Triodos ist eine Aktiengesellschaft. Triodos macht Geschäfte in fünf europäischen Ländern - neben den Niederlanden sind das Belgien, Großbritannien, Spanien und seit Kurzem nun auch Deutschland. Und Triodos greift nicht auf außenstehende, auf Umweltthemen spezialisierte Ratingagenturen zurück. Man unterhält stattdessen eine eigene Researchabteilung, um Marktteilnehmer und mögliche Anlagefelder zu beobachten. Seiner internationalen Ausrichtung folgend, legt Triodos die Spargelder seiner Kunden grenzüberschreitend an. Das könne durchaus umweltfreundlich sein, versichert eine Sprecherin von Triodos-Deutschland. Schließlich lasse sich im spanischen Zentralland mehr Sonnenenergie erzeugen als im Ruhrgebiet, und der Wind an der belgischen Nordseeküste wehe kräftiger als an der deutschen Ostsee. Die Triodos-Idee erinnert andererseits an die Idee der »optimalen Kapitalallokation« - das Kapital wird global dort angelegt, wo es den größten Nutzen, größten Profit (für wenige) verspricht -, wie sie wirtschaftsliberale Ökonomen und private Geldgiganten predigen. Tatsächlich ist Triodos wohl diejenige unter den Grünen, die am stärksten auf privates Unternehmertum setzt. »Wir wollen nicht nur eine Bank für Weltverbesserer sein«, sagte der Vorstandsvorsitzende Peter Blom in einem Interview, »sondern eine Bank für alle, die einen Schritt in Richtung Nachhaltigkeit gehen wollen.« Als einzige Nachhaltigkeitsbank biete man sowohl Unternehmenskredite als auch Anlagechancen in zahlreichen europäischen Ländern. Blom sieht seine Bank sogar als weltweit führend im Öko-Bankbusiness. Mit 200 000 Kunden allein in den Niederlanden habe sie so viele Kunden wie alle Alternativen in Deutschland zusammen. Zumindest die Kirchenbanken dürfte Blom dabei vergessen haben. Nachhaltigkeit schreiben sich mittlerweile fast alle Kreditinstitute, auch konventionelle, auf ihre Reklamefahnen für die Kundenakquise. Ein bisschen mehr darf es bei Triodos schon sein. Ihr Name ist dem griechischen »drei Schritte« entlehnt: Sie finanziert Unternehmen, die ökologisch, sozial oder - und das ist ungewöhnlich in der Grün-Szene - kulturell engagiert sind. Hervorgegangen ist die Bank aus einem alternativen Zentrum in Amsterdam mit Buchladen, Biolebensmitteln und Café. Als die Aktivisten »ihr« Haus kaufen wollten, so die Legende, fand sich keine Bank bereit, einen Kredit zu geben. Gründer und Chef Peter Blom machte aus der Not eine Tugend und gründete 1980 die Triodos Bank N.V. Mittlerweile herrscht sie über eine Bilanz von rund fünf Milliarden Euro. Was imposant klingt, aber gerade mal dem Geschäftsvolumen einer mittelgroßen Sparkasse entspricht. Erstaunlicherweise reichte das aus, um den früheren Finanzvorstand von Shell, Margot Scheltema, als Vizepräsidentin zu gewinnen. Im April letzten Jahres wurde sie in den Verwaltungsrat des Schweizer Pharmakonzerns Lonza berufen. »Wie grün ist das denn?«, fragen nicht nur Skeptiker. »Mit meinem Geld bewege ich was«, wirbt Triodos nun auch um Vertrauen unter gewöhnlichen Sparern. Mit deren Einlagen werden 2000 Projekte in fünf Ländern mit Krediten versorgt: Läden für fairen Handel, Biobauernhöfe, Altenheime, Windparks, Meditationszentren. Unternehmen, die wohl allesamt auch von normalen Banken und Sparkassen Kredit bekämen. Ob das reicht, um Triodos-Kunde zu werden? »Die Antwort muss jeder Anleger für sich treffen«, meint Nils Nauhauser, Finanzexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Schließlich habe jeder Mensch seine eigene Ethik. Hermannus Pfeiffer
Redaktion nd-aktuell.de
Für kritische Bankkunden gibt es neben Sparkassen und Genossenschaftsbanken durchaus noch weitere Alternativen zu den privaten Großbanken: sogenannte grüne Banken.
Ethikbank, Geldanlage, Ökologie, Umweltschutz
Ratgeber
https://www.nd-aktuell.de//artikel/809315.drei-wege-zum-gruenen-geld.html?pk_campaign=similar-articles&pk_kwd=older-articles
Ungarns Ministerpräsident Orban hat Reise nach München abgesagt
München. Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban hat nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur eine Reise zum EM-Spiel zwischen Deutschland und Ungarn am (heutigen) Mittwoch abgesagt. Offizielle Informationen dazu lagen zunächst nicht vor. Vor dem abschließenden Gruppenspiel hatte es heftige Debatten über das UEFA-Verbot für eine Beleuchtung der Münchner EM-Arena in Regenbogenfarben gegeben. Die Europäische Fußball-Union UEFA hatte einen Antrag von Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) abgelehnt. Sie sei »aufgrund ihrer Statuten eine politisch und religiös neutrale Organisation. Angesichts des politischen Kontextes dieser speziellen Anfrage - eine Botschaft, die auf eine Entscheidung des ungarischen Parlaments abzielt - muss die UEFA diese Anfrage ablehnen«, teilte sie mit. Rund um das dritte EM-Vorrundenspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft sind an diesem Mittwoch in München und ganz Bayern Protestaktionen gegen die UEFA geplant. Weil der Kontinentalverband verboten hatte, die Münchner Arena als Zeichen gegen die schwulen- und lesbenfeindliche Politik in Ungarn in Regenbogenfarben zu beleuchten, war die Empörung groß im Freistaat. Vor der Partie soll es in der Landeshauptstadt und vor der Arena Aktionen etwa von CSD München und Amnesty International geben. Darüber hinaus werden in unmittelbarer Nähe des Stadions das große Windrad und auch der Olympiaturm bunt angestrahlt. In Augsburg soll - wie auch in anderen Städten deutschlandweit - das Bundesligastadion ebenfalls in Regenbogenfarben gehüllt werden. Hintergrund des geplanten Protestes ist ein Gesetz, das die Informationsrechte von Jugendlichen in Hinblick auf Homosexualität und Transsexualität in Ungarn einschränkt und in der vergangenen Woche vom ungarischen Parlament gebilligt wurde. Das Gesetz gilt als besonderes Anliegen von Ministerpräsident Orban. Dazu sagte Ungarns Regierungschef der dpa: »Im kommunistischen Ungarn wurden homosexuelle Menschen verfolgt. Heute garantiert der Staat nicht nur die Rechte von Homosexuellen, sondern er schützt sie aktiv. Die Freiheit des Einzelnen ist das höchste Gut.« Jeder Mensch müsse sich »fraglos« frei für seinen Lebensweg entscheiden dürfen. Die Aufklärung heranwachsender Kinder gehöre aber ins Elternhaus. »Wir schützen diese Aufgabe der Eltern«, sagte Orban. Grünen-Co-Chef Robert Habeck hat die Entscheidung der UEFA gegen eine Beleuchtung der Allianz-Arena in Regenbogenfarben beim EU-Länderspiel Deutschland gegen Ungarn kritisiert. Diese sei »falsch, feige geradezu«, sagt er am Dienstagabend der Wochenzeitung »Die Zeit«. Auch Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth hat die Entscheidung der Europäischen Fußball-Union (UEFA) in der Münchner Regenbogen-Frage scharf kritisiert. »Schon die Ermittlungen gegen Manuel Neuer zum Tragen einer Regenbogenbinde waren absurd, mit dieser Entscheidung verliert die UEFA nun jegliche Glaubwürdigkeit«, sagte Roth der Augsburger Allgemeinen. Das Verhalten des Verbandes sei »inakzeptabel«. Mit der Entscheidung maße sich die UEFA an, »in der Manier von autokratischen Machthabern zu definieren, was die gesellschaftspolitische Rolle von Sport und Sportveranstaltungen ist«, sagte Roth. Der Linken-Politiker Lorenz Gösta Beutin äußerte sich auf dem Kurznachrichtendienst Twitter ironisch zur Flaggenkontroverse: »Ich find's toll, wie wir alle für Pride einstehen, gegen die Profitmaschine UEFA. Können wir mit derselben Energie für einen Boykott der Weltmeisterschaft in Katar eintreten, wo seit Vergabe 6500 Sklavenarbeiter gestorben sind und Homosexualität als «Sodomie» unter Strafe steht?« Der Bundestagsabgeordnete zeigte sich erfreut über den »Aufschrei« über die Politik Ungarns, erinnerte aber auch daran, dass die »CSU mit Orban kuschelt«. Außerdem warf er der UEFA vor, selektiv unpolitisch zu sein: »Gazprom, Qatar Airlines, VW killen das Klima. Tiktok zensiert für China. Coca Cola basht Gewerkschaften«, so die Sponsoren-Aufzählung des Linken-Politikers. Lesen Sie auch: Die UEFA schießt ein Eigentor - Birthe Berghöfer über den hochpolitischen Versuch der UEFA, unpolitisch zu sein Der Vorsitzende der Deutsch-Ungarischen Gesellschaft, der FDP-Politiker Gerhard Papke, kritisiert in dem Streit um die von der UEFA untersagte Beleuchtung des Münchner EM-Stadions in Regenbogenfarben eine einseitige Stimmungsmache gegen Ungarn. »Das Ganze war nicht geplant als allgemeine Aktion für Diversität und Liberalität, sondern als politische Demonstration gegen Ungarn«, sagte Papke in einem Interview mit dem Tagesspiegel. »Und damit hätte man die Ungarn vor der Weltöffentlichkeit entwürdigt und bloßgestellt. Es kann auch nicht sein, dass jetzt alle Leute ständig vor der Regenbogenflagge salutieren müssen«, so der FDP-Politiker. Agenturen/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Neuigkeiten im Flaggenskandal: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban kommt nicht nach München zum EM-Spiel, trotz UEFA-Verbot wird es einige bunte Flaggen in Stadionnähe geben und ein FDP-Politiker warnt vor der Pflicht zum Salutieren vor der Regenbogenflagge.
LGBTQIA, München, Regenbogen, UEFA, Ungarn
Politik & Ökonomie
Politik Regenbogen-Fahne
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1153626.ungarns-ministerpraesident-orban-hat-reise-nach-muenchen-abgesagt.html
Muskelspiele in Nahost
Manöver sind nicht selten die Vorboten von Kriegen. Bisweilen gingen Übungen sogar nahtlos in den Ernstfall über. Auch im Falle der derzeit stattfindenden militärstrategischen Nabelschau Israels und der USA ist manches denkbar, zumal sie sich über mehrere Wochen erstrecken soll. Allerdings dürften die Intentionen der beiden beteiligten Staaten nicht deckungsgleich sein. Israels Ministerpräsident Netanjahu möchte Stärke demon᠆strieren - gegenüber der angeblichen iranischen Bedrohung, aber genauso gegenüber dem eigenen Wahlvolk, das im nächsten Jahr an die Urne gerufen wird. »Stärke demonstrieren« will wenige Wochen vor der angestrebten Wiederwahl gewiss auch Obama; aber die Betonung liegt bei ihm wohl klar auf dem zweiten Wort. Den Bellizisten, zu Hause wie in Israel, will er etwas die Spitze - gegen sich - abbrechen und es im Nahen Osten zumindest jetzt beim Zeigen der Muskeln belassen. Eines ist das Manöver garantiert nicht, nämlich »keine Reaktion auf ein bestimmtes Ereignis in der Region«. Aber genau mit dieser merkwürdigen Sentenz glaubt das Pentagon die Weltöffentlichkeit veralbern zu müssen. Es wirkte auch wie eine Steilvorlage für Obamas Kontrahenten Romney für das letzte Nacht abgelaufene außenpolitische Duell beider Kandidaten; gebärdete sich der Herausforderer doch zuletzt, als könne er es kaum abwarten, an Israels Seite gegen Teheran zu ziehen. Aber auch das ist wohl zunächst nur als Manöver zu werten.
Roland Etzel
Roland Etzel über Israel und die angebliche iranische Bedrohung
Iran, Israel, Nahost
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Washington will die ganze Hand
Es ist schwer zu sagen, ob sich zuerst die US-indischen Beziehungen verbesserten oder sich die chinesisch-indischen verschlechterten. Beides bedingt sich: Während Washington und Delhi ihre militärische Zusammenarbeit seit der Regierungsübernahme durch die Hindunationalisten 2014 stetig entwickelten (bei den Nuklearwaffen kooperieren beide Seiten bereits seit 2008), zerbröselte unter Premierminister Modi und Präsident Xi das Verhältnis zwischen Peking und Delhi kontinuierlich. Mit tödlichen Folgen: Erstmals seit Jahren starben in diesem Sommer wieder indische und chinesische Soldaten bei Grenzstreitereien im Himalaya. Allerdings sollte Delhi seinen neuen Partner nicht unterschätzen: Mit ein paar einzelnen Rüstungskooperationen, wie der Bereitstellung von Satellitenaufnahmen, wird sich Washington nicht zufriedengeben. Indien will die militärische Zusammenarbeit zwar als begrenzt verstanden wissen, doch für das Weiße Haus ist sie Teil seiner gegen China gerichteten Strategie. Die USA sind dabei, die Allianz gegen China auszubauen und die Volksrepublik zu umzingeln. Dazu passt auch das Datum der neuen Vereinbarung mit Indien: Nur eine Woche vor den US-Wahlen werden Tatsachen geschaffen, die auch bei einem Regierungswechsel bestehen bleiben.
Alexander Isele
Alexander Isele über die militärische Kooperation der USA mit Indien
China, Indien, USA
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Kommentare USA und Indien
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1357 Seiten Staatsversagen
Berlin (nd). Manchmal offenbart ein Stapel Akten seine Brisanz erst auf den zweiten Blick. Dieser hier lässt schon auf den ersten ein bedrückendes Gewicht erahnen. Er ist das Ergebnis von anderthalb Jahren Arbeit des sogenannten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag; viele zweite und dritte Blicke in die oft nur zögerlich übermittelten Akten und viele Nachfragen waren nötig, um ihn zusammenzustellen. Auch wenn der Ausschussvorsitzende, Sebastian Edathy (SPD), davon spricht, dass der nächste Bundestag den offen gebliebenen Fragen nachgehen müsse, ist vorerst eine offizielle Bilanz gezogen. Und diese ist verheerend. Was da auf 1357 Seiten niedergeschrieben ist und am Donnerstag an Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) übergeben wurde, dokumentiert Fehler und systematis... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Manchmal offenbart ein Stapel Akten seine Brisanz erst auf den zweiten Blick. Dieser hier lässt schon auf den ersten ein bedrückendes Gewicht erahnen. Er ist das Ergebnis von anderthalb Jahren Arbeit des sogenannten NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag.
NSU, NSU-Prozess, Untersuchungsausschuss, Verfassungsschutz
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Trump träumt von All-Macht
Eigentlich sollte es beim Treffen des Nationalen Raumfahrtrats im Weißen Haus »nur« um Weltraummüll gehen. Am Ende forderte Donald Trump erneut die »Space Force«. Dass US-Präsidenten anfällig für solche All-Machtfantasien sind, weiß man seit Ronald Reagan. Dessen Star-Wars-Vision blieb in der Umsetzung zwar Welten entfernt von der Filmfiktion, doch einzelne Elemente gehören seitdem zum militärischen Programm der USA. Was Trump aber zu wenig ist. Zumal zuletzt auch verstärkte Anstrengungen aus China und Russland vermeldet wurden - die sich wiederum auf Pentagon-Pläne beziehen. Das nennt man dann wohl kosmisches Wettrüsten. Space Force für Sternenkrieger Sternenkrieger Trump will die »Verteidigung im Weltraum« neben Luftwaffe, Heer und Marine zu einem gesonderten Teil der US- Streitkräfte machen. »Wir werden eine Air Force haben und wir werden eine Space Force haben, eigenständig, aber gleichwertig«, so der Präsident am Montag (Ortszeit) in Washington. Bislang ist die Air Force für die meisten militärischen Weltraumprojekte verantwortlich. Wenn es aber darum gehe, »Amerika zu verteidigen, reicht es nicht, nur eine amerikanische Präsenz im All zu haben«. Trump will dort »amerikanische Dominanz«. Man werde dort »immer Erster« sein und dürfe sich nicht von Russland und China überholen lassen. Deshalb habe er das Pentagon beauftragt, mit den Vorbereitungen für eine Weltraumstreitmacht zu beginnen. Bislang hat seine Fantasie weder dort noch im Kongress große Begeisterung ausgelöst. Nun wollen sich Pentagon und Parlament gemeinsam damit befassen - ein »Abwägungsprozess mit zahlreichen Beteiligten«, wie es hieß. Der Präsident ist in den USA zwar auch Oberbefehlshaber, aber neue Teilstreitkräfte kann er nicht par ordre du mufti etablieren. Er benötigt die Zustimmung des Kongresses. Der debattiert schon seit Jahren über dieses Thema, will eine solche »Space Force« aber der US-Luftwaffe angliedern. Der Weltraumvertrag Trump hatte bereits im Vorjahr verkündet, dass er zudem wieder Astronauten zum Mond und später zum Mars schicken wolle. Die NASA arbeitet inzwischen an Plänen für einen bemannten Außenposten auf dem Erdtrabanten. Doch seit dem Ende ihres Shuttleprogramms vor sieben Jahren braucht die Raumfahrtbehörde schon Privatfirmen, um Fracht zur Internationalen Raumstation ISS zu bringen. In der am Montag nach dem Treffen des National Space Council veröffentlichten Direktive beließ es der US-Präsident dann auch erst einmal bei kleineren Schritten. So wird die Absicht der USA verkündet, künftig eine führende Rolle bei der Beseitigung von Weltraummüll und bei der Organisation des zunehmenden Verkehrs im All zu spielen. Ob und wann Weltraum-Streitkräfte Realität werden können, steht noch in den Sternen. Auf Erden gibt es seit 1967 den Weltraumvertrag, der die Okkupation von Himmelskörpern durch einzelne Staaten sowie Manöver, Stützpunkte und Waffentests auf dem Mond ebenso verbietet wie die Stationierung von Massenvernichtungswaffen im Orbit in einem Radius von mehreren 10 000 Kilometern um die Erde. Allerdings: Andere Waffen sind durchaus erlaubt, und Raketentechnologie für eine Reise ins All ist ohne Rüstungshintergrund in dieser Welt nicht möglich. Und eine Laserkanone, die irgendwann einmal Weltraumschrott schmelzen lassen soll, könnte natürlich auch noch ganz andere Ziele ins Visier nehmen.
Olaf Standke
US-Präsident strebt nach Weltraumstreitkräften
Donald Trump, Raumfahrt, USA, Weltraum
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Oprah for President
Kaum eine Gestalt des öffentlichen Lebens in den USA wird so sehr idealisiert wie sie. Oprah Winfrey: Eine Talkmasterin, die gefeiert wird wie eine Predigerin. Nach ihrem Auftritt bei der Golden-Globe-Preisverleihung für Kinofilme und TV-Sendungen wird jetzt sogar über ihre Kandidatur bei der US-Präsidentschaftswahl 2020 spekuliert. Dabei hat die 63-Jährige selbst nie über solche Ambitionen gesprochen. Doch hat Winfrey mit ihrer Rede offenbar einen Nerv getroffen. Als erste schwarze Frau mit dem Cecil-B.-DeMille-Preis für ihr Lebenswerk gekürt, widmete sie sich in ihrer Ansprache dem Thema des Abends: sexuelle Belästigung. Schon trugen alle namhaften Gäste des Abends auf Initiative der Kampagne »Time’s Up« ausschließlich schwarz, als Zeichen der Solidarität mit den Opfern sexueller Gewalt. Winfrey erinnerte in ihrer Rede an die Frauen, die jahrelange sexuelle Gewalt ertragen mussten, weil sie »Kinder zu ernähren, Rechnungen zu Zahlen und Träume zu verfolgen« hatten. Zu lange sei Frauen nicht zugehört oder geglaubt worden, wenn sie es wagten, gegen die Macht der Männer aufzubegehren. Doch die Zeit dieser Männer sei abgelaufen. Für diesen Satz, der an dem Abend nicht nur einmal fiel, erntete Winfrey stehende Ovationen. Es müsse dafür gekämpft werden, sagte sie, dass niemals wieder eine Frau sagen müsse: »me too« - ich auch. Mit dieser Ansprache löste Winfrey beim US-amerikanischen Publikum derartige Begeisterung aus, dass viele sie sogleich zu ihrer Wunschkandidatin für das Staatsoberhaupt kürten. Die Idee, Winfrey an die politischen Spitze der USA zu wählen, sorgte besonders in sozialen Medien für viel Euphorie - aber auch für Kritik. Woher kommt dieser neue Höhepunkt des »Oprah-Effekts«? Oprah Winfrey ist seit Jahrzehnten eine der einflussreichsten Personen der US-amerikanischen Öffentlichkeit. Ihre Talkshow erreichte mehr als zehn Jahre lang Millionen Zuschauer, ihre Buchempfehlungen werden häufig zu Bestsellern. Für viele Frauen ist sie eine Ikone. Was Winfrey sagt, wird zur Wahrheit erklärt. Das hat viel mit ihrer eigenen Lebensgeschichte zu tun. Aufgewachsen in ärmlichen Verhältnissen, hat sich die Afroamerikanerin ihren Weg zum Erfolg selbst erkämpft. Aus eigener Kraft hat sie es geschafft, sich ein Imperium aufzubauen. Sie wurde zum Fernsehstar, zum Vorbild für unzählige US-Amerikaner, zu ihrer eigenen Marke. Sie hat einen eigenen Fernsehsender und ein Lifestyle-Magazin. Ihr Vermögen wird auf rund 2,7 Milliarden US-Dollar geschätzt. Oprah Winfrey verkörpert gewissermaßen den »American Dream«. Mit dem Format ihrer Talkshow und ihrem selbst ernannten Auftrag, Menschen glücklich zu machen, trifft sie seit Beginn ihrer Karriere den Nerv der Zeit. Ihr immerwährender Ansatz, das eigene Leben durch positives Denken und Eigenverantwortung zum Besseren verändern zu können, hat bei einem Millionenpublikum ungebrochenen Erfolg. Winfreys Konzept lautet: Hilfe zur Selbsthilfe. Und es geht auf. Ihre Anhänger lieben sie, verlassen sich auf sie und schöpfen Kraft aus ihren Ratschlägen. Die Autorin Nicole Aschoff schreibt in einem im »Guardian« veröffentlichten Auszug ihres Buchs »New Prophets of Capital«: Winfreys Geschichten fänden deshalb so viel Zuspruch, weil sie die Rolle politischer, ökonomischer und sozialer Strukturen verdeckten. Die Lösung für Probleme, die das Leben in der spätkapitalistischen Gesellschaft mit sich bringt - Stress, Überarbeitung, Existenzängste - lautet stets: Verbessere dich selbst! Oprah gibt praktische Tipps, wie man sich als Individuum erfolgreich an die gegebenen Umstände anpasst: Fotos am Arbeitsplatz gegen Burn-out, positives Denken gegen Angstzustände. »Oprah erkennt den durchdringenden Charakter der Angst und Entfremdung unserer Gesellschaft«, schreibt Aschoff. Doch statt die politischen oder ökonomischen Ursachen dieser Gefühle zu untersuchen, rate sie den Menschen, sich selbst zu verändern, um anpassungsfähiger zu sein. Nicht das System, in dem wir leben, muss verändert werden, sondern wir selbst sind es, die sich anpassen müssen. Dann können wir erfolgreich sein. Und wer erfolgreich ist, ist glücklich. Dieser Logik folgt Winfreys Ansatz. Laut Aschoff macht sie so den »American Dream« wieder zu etwas Erreichbarem. An diesem Duktus, der sich beim US-Publikum großer Beliebtheit erfreut, gibt es jedoch auch Kritik. Die Autorin und Kommunikationswissenschaftlerin Janine Peck beispielsweise unterstellt der Entertainerin, eine Welt wachsender Ungleichheiten zu legitimieren, indem sie die Anpassung der Individuen an diese Welt fordert und fördert. Laut Aschoff macht Winfrey aus uns perfekte, entpolitisierte, selbstgefällige neoliberale Subjekte. Sie sei damit eine der wichtigsten Köpfe des Neoliberalismus, schlussfolgert die Autorin. Als Königen der Herzen und Mutter der Nation könnte Oprah Winfrey bei einer Präsidentschaftswahl tatsächlich gute Chancen haben. Die US-Journalistin April Ryan sagte dazu: »Wir sind inzwischen eine Nation, die nicht mehr nur einem Politiker sucht, sondern einen Rockstar. Wir suchen jemandem mit dem ›It-Faktor‹. Und Oprah hat diesen ›It-Faktor‹.«
Maria Jordan
Die gefeierte Oprah Winfrey steht für Selbstoptimierung, nicht für bessere Verhältnisse.
USA
Feuilleton
Kultur
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Parteienforscher: AfD ist nicht rechtsextrem
Berlin. Der Mainzer Parteienforscher Jürgen Falter hat sich kurz vor den Landtagswahlen dagegen ausgesprochen, die Rechtsaußen-Partei als rechtsextrem einzustufen. Dies sei »vollkommen töricht«, sagte Falter der »Rheinischen Post«. Dies vor allem deshalb, weil »man doch die Unterschiede zur NPD mit Händen greifen kann«. Falter warnte, einerseits »verniedlicht« man auf diese Weise den Rechtsextremismus. »Andererseits schafft man eine Festungsmentalität bei den AfD-Anhängern, die sich umzingelt und missverstanden sehen und sich dadurch stärker zusammenscharen.« Die AfD war vor allem von Politikern aus SPD, L... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Ist die AfD rechtsextrem? Nein, sagt ein Parteienforscher - Kollegen sehen das aber anders. In Umfragen kann die Rechtsaußen-Truppe derweil mit starken Ergebnissen bei den Landtagswahlen am Sonntag rechnen.
AfD, Baden-Württemberg, Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Wahlen 2016
Politik & Ökonomie
Politik
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Schröders Least Wanted
Bundesministerin Kristina Schröder bittet alle Bürgerinnen und Bürger um Mithilfe, die Tageszeitung »neues deutschland« zu ergreifen. Sie hält sich gewöhnlich schon morgens in Briefkästen und an gut sortierten Kiosken auf.Folgende Redakteurinnen und Redakteure sind u.a. der Mitarbeit an der Zeitung dringend verdächtig:Jörg Meyer (39), Inlandredakteur, taucht auf Gewerkschafts- und Anti-Nazi-Demos auf, und dann auch wieder ab.Karlen Vesper (52), Kulturredakteurin, kettet sich an Hammer und Sichel und summt bei der Arbeit Lieder über die Oktoberrevolution.Katja Eichholz (32), Online-Redakteurin, wirft antikapitalistische Köder in die weiten Ozeane des Internet.René Heilig (59), Inlandredakteur, hat der Bundesregierung mehrfach Rüstungsexport vorgeworfen.Wolfgang Frotscher (64), Bildredakteur, wühlt in Agenturarchiven nach fragwürdigen Fotos der Bundeskanzlerin.Christin Odoj (27), Volontärin, wird noch zur Linksextremistin ausgebildet, muss täglich Wodka für die Kolleg(inn)en holen.Detlef D. Pries (62), Auslandsredakteur, wacht darüber, dass chinesische und russische Namen linientreu transkribiert werden.Markus Drescher (33), Inlandredakteur, wickelt seine aufrührerischen Ansichten gern in ein Trikot des FC St. Pauli.Jürgen Reents (62), Chefredakteur, gebürtiger Linksabbieger, findet aber, dass in der alten Bundesrepublik nicht alles schlecht war.Sarah Liebigt (26), Lokalredakteurin, verliert die Hoffnung nicht, dass Politik mehr sein könnte, als flaue Kompromisse zu machen.Christian Klemm (32), Inlandredakteur, besticht sogar Konservative, sich an Debatten im »nd« zu beteiligen.Jürgen Amendt (46), Kulturredakteur, meint tatsächlich, ungleiche Bildungschancen hätten etwas mit ungleichen Einkommen zu tun.Martin Kröger (36), Lokalredakteur, wohnt in Berlin-Kreuzberg – jedes weitere Wort über ihn wäre eine Verharmlosung.Sonja Vogel (28), Lokalredakteurin, plädiert dafür, Obdachlosen- und Flüchtlingsinitiativen besser zuzuhören.
Redaktion nd-aktuell.de
Das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend warnt vor der Tageszeitung neues deutschland. Beiträge in diesem als »linksextremistisch« eingestuften Medium »unterstützen kommunistische bzw. anarchistische Weltdeutungen und diskreditieren zugleich gegenläufige Nachrichten als ›bürgerlichen Manipulationszusammenhang‹«.
Extremismusklausel, Kristina Schröder, Linksextremismus
In eigener Sache
https://www.nd-aktuell.de//artikel/213513.schroeders-least-wanted.html
Bobi Wine sorgt für Wirbel in Uganda
Seit 34 Jahren hält Yoweri Museveni das Zepter in der Hand. Gekrönt wurde er zwar nicht, aber mehrfach gewählt, seitdem er an der Spitze der National Resistance Army (NRA) in Uganda mit den Waffen in der Hand die Macht übernahm. Seit 1986 amtiert er als Präsident, flankiert von seiner Partei National Resistance Movement (NRM). Nun ist die Nationale Widerstandsbewegung NRM nach langer Zeit mit starkem politischem Gegenwind konfrontiert. »Heute versammeln wir uns hier zu einem weiteren wichtigen Schritt in unserem Befreiungskampf.« So schreibt Bobi Wine, der bürgerlich Robert Kyagulanyi Ssentamu heißt, am Beginn seines Gründungsaufrufs für die »National Unity Platform« (NUP). Der Name der Partei - Plattform der nationalen Einheit - ist ihr Programm, denn weder sind bisher ein Statut noch ein Manifest veröffentlicht. Als Plattform, so ist im Gründungsaufruf zu lesen, will sie allen unterdrückten Menschen in Uganda eine politische Heimat bieten. So soll eine nationale Einheit geschaffen werden. Um dem vereinenden Charakter zu entsprechen, wurde ein Schirm als Parteisymbol ausgewählt. Die NUP hat das erklärte Ziel, im nächsten Jahr Museveni abzulösen. Seit Jahren kolportiert er, sich eigentlich auf seine Farm zurückziehen zu wollen, aber den Wünschen des Volks nach einer weiteren Regierungszeit müsse er sich uneigennützig beugen. Die entsprechende Verfassungsänderung 2017, um die Altersgrenze für Präsidenten anzuheben, macht dafür den Weg frei. Gleichzeitig wurde die Länge der Amtsperioden für Präsident*innen und Parlamentarier*innen von fünf auf sieben Jahre erhöht. Bei einem Sieg könnte der heute 75-jährige Museveni bis 2028 regieren. Damit würde er die Regierungszeit eines Robert Mugabe in Simbabwe noch übertreffen. Seit vielen Jahren kämpft Bobi Wine mit seiner Bewegung »People Power Movement« gegen die politische Elite Ugandas und insbesondere gegen Museveni. Die Konsequenzen waren Einschüchterungen, Verhaftungen und Anklagen gegen Wine, unter anderem wegen Hochverrats. Was bei Wine auffällt, sind die Anleihen aus Südafrika. Nicht nur rhetorisch wird immer wieder auf Nelson Mandela oder den Befreiungskampf des ANC mit seinem militärischen Arm Umkhonto weSizwe verwiesen. Auch optisch treten Wine und seine Anhänger*innen mit einem roten Barrett auf dem Kopf auf, wie man es von Julius Malema und den Economic Freedom Figthers in Südafrika kennt. Doch nicht nur das rote Barrett, auch das Logo der schwarzen Faust vor einer Landkarte Ugandas und der Slogan »People Power - Our Power« seiner Bewegung legen ein revolutionäres Pathos nahe, ohne dass es bisher »ideologisch unterlegt« ist. Wine kritisiert den Despotismus Musevenis, geißelt die zunehmende Korruption, die Armut unter Jugendlichen und auch den steigenden Einfluss des Militärs, es fehlen jedoch bisher Aussagen zu soziopolitischen Fragen oder Wirtschaftspolitik. »Es gibt keinen Hinweis darauf, dass er eine linke Agenda verfolgt«, so ein Aktivist der ugandischen Zivilgesellschaft gegenüber dem »nd«. Seine Hoffnung, die fragmentierte Opposition zu vereinen, hat zwar bereits erste Früchte getragen als fünf Parlamentarier anderer Parteien und erste Bürgermeister zur NUP übergetreten sind. Jedoch macht die momentan größte Oppositionspartei, das Forum for Democratic Change (FDC) des viermaligen Herausforderers Kizza Besigye, derzeit keine Anzeichen, sich zu einem Bündnis durchzuringen. Sollten die NUP und die FDC getrennt antreten, wird der Sieg Musevenis kaum zu verhindern sein. Trotz seines autoritären Politikstils findet Museveni weiterhin große Unterstützung, insbesondere unter der ländlichen Bevölkerung, und kann sich auf einen großen Sicherheits- und Militärapparat stützen. Dass er aufgrund der Corona-Pandemie politische Kundgebungen verboten hat und Wahlwerbung nur durch TV, Radio und Internet möglich sind, sieht Wine als mutwillige Behinderung der Opposition. Mehrere ugandische Kommentator*innen befürchten einen potenziell gewaltsamen Wahlkampf, was wiederum Museveni in seiner Inszenierung als »starker Mann« helfen würde. »Es wäre ein Wunder, wenn Uganda einen anderen politischen Führer als Museveni im State House sehen würde«, schrieb Musaazi Namiti, Kolumnistin des ugandischen »Daily Monitor«. Bobi Wine bliebe so weiter der »Ghetto-Präsident«, wie er von seinen jugendlichen Fans bezeichnet wird. Auf alle Fälle wirbelt er die politische Landschaft Ugandas derzeit gehörig durcheinander.
Andreas Bohne
Bobi Wine, Musikstar und prominenter Oppositionsabgeordneter in Uganda, hat eine neue politische Partei gegründet. Damit will er bei den Wahlen 2021 Präsident Yoweri Museveni herausfordern, der eine sechste Amtszeit anstrebt.
Uganda
Politik & Ökonomie
Politik Uganda
https://www.nd-aktuell.de//artikel/1140335.uganda-bobi-wine-sorgt-fuer-wirbel-in-uganda.html
Schattenboxen mit Trump
Die erste Fernsehdebatte der Präsidentschaftskandidaten der US-Republikaner fand ohne den Favoriten statt – und doch war Trump auf der Bühne in Milwaukee am Mittwoch stets präsent. Keinem der acht Kontrahentinnen und Kontrahenten gelang es wirklich, aus dem Schatten des Ex-Präsidenten zu treten. Dies galt für Chris Christie, dem ehemaligen Gouverneur von New Jersey, der sich als Trump-Kritiker zu profilieren versuchte, ebenso wie für den Unternehmer und Politikquereinsteiger Vivek Ramaswamy, der sich als sein Meisterschüler aufspielte. Ramaswamy, für den woke Eliten an allem schuld sind, sieht das Land in einem »kalten Kulturbürgerkrieg«. Gefragt nach dem Klimawandel wiederholte er Trumps Slogan, dieser sei ein »Schwindel«. Im Hinblick auf den Ukraine-Krieg versuchte Ramaswamy, sich vom Parteiestablishment abzusetzen, ohne überzeugende Antworten für eine Friedenslösung zu liefern. Einig war man sich darin, China für alle möglichen Übel auf der Welt verantwortlich zu machen. Die Debatte zeigt, dass Trump den Diskurs in der Partei weiter bestimmt – auch eine mögliche Verurteilung des Ex-Präsidenten wird daran nichts ändern.
Julian Hitschler
Die erste TV-Debatte der US-Republikaner zeigt, dass der Ex-Präsident in der Partei weiter den Ton angibt, kommentiert Julian Hitschler.
Donald Trump, Fernsehen, USA
Meinung
Kommentare US-Vorwahlkampf
2023-08-24T17:42:11+0200
2023-08-24T17:42:11+0200
2023-08-24T17:42:13+0200
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1175784.us-vorwahlkampf-schattenboxen-mit-trump.html?sstr=trump
Ryanair-Beschäftigte auf dem Weg zum Tarifvertrag
Mit breiter Mehrheit haben die gewerkschaftlich organisierten Ryanairbeschäftigten einem von Unterhändlern der Gewerkschaft ver.di mit dem Management der irischen Billigfluggesellschaft ausgehandelten Eckpunktepapier für einen Tarifvertrag nach deutschem Recht zugestimmt. Über 80 Prozent stimmten für den Vorschlag. Dies bestätigte die zuständige ver.di-Sekretärin Katharina Wesenick am späten Dienstagnachmittag auf «nd»-Anfrage. Damit ist der Weg frei für ein Tarifvertragswerk mit dem die Einkommen, Arbeitsbedingungen und Sozialleistungen für rund 1.000 Flugbegleiterinnen und Flugbegleitern an deutschen Ryanair-Basen geregelt werden sollen. Der Vertrag soll nach dem geplanten, raschen Vertragsabschluss gleichermaßen für Ryanairbeschäftigte wie auch für Leiharbeitskräfte gelten und eine Laufzeit von November 2018 bis Ende März 2021 haben. Das Eckpunktepapier sieht nach ver.di-Angaben eine deutliche Erhöhung des Grundgehaltes und weitere Einkommenserhöhungen vor. So kann etwa eine für die Berechnung repräsentative Flugbegleiterin, die bislang magere 825 Euro Grundgehalt bezog, künftig mit rund 1.420 Euro und bis 2012 mit rund 1.650 Euro Grundgehalt rechnen. Unter Berücksichtigung von Zulagen- und Flugstundenvergütungen käme sie dann auf rund 2.300 Euro monatlich und damit auf deutlich mehr als bisher. Es sei «ein großer Erfolg, dass für alle Stammbeschäftigten und Leiharbeitskräfte eine sehr deutliche substanzielle Einkommenserhöhung erreicht werden konnte», so ver.di-Bundesvorstandsmitglied Christine Behle. Zum Vertragswerk gehört auch ein Sozialplan für alle deutschen Ryanairbasen. Dieser sieht bei Schließungen oder einer Reduzierung von Flugzeugen erstmals Abfindungsregelungen vor. Er soll auch für die ehemaligen Beschäftigten, der vor wenigen Tagen geschlossenen Ryanairbasis am Flughafen Bremen gelten. «Ein ganz besonderer Erfolg ist auch die Umstellung der Verträge auf deutsches Arbeits- und Sozialrecht», freut sich Behle. Dadurch erhielten die Beschäftigten endlich Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall und könnten deutsche Kündigungsschutzregeln beanspruchen«, so Behle weiter. »Das alles konnte nur durch den besonderen Mut der Beschäftigten erreicht werden, die trotz größter Widrigkeiten und Probleme für ihre Rechte gekämpft haben und verdient die größte Bewunderung«, resümiert die Gewerkschafterin die zurückliegenden Streiks der Betroffenen. Viele von ihnen stammen aus südeuropäischen Krisenländern und finden dort trotz hoher Qualifikation keinen angemessenen Arbeitsplatz. Für die renditehungrigen Ryanairmanager und -eigentümer sind sie unter diesen Umständen ein besonders willkommenes Objekt der Ausbeutung. Dass dieses anhaltende Auspressen der Arbeitskraft zu Hungerlöhnen seine Grenzen hat, zeigt die Gegenwehr und Organisationskraft, die mit Hilfe von ver.di aufgebaut werden konnte. Doch auch nach der erwarteten Einigung über das Vertragswerk ist aus ver.di-Sicht in der Vorweihnachtszeit noch keine Entwarnung angesagt. Denn Ryanair weigert sich nach wie vor, per Tarifvertrag die Wahl von Betriebsräten anzuerkennen. Weil Betriebsräte laut Gesetz wichtige Mitbestimmungsrechte haben und auch die Einhaltung von Tarifverträgen überwachen sollen, sind sie dem ruppigen Ryanair-Boss Michael O’Leary offenbar ein Dorn im Auge. Ohne Betriebsrat drohen auch willkürliche Kündigungen. Rechtlicher Vorwand für diese Blockade ist eine Sonderregelung im Betriebsverfassungsgesetz für das fliegende Personal von Airlines, die der Arbeitgeberseite faktisch ein Vetorecht einräumt. Dort heißt es in § 117 (2): »Für im Flugbetrieb beschäftigte Arbeitnehmer von Luftfahrtunternehmen kann durch Tarifvertrag eine Vertretung errichtet werden.« Um Abhilfe zu schaffen und den Druck für eine rasche Gesetzesänderung aufzubauen, haben ver.di-Aktivisten in den vergangenen Wochen intensiv Kontakt zum Bundesarbeitsministerium und zu Bundestagsabgeordneten verschiedener Fraktionen geknüpft. Minister Hubertus Heil (SPD) habe zugesagt, noch vor der Weihnachtspause einen Gesetzentwurf zur Änderung von § 117 (2) und zur Abschaffung der Sonderregelung für das fliegende Personal im Parlament zur Abstimmung vorzulegen, heißt es aus ver.di-Kreisen. Dann könnte das Flugbegleitpersonal notfalls auch gegen den Willen der Geschäftsleitung eine gesetzliche Interessenvertretung wählen. »Wenn das Gesetz geändert ist, dann wählen wir sofort einen starken Betriebsrat«, so Wesenick.
Hans-Gerd Öfinger
Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Ryanair haben am Dienstag den Eckpunkten eines von Rynanair vorgelegten Tarifvertrags zugestimmt. Ein echter und hart erkämpfter Erfolg der Beschäftigten. In Sachen Betriebsrat mauert das Unternehmen jedoch weiter.
Betriebsrat, Flughafen, Ryanair, Tarifbindung, Tarifverhandlung, verdi
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt Arbeitnehmerrechte
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Nach Beben in Japan
Mit einer Stärke von 9,0 ist das Beben vom Freitag das bisher schwerste in Japan. Das Epizentrum lag 130 Kilometer östlich der Stadt Sendai und 400 Kilometer nordöstlich von Tokio. Die Flutwelle, die die Ostküste der Hauptinsel Honshu überspülte, war bis zehn Meter hoch. 50 Länder lösten Tsunami-Warnungen aus. Mehr als 175 Nachbeben wurden gezählt. Um 2,4 Meter hat das Beben die Hauptinsel Honshu verrückt. Die Achse der Erdrotation wurde um rund 10 Zentimeter verschoben. * Inzwischen wird mit mehr als 10 000 Todesopfern gerechnet. Genaue Zahlen gibt es weiter nicht. * Ministerpräsident Naoto Kan bezeichnete die Katastrophe als Japans schlimmste Krise seit dem Ende des Zw... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Redaktion nd-aktuell.de
Akute Gefahr in drei AKW
Atomkraft, Erdbeben, Japan, Unfall
Politik & Ökonomie
Politik
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Ein Kooperationspartner ohne Gemeinsamkeiten
Wenn sich am Dienstag Vertreter der Europäischen Union und der Volksrepublik zum 21. EU-China-Gipfel in Brüssel treffen, werden die Akteure gänzlich andere Umstände vorfinden als 1998. Seit dem ersten Gipfel hat sich das wirtschaftliche Kräfteverhältnis zwischen der EU und China erheblich verändert. Zu der Jahre alten Beschwerde, dass die Volksrepublik europäischen Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt erschwere, kommt nun auf EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker und EU-Ratspräsident Donald Tusk auch noch die Sorge über den wachsenden Einfluss Chinas in Europa und in der EU hinzu. Die Europäische Union hatte erst im März ein neues Positionspapier zur Volksrepublik vorgelegt, in dem China als »ein Kooperationspartner, mit dem die EU eng abgestimmte Ziele hat, ein Verhandlungspartner, mit dem die EU einen Interessenausgleich finden muss«, bezeichnet wird. Zudem als »ein wirtschaftlicher Konkurrent auf dem Weg zur Technologiefüh... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Alexander Isele
Zwischen China und der Europäische Union gibt es vor dem Gipfel in Brüssel Streit über Handelsfragen und Investitionen. Für die Kommission wäre ein Scheitern des Treffens ein Rückschlag.
Belgien, China, Europäische Union
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Politik
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Wagenknecht und die Wirtschaft
Gute Nachrichten aus Brandenburg: Die Unternehmensverbände plagen sich mit Bauchschmerzen ob einer möglichen, fast unumgänglichen Regierungsbeteiligung des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW). Wenn die Unternehmer das Gesicht verziehen, dann kann das BSW aus linker Perspektive immerhin nicht alles falsch gemacht haben. Beschwerden über 14 Euro Mindestlohn oder ein kostenloses Mittagessen für Grundschüler sind eine Art Ritterschlag für das BSW. Die Wirtschaft hofft aber, das BSW werde bei Koalitionsverhandlungen einknicken. Dass Brandenburgs Sozialdemokraten im Zweifelsfall nicht gar zu sozial denken, darauf dürfen die Unternehmer vertrauen. So wurde nicht aus der im Koalitionsvertrag von 2019 verheißenen Tariftreueklausel. Sie scheiterte dem Vernehmen nach am SPD-geführten Wirtschaftsministerium. Fördermittel und Staatsaufträge erhalten Firmen in Brandenburg weiter auch dann, wenn sie keine Tariflöhne zahlen. Dass die Unternehmensverbände für eine Willkommenskultur eintreten, ist ihnen ganz und gar nicht hoch anzurechnen. Zu durchsichtig ist die Absicht dahinter, billige Arbeitskräfte aus dem Ausland nicht zu verschrecken. Wer nicht ausgebeutet werden kann, ist keineswegs willkommen. Menschlichkeit im Kapitalismus wäre ein Fehler in diesem System. Die Energiepolitik des BSW dient den Interessen der Unternehmer. Dass diese Partei systemgefährdend wäre, da irren sie. Die im reifen Alter von Wagenknecht entwickelte Begeisterung für den Wirtschaftswunder-Minister Ludwig Erhard (CDU) scheint sich bei ihnen nicht herumgesprochen zu haben. Oder die soziale Marktwirtschaft gilt heute schon als Kommunismus.
Andreas Fritsche
Die Unternehmensverbände raten der Brandenburger SPD zu einer Koalition mit dem BSW. Sie haben dabei aber Bauchschmerzen. Warum eigentlich?, fragt Andreas Fritsche.
Brandenburg
Meinung
Kommentare Regierungsbildung in Brandenburg
2024-09-30T18:47:49+0200
2024-09-30T18:47:49+0200
2025-01-08T13:17:41+0100
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Thüringer CDU schließt Kooperation mit AfD aus
Erfurt. Thüringens CDU-Chef Mike Mohring hält eine Zusammenarbeit der Union mit der AfD für unmöglich. »Mit der aktuellen AfD schließt sich eine Zusammenarbeit aus«, sagte er dem Nachrichtenportal t-online.de. Selbst wenn bekannte Parteirechte wie Björn Höcke und André Poggenburg keine Ämter mehr hätten, gelte: »Eine Partei, die Antisemiten duldet, kann kein Partner sein.« Er lehne »völkische Reinheitsfantasien« und einen »Rückzug ins nationale Gehäuse« ab, sagte Mohring, der auch Fraktionschef im Thüringer Landtag ist. Nach der Landtagswahl 2014 hatte er zunächst eine Zusammenarbeit mit der AfD erwogen. Als eine Folge wurde er nicht erneut in den CDU-Bundesvorstand gewählt. Mohring forderte für die CDU zugleich mehr Bereitschaft, unterschiedliche Positionen zur gleichen Zeit zu dulden: »Die Union muss das Progressive und das Bewahrende verkörpern. Jedes Gemeinwesen braucht beides.« dpa/nd
Redaktion nd-aktuell.de
AfD, André Poggenburg, Björn Höcke, CDU, Thüringen
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Nicht genug für ein Leben in Würde
»Monte Sion« heißt die Kaffeefarm von Cornelio Estrada. Jeden Tag ist er derzeit zwischen den Kaffeepflanzen unterwegs, erntet reife Kirschen, kontrolliert aber auch die Pflanzen auf Sporenbefall. Nach einem prüfenden Blick auf die Unterseite nickt er zufrieden. Die hochgewachsene Kaffeepflanze der Sorte Bourbón, an der reichlich rote und grüne Kaffeekirschen hängen, macht einen guten Eindruck. »Die letzten drei Jahre waren ausgesprochen schwierig. Fast alle Bauern unserer Genossenschaft hatten mit dem Kaffeepilz La Roya zu kämpfen. Den haben wir jetzt im Griff und hoffen auf eine gute Ernte«, meint der Kaffeebauer. Auf drei Hektar baut Estrada kurz vor dem Ortseingang von Acatenango Kaffee an. Die Kleinstadt, eine gute Fahrtstunde westlich von Guatemala-Stadt, gehört zu den acht Anbauregionen Guatemalas und genießt einen exzellenten Ruf. Den hat sie den nährstoffreichen Böden im Schatten der prächtigen Kegel des Vulkans Acatenang... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Knut Henkel
Der Kaffeepreis ist in den letzten Monaten in den Keller gegangen. Überproduktion und Spekulation sind zwei Ursachen, die die Bauern vor massive Probleme stellen. Das heizt auch die Abwanderung an.
fairer Handel, Genossenschaft, Guatemala, Konsum, Landwirtschaft, USA
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Wirtschaft und Umwelt Kaffee-Anbau
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Bundespolizisten nach Hitlergrüßen suspendiert
Rosenheim. Weil sie den Hitlergruß öffentlich gezeigt haben sollen, hat die Bundespolizei zwei Beamte vom Dienst suspendiert. Das teilte die Bundespolizei in Potsdam am Wochenende mit. Gegen die beiden 44 und 45 Jahre alten Männer ermittelt die Polizei Rosenheim wegen Verdachts auf Volksverhetzung. Nach Aussage eines Zeugen äußerten die Beschuldigten am späten Donnerstagabend vor einem Rosenheimer Lokal fremdenfeindliche Sprüche und Parolen und zeigten den Hitlergruß. In einer Pressemitteilung bezeichnete die Polizei in Rosenheim die Äußerungen als »Tischgespräche« unter Alkoholeinfluss. Welche Parolen formuliert wurden, wolle man nicht öffentlich machen, da noch nach weiteren Zeugen des Vorfalls gesucht werde, hieß es. Neben den zwei Verdächtigen der Bundespolizei soll bei dem Vorfall ein Mitglied der Rosenheimer Sicherheitswacht beteiligt gewesen sein. Diese Organisation hilft ehrenamtlich der bayerischen Polizei, indem ihre Mitglieder zu Fuß oder auf dem Fahrrad unterwegs sind und über Funk mögliche Straftaten der Polizei melden. Nach Angaben der Polizei sollen sie vor allem Vandalismus und der Straßenkriminalität entgegenwirken. Die Bundespolizisten seien nicht bei der Inspektion in Rosenheim beschäftigt, teilte das Polizeipräsidium Oberbayern-Süd weiter mit. Ein Sprecher der Bundespolizei aus Potsdam ergänzte, dass die Beamten aus unterschiedlichen Inspektionen kämen. Aus welchen genau, wollte er jedoch nicht sagen. Der Vorfall ereignete sich nur wenige Tage, nachdem in Sachsen ein mittlerweile versetzter Mitarbeiter des LKA an einer Pegida-Demonstration teilgenommen und dabei ein Fernsehteam behindert und nachdem ein JVA-Mitarbeiter illegal einen Haftbefehl in rechtsextreme Kreise durchgestochen hatte. »Es gibt Lecks in den Behörden in die rechtsextreme Szene hinein«, erklärte dazu Valentin Lippman von den sächsischen Grünen. dpa/nd
Redaktion nd-aktuell.de
Der nächste Hutbürger-Vorfall: In Bayern sind zwei Bundespolizisten vom Dienst suspendiert worden, nachdem sie offenbar den Hitlergruss gezeigt haben. Die Bundespolizei spricht von »Tischgesprächen« unter Alkoholeinfluss.
Bayern, Polizei, Rechtsextremismus
Politik & Ökonomie
Politik Volksverhetzung
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Grüne wollen nicht mit Farben spielen
Lange Zeit schienen die Grünen in Mecklenburg-Vorpommern selbst zu einer Klientel zu zählen, für die sie sich engagieren: zu den bedrohten Arten, zu Exoten im Politwald des Nordostens. Dümpelte die Ökopartei doch unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde herum, die vor dem Einzug ins Schweriner Schloss überwunden werden muss. So rangierten die Bewerber mit der Sonnenblumenfahne etwa bei der Landtagswahl 2002 mit 2,6 Prozent der Stimmen »unter ferner liefen«, wurden auch 2006 enttäuscht, als sie mit 3,4 Prozent auf den Zuhörerstühlen des Parlaments bleiben mussten. Von dort ins Plenum umziehen durften sie mit sieben Abgeordneten erstmals 2011 dank überraschender 8,7 Prozent der Wählerstimmen. Ein Fukushima-Effekt? Im März jenes Jahres war der japanische Atomreaktor explodiert, die Nuklearkatastrophe hatte die Kritik an der Atomkraft belebt und viele Menschen wach gerüttelt, die sich zuvor gleichgültig gegenüber der umstrittenen Stromerzeugu... 4 Wochen nd online lesen + E-paper + App Alle nd-Artikel online lesen + E-paper + App Benutzername* Passwort* Mit einem Digital-, Digital-Mini- oder Kombi-Abo haben Sie, neben den anderen Abo-Vorteilen, Zugriff auf alle Artikel seit 1990.
Hagen Jung
Bleiben die Grünen in Mecklenburg-Vorpommerns Parlament? Laut Umfragen kann die Partei mit sieben Prozent rechnen. Und wenn ja - wieder in der Opposition oder innerhalb einer rot-rot-grünen Regierung?
Fukushima, Grünen, Mecklenburg-Vorpommern
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Politik
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Der verschwiegene Reichtum
Lisa und Otto Normalverbraucher können zur Zeit wieder einen Blick in eine ihnen sonst verschlossene Welt werfen: die der Mondänen und Reichen. Die mittlerweile fünfte Staffel der »Geissens« flimmert gerade über den TV-Äther. In dieser Woche konnte man an einer Mega-Geburtstagsparty für Tochter Davina Shakira in der Ferienvilla in St. Tropez teilhaben, bei der Vater Geiss verkatert und die Mutter kurz vor dem Ausrasten war. Gut, dass der eingeflogene Schlager-DJ Ötzi die Stimmung rettete. Was an dem Gezeigten dokumentarisch ist, darüber scheiden sich die Geister. Gewiss ist jedoch, dass die tatsächlichen Vermögensverhältnisse der in Monaco residierenden Kölner Familie, die vom Erlös des Verkaufes eines Bekleidungslabels lebt, nicht offengelegt werden. Über Reichtum spricht man nicht, zumindest in Deutschland. Während in Schweden die Steuerlisten aller Bürger, selbst des Königs, veröffentlicht werden, ist dies hierzulande ein Tabu. Und auch die offiziellen Statistiken helfen nicht wirklich weiter: Die Bundesbank berechnet zwar regelmäßig Gesamtzahlen des Reinvermögens, also des Geld- plus Sachvermögens abzüglich Verbindlichkeiten, der deutschen Privathaushalte - Ende 2011 lag es bei 9,3 Billionen Euro. Allein das Geldvermögen lag bei knapp fünf Billionen. Über die Verteilung gibt es allerdings keine Aussagen. Das Statistische Bundesamt wiederum bezieht in seine alle fünf Jahre erhobene, äußerst umfangreiche Einkommens- und Verbrauchsstichprobe Haushalte mit einem monatlichen Einkommen über 18 000 Euro nicht ein, »da diese nicht beziehungsweise in nur sehr geringer Zahl an der Erhebung teilnehmen«. Die Bundesstatistiker werfen also vor der Verschwiegenheit der Reichen das Handtuch. Und im Mikrozensus werden die Bürger nach ihrem Vermögen erst gar nicht gefragt. Das ist verwunderlich. Gerade in Zeiten knapper öffentlicher Kassen und einer Politik mit dem Rotstift ist das Befremden darüber groß, dass sich in den vergangenen Jahrzehnten die Kluft zwischen arm und reich massiv vergrößert hat. Auf Druck von Wohlfahrtsverbänden und Kirchen sah sich bereits 2001 die rot-grüne Bundesregierung genötigt, einen ersten »Armuts- und Reichtumsbericht« zu veröffentlichen. Darin war zwar viel von den zahlreichen Facetten von Armut die Rede, und auch die Anzahl der Einkommensmillionäre durfte nicht fehlen - 13 000. Nicht eingerechnet waren aber Menschen mit millionen- oder gar milliardenschwerem Privatvermögen. Der kürzlich unter dubiosen Umständen von Schwarz-Gelb erstellte, vierte Bericht verschwendet nur 15 seiner über 400 Seiten auf Vermögen und Reichtum. Es finden sich eine Umfrage über subjektive Einstellungen der Bürger dazu sowie längere Auslassungen über die »hohe Engagementquote reicher Haushalte« bei Spenden und ehrenamtlicher Arbeit. Andere Zahlen dürften untertreiben, denn sie beruhen auf Schätzungen, sind oft veraltet und können die riesigen Summen, die in Steueroasen vor dem Fiskus versteckt sind, nicht berücksichtigen. Das Sozio-oekonomische Panel des DIW-Berlin geht für das Jahr 2007 davon aus, dass die reichsten zehn Prozent der Deutschen zwei Drittel des Gesamtvermögens besaßen, die reichsten 0,1 Prozent (weniger als 70 000 Personen) fast ein Viertel. Die Hälfte der Deutschen verfügt dagegen über kein Nettovermögen. Geht es um die Welt der Superreichen, wird gerne auf die jährliche Liste des US-Magazins »Forbes« zurückgegriffen. Demnach ist der reichste Deutsche auch 2013 Aldi-Gründer Karl Albrecht mit 26 Milliarden Dollar (weltweit: Platz 18). Weit vorne liegen ferner Lidl-Gründer Dieter Schwarz, die Erben von Albrechts verstorbenem Bruder Theo, Versandhauskönig Michael Otto sowie die BMW-Miteigentümer Susanne Klatten, Stefan und Johanna Quandt. Auch die »Forbes«-Zahlen sind ungenau, denn sie beziehen sich vor allem auf den Wert der gehaltenen Firmenanteile. Rückblende: Im Frühjahr hatte der neoliberale Umbau zwar längst begonnen, doch die Agenda 2010 von Gerhard Schröder bedeutete zumindest symbolisch eine Zäsur im deutschen Nachkriegskapitalismus. In der Bundestagsrede, in der der SPD-Kanzler den Umbau vieler Politikbereiche umriss, fiel das Wort »Reichtum« kein einziges Mal. Und als Schröder ausführte, wer denn nun die »gewaltige gemeinsame Anstrengung« der anstehenden Strukturreformen bewältigen müsse, erklärte er: »Alle Kräfte der Gesellschaft werden ihren Beitrag leisten müssen: Unternehmer und Arbeitnehmer, freiberuflich Tätige und auch Rentner.« Alle Kräfte? Die Reichen und Vermögenden blieben unerwähnt. Nur an einer Stelle kam auf sie zumindest indirekt die Sprache: bei der Ankündigung einer Abgeltungsteuer auf Zinserträge. Während Schröder die Bevölkerung auf harte Zeiten einstimmte, wurden Vermögende also mit einer steuerlichen Flatrate und bei Rücktransfer von Schwarzgeld mit einer Strafamnestie geködert. Oppositionsführerin Angela Merkel kritisierte daran nur eines: dass Schröder Kontrollmitteilungen an die Finanzämter nicht ausschließen wollte, sich also nicht hundertprozentig zu Bankgeheimnis und Anonymität bekannte. Die Abgeltungsteuer auf Kapitalerträge in Höhe von 25 Prozent wurde schließlich im Jahr 2009 von der großen Koalition eingeführt. Sie ist für alle gleich, egal wie groß das Vermögen ist. Damit wurde ein wichtiger Grundsatz aufgegeben: die Besteuerung nach Leistungsfähigkeit. Dies trieb die »Entlastung der Leistungsträger« noch auf die Spitze. Der erste große Pflock war unter Kanzler Helmut Kohl eingerammt worden: mit der Nicht-Erhebung der Vermögensteuer ab 1997. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das gefordert hatte, Immobilien höher zu bewerten und damit deren Besitz stärker zu besteuern, verweigerte sich die Regierung einer Neuregelung. Dies belastete die Kassen der Bundesländer stark - ihnen standen die jährlichen Einnahmen von zuletzt neun Milliarden DM zu. Seither haben auch die Finanzämter keine Informationen mehr über die Vermögen. Rot-Grün wiederum reduzierte den Spitzensatz bei der Einkommensteuer von 53 auf 39 Prozent sowie die Unternehmensteuern. Mit den Rentenkürzungen und der staatlich geförderten, privaten Riester-Rente sorgte die Regierung zudem für eine weitere Verlagerung der Alterssicherung auf die Finanzmärkte. Der Effekt war ein gewaltiger Anstieg der Privatvermögen der Deutschen, was wiederum nur ein kleiner Teil eines globalen Trends war. Banken, Pensionskassen, Hedgefonds und Versicherungen sollen die riesigen Vermögen vermehren, was auf wirtschaftlich gesundem Wege längst nicht mehr geht. Linke Ökonomen sehen genau hier die Hauptursache der zahlreichen Finanzkrisen, die seit den 1990er Jahren rund um den Globus schwappen. Solche Kritik hat mit »Neiddebatten« nichts zu tun. Dass sich letztere ohnehin in Grenzen halten, zeigt die Ausstrahlung immer neuer Staffeln der »Geissens«. Diese genießen es, ihren Reichtum zur Schau zu stellen. Ob nun bei einer Shoppingtour in Las Vegas, dem Urlaub auf den Bahamas oder der Nanny-Suche. Der Gang zum Steuerberater, wie könnte es auch anders sein, blieb von den Kameras unbeleuchtet.
Kurt Stenger
Am Freitag kommender Woche startet an der TU Berlin ein dreitägiger Kongress mit dem Titel »Umverteilen.Macht.Gerechtigkeit«, der von dem breiten Bündnis »Umfairteilen« veranstaltet wird. Aus diesem Anlass veröffentlicht »nd« eine Trilogie zu den Kongressthemen. Heute 1. Teil.
BMW, umFAIRteilen, Umverteilung, Vermögen
Politik & Ökonomie
Wirtschaft und Umwelt
https://www.nd-aktuell.de//artikel/821703.der-verschwiegene-reichtum.html
SPD-Linke fordern 35-Stunden-Woche
Einen Namen haben sie noch nicht. Doch schon zum zweiten Mal sind zwölf SPD-Bundestagsabgeordnete mit Forderungen nach einer linken Profilschärfung der SPD in Erscheinung getreten. Die Sozialdemokraten rund um die Bielefelderin Wiebke Esdar und den bayrischen Abgeordneten Michael Schrodi haben am Wochenende ein Thesenpapier verfasst. Zentrale Forderungen sind mehr Investitionen durch Erbschafts- und Vermögenssteuern, sowie eine Neugestaltung des Arbeitslebens. So fordern die Initiatoren eine 35-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Auch der Mindestlohn solle steigen, auf 12 Euro pro Stunde. Das ganze solle zudem mit einem europäischen Mindestlohn flankiert werden, so das Papier. Nicht alle Ideen im Papier sind neu. So soll die 35-Stunden-Woche mit den Möglichkeiten einer Familienarbeitszeit sowie der Brückenteilzeit ergänzt werden. Die Familienarbeitszeit hatte die SPD bereits in ihrem Wahlprogramm gefordert. Sie sieht vor, dass Eltern junger Kinder einen finanziellen Ausgleich vom Staat erhalten, wenn beide von ihnen ihre Arbeitszeit verringern. Der Vorschlag hatte es nicht in den Koalitionsvertrag geschafft. Die Brückenteilzeit wird hingegen derzeit von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) bearbeitet. Auch eine andere Forderung der zwölf Politiker wurde bereits andiskutiert. So fordern sie ein Chancenkonto in Höhe von 20.000 Euro, um Weiterbildungen oder »berufliche Neuorientierung zu finanzieren.« Auch das hatte die Parteivorsitzende Andrea Nahles bereits als Arbeitsministerin ins Spiel gebracht. Dieser Vorstoß wurde SPD-intern als mögliche Alternative zum Grundeinkommen gehandelt. Im Koalitionsvertrag fehlt dieser Punkt. Stichwort Grundeinkommen: Diese Idee, die auch im linken Flügel umstritten ist, lehnen die zwölf Bundestagsabgeordneten in ihrem Thesenpapier explizit ab. Dennoch wollen sie Änderungen bei der Existenzsicherung. So sollen Sanktionen abgeschafft werden. Das Schlagwort Hartz-IV umschiffen sie indes. Angedeutet wird nur: Die Partei müsse »Fehler aus der Vergangenheit korrigieren«. Auf dem Gebiet des Haushalts wünschen sich die Abgeordneten Kurskorrekturen und wenden sie sich gegen ein Diktat der »Schwarzen Null«: »Die Politik der «Schwarzen Null» ist dabei kein eigenständiges politisches Ziel. Vielmehr kann sie Hemmnis sein bei der Umsetzung unserer politischen Ziele.« Auf der Einnahmeseite sind die Abgeordneten deutlich radikaler. Finanziert werden sollen Mehrausgaben neben einer »wirksamen Erbschaftssteuer«, auch durch eine Wiedereinführung der Vermögenssteuer sowie eine europäische Steuer auf Finanztransaktionen. Das Thema Vermögenssteuer hatten die Sozialdemokraten im Bundestagswahlkampf nicht in ihr Programm aufgenommen. Auf Anfrage von »nd« erklärte die Mitinitiatorin des Papiers, Wiebe Esdar: »Wir wollen mit unseren Thesen damit die innerparteiliche Debatte anstoßen.« Das Papier sei auch als Impuls für das Debattencamp zur inhaltlichen Erneuerung der SPD im November gedacht. Dabei müsse inhaltlich nicht immer das Rad neu erfunden werden, sondern »gute Vorschläge, die bereits in der Partei diskutiert wurden, wieder in den Fokus gerückt werden«. Die Jusos unterstützen das Papier. Der Bundesvorsitzende der Jugendorganisation der SPD, Kevin Kühnert, sagte dem »nd«: »Die Autorinnen und Autoren haben verstanden, dass die Erneuerung der SPD nicht mit kleckern, sondern nur mit klotzen funktionieren wird. Ein handlungsfähiger Staat, der Vermögen gerecht verteilt und verlässlich investiert, ist Kern dessen, was von der Sozialdemokratie erwartet wird. Wir Jusos teilen diese Anliegen und stehen mit den zwölf Abgeordneten in engen Austausch, um unsere gemeinsamen Forderungen durchsetzen zu können.« Ein SPD-Sprecher nannte das Thesenpapier der zwölf neuen SPD-Bundestagsabgeordneten einen »interessanten Debattenbeitrag im Zuge unseres programmatischen Erneuerungsprozesses«. Nach gemeinsamer Debatte solle aus diesen Impulsen ein Leitantrag werden, der Ende 2019 auf einem Bundesparteitag beschlossen werden soll.
Alina Leimbach
Zuletzt war es ruhig geworden um das Thema »SPD erneuern«. Zu viele innenpolitische Hängepartien überlagerten das Thema. Nun haben 12 SPD-Bundestagsabgeordnete ihre Thesen formuliert. Sie fordern den 35-Stunden Tag und eine Vermögenssteuer.
Bundestag, Groko, Parteiprogramm, Sozialdemokraten, SPD-Fraktion, SPD-Linke, Wahlprogramm
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Politik Debatte #SPDerneuern
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Waffenscheine entzogen
Erfurt (dpa/nd). Wegen stärkerer Kontrollen der Behörden müssen immer mehr Thüringer ihre Waffenscheine abgeben. Wie der Sender MDR Thüringen am Montag berichtete, wurde im vergangenen Jahre 279 Personen die Erlaubnis entzogen, eine Waffe zu besitzen. Das waren fast vier Mal mehr als im Jahr zuvor und nahezu sechs Mal mehr als 2009. In seinem Bericht beruft sich der Sender auf Zahlen des Thüringer Innenministeriums. Grund für den Anstieg sind demnach verschärfte Kontrollen der Behörden. Laut dem Bericht hatten die Ordnungsämter zwischen April 2010 und Oktober 2011 rund 3600 Waffenbesitzer kontrolliert. Jeder sechste habe Waffen und Munition nicht ordnungsgemäß aufbewahrt.
Redaktion nd-aktuell.de
Thüringer Behörden verschärften Kontrollen
Thüringen, Waffen
Politik & Ökonomie
Politik
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Restposten der Nassauer
Wiesbaden. Im Gegenlicht: die historischen Steinfiguren auf dem Dach des Biebricher Schlosses in Wiesbaden (Hessen). Über mehrere Jahrzehnte fungierte das Biebricher Schloss als Hauptresidenz der Fürsten und späteren Herzöge von Nassau - und nach der Fertigstellung des Stadtschlosses in Wiesbaden als deren Sommerresidenz. Heute werden die Rotunde und die Galerien vom Hessischen Ministerpräsidenten für Staatsempfänge genutzt. Außerdem befinden sich mehrere Behörden im Schloss. dpa/nd Foto: dpa/Andreas Arnold
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